Volleyball-EM der Frauen:Jedes Jahr eine neue Wiese

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Deutsches Volleyball-Nationalteam: Kathleen Weiss (links), Margareta Kozuch und Saskia Hippe nach dem EM-Spiel gegen die Türkei (Foto: dpa)

Kapitänin Margareta Kozuch steht für das Internationale in der deutschen Volleyball-Auswahl: Wie sie spielt mehr als die Hälfte des deutschen Nationalteams im Ausland. Oft wechseln sie Jahr für Jahr ihre Mannschaften. An diesem Mittwoch können die Volleyballerinnen einen großen Schritt in Richtung EM-Titel nehmen.

Von Ulrich Hartmann, Halle/Westfalen

In seiner September-Ausgabe hat das Volleyball-Magazin ein ganzseitiges Foto von Margareta Kozuch abgedruckt: viel Bein, wenig Stoff, sirenenhafter Blick. Als die Ausgabe erschienen war, klingelte das Redaktionstelefon Sturm. Alle möglichen Magazine und Zeitungen wollten wissen, wie an dieses Foto heranzukommen sei. Damit ließ sich prächtig werben für eine EM, bei der das deutsche Team um Spielführerin Margareta Kozuch aber nicht bloß schmückendes Beiwerk sind. Sie träumen vom Titel und haben gute Chancen. An diesem Mittwoch (20 Uhr/Sport1) spielen sie im Viertelfinale gegen Kroatien. "Unsere Erfahrung lehrt uns, niemals zu zweifeln, sondern fest an uns zu glauben und immer weiterzumachen", sagt Kozuch, 26, die auch deshalb die Anführerin ist, weil sie schon in halb Europa gespielt hat.

Volleyballerinnen wie die Deutsch-Polin sind selbständige Handlungsreisende. Sie grasen fast jedes Jahr eine neue Wiese ab, weil sich die lukrative Situation in einem Klub jederzeit ändern kann. Kozuch hat ein Jahr im italienischen Ort Sassuolo gespielt, zwei Jahre in Novara, ebenfalls Italien, ein Jahr in Russland (Odinzowo), ein Jahr in Polen (Sopot) und zuletzt wieder ein Jahr in Italien, in Busto Arsizio. Jetzt ist September, und sie weiß noch nicht, wo sie von Oktober an die neue Saison verbringen wird. "Ich mache mir keine Sorgen", sagt sie. Sie ist eine der besten Diagonalangreiferinnen der Welt und kann sich die Klubs aussuchen. Sollte sie in dieser Woche mit dem deutschen Team Europameisterin werden, würde sich ihre Verhandlungsposition für einen üppigen Vertrag noch verbessern. Kozuch spielt auf Zeit. Und auf Geld.

Hälfte der Nationalmannschaft spielt im Ausland

Die Bundesliga ist für Spielerinnen wie sie keine Alternative. Warum das so ist, erklärt der Bundestrainer Giovanni Guidetti, 40, ein Italiener, der seit fünf Jahren den türkischen Topklub Vakifbank Istanbul trainiert und seit sieben Jahren die deutsche Nationalmannschaft. Er kenne Bundesliga-Spielerinnen, die bekämen im Monat 250 Euro, sagt Guidetti: "Bei einem türkischen Spitzenklub bekommt sogar die Nummer 15 eines Kaders noch 25.000 Euro im Monat."

Die Mittelblockerin Corina Ssuschke-Voigt, die bislang ebenfalls noch keinen Arbeitgeber für die nächste Spielzeit hat, erzählte der Berliner Zeitung: "Ich habe in Italien doppelt so viel verdient wie in Dresden, in Tschechien das Dreifache und in Aserbaidschan ungefähr das Fünffache." Libera Lenka Dürr, die sieben Jahren für den Bundesligisten Rote Raben Vilsbiburg gespielt hat, wechselt diesen Herbst erstmals ins Ausland. Beim aserbaidschanischen Erstligisten Igtisadchi Baku verdient sie doppelt so viel wie in Vilsbiburg. Als die mittlerweile zurückgetretene Volleyballheldin Angelina Grün Ende 2011 für ein halbes Jahr nach Russland zu Dynamo Moskau wechselte, taxierte die Branche ihr Monatsgehalt auf 50.000 Dollar.

Es ist also kein Wunder, dass mehr als die Hälfte des deutschen Nationalteams im Ausland spielt: Lenka Dürr in Baku, Kathleen Weiß in Bergamo, Denise Hanke bei Eczacibasi Istanbul, Christiane Fürst bei Vakifbank Istanbul, Maren Brinker in Breslau und Heike Beier in Biala/Polen. Auch die vereinslosen Kozuch, Ssuschke-Voigt und Lisa Thomsen werden noch einen solventen Klub finden.

Türkische Liga die am schnellsten aufstrebende

"Ich entscheide von Jahr zu Jahr, weil sich meine Prioritäten jedes Jahr ändern", sagt Kozuch. Mal seien die Prioritäten persönlich, mal sportlich, mal wirtschaftlich, mal sei es auch einfach ein guter Trainer, unter dem man sich gerne mal entwickeln würde. Die türkische Liga hält Kozuch für die derzeit am schnellsten aufstrebende, die russische ist eine lukrative, in der "mit Größe und Kraft" gespielt werde, während die traditionell starke italienische Liga "eine hohe technische Qualität" aufweise.

Kozuch sagt, sie habe keine Vorlieben, was das Land angeht; sie hat bereits eine gewisse Routine, sich schnell in Kulturen, Städte und Mannschaften zu integrieren. "Nicht jeder hat die Möglichkeit wie wir, andere Länder kennen zu lernen", sagt sie. "Das Schwierigste in all den Jahren war, die jeweilige Sprache nicht sprechen zu können." Die Deutsch-Polin ist zweisprachig aufgewachsen. Englisch, ein bisschen Italienisch und Bruchstücke Russisch sind mit der Zeit hinzugekommen.

Wo aber ist Heimat, wenn man jedes Jahr woanders lebt? "Heimat ist dort, wo die Menschen sind, die ich lieb habe", sagt Kozuch. Deutschlands Volleyballerin der Jahre 2010 bis 2012 verbindet mit dem Begriff Heimat ihre Geburtsstadt Hamburg, wo ihre Eltern leben, und den Großraum Danzig, wo die Familie immer Urlaub macht. "Dort sind meine Wurzeln." Halbwegs in der Mitte, nämlich in Berlin, will Margareta Kozuch am Samstag Europameisterin werden. Das Interesse an ihren Fotos könnte dann noch einmal schlagartig aufbranden.

© SZ vom 11.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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