Uwe Gensheimer:Die letzte Mission des Gummiarms

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Ein letzter großer Wurf: Uwe Gensheimer verlässt die Rhein-Neckar Löwen in Richtung Paris - vorher will er noch Meister werden. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Jahrelang blieb Uwe Gensheimer den Rhein-Neckar Löwen treu. Nun wechselt er im Sommer nach Paris - und kann im letzten Spiel erstmals Meister werden.

Von Michael Wilkening, Mannheim

Es sind emotionale Tage für den Handballer Uwe Gensheimer. Am Mittwoch brachte seine Frau einen Sohn zur Welt. Und an diesem Sonntag kann der Linksaußen der Mannheimer Rhein-Neckar Löwen den größten Erfolg seiner sportlichen Karriere feiern, in einer kleinen Halle in Ostwestfalen-Lippe. Nun ist Gensheimer ein vielerorts bekannter Sportler, er ist Nationalspieler, Europapokalsieger, hat an Europa- und Weltmeisterschaften teilgenommen. Doch in Lübbecke, da kann sich am Sonntag ein Kreis schließen. In seinem letzten Spiel für die Rhein-Neckar Löwen kann Gensheimer erstmals deutscher Meister werden.

Der Fokus der Löwen, die in den vergangenen beiden Spielzeiten jeweils Zweiter wurden, ist voll auf den Titelgewinn ausgerichtet. Besonders für Gensheimer, 29, denn der ist die Symbolfigur des Klubs und der Kapitän dieser Mannschaft, der bisher der Makel anhaftet, nichts Großes gewinnen zu können. "Dieser Ruf ist erst weg, wenn wir endlich diese Meisterschale geholt haben", sagt Gensheimer wenige Tage vor dem Abschied von den Löwen, als er im Videoraum des Trainingszentrums in Kronau sitzt, er wirkt entspannt. Dabei ist der Gewinn der Meisterschaft für ihn nicht irgendein Ziel oder irgendeine Aufgabe. Er ist eine Mission.

Im vergangenen Herbst hatte Gensheimer angekündigt, sich von diesem Sommer an dem Starensemble von Paris Saint-Germain anschließen zu wollen. Der finanzstarke Klub, der wie die Fußballer von PSG mit Hilfe einer Investorengruppe aus Katar an die europäische Spitze gelangen will, warb intensiv um den Deutschen, der weltweit zu den besten Spielern auf der Linksaußen-Position zählt. Der Kapitän der Nationalmannschaft gilt als "der Mann mit dem Gummiarm", weil er außergewöhnliche Trickwürfe beherrscht. Vier Mal hintereinander wurde er zwischen 2011 und 2014 von den Fans zum Handballer des Jahres gekürt.

Mit dem Fahrrad zur Spielhalle

Seine gesamte Profikarriere verbrachte der außergewöhnliche Handballer bislang bei den Löwen, die ihre Heimspiele in Mannheim austragen, die Arena kann man von seinem Elternhaus mit dem Fahrrad in einer Viertelstunde erreichen. "Ich empfinde Dankbarkeit, weil es nicht vielen Leistungssportlern möglich ist, ihr Hobby an ihrem Heimatort zum Beruf zu machen", begründet er den Entschluss, erst im Alter von 29 Jahren der Verlockung zu erliegen, in Paris eine andere Sprache, eine andere Kultur und ein anderes Gehaltsniveau kennenlernen zu können.

"Ich hätte schon viel mehr Titel gewinnen können", sagt er. Immer wieder erhielt der Nationalspieler lukrative Anfragen von den Topklubs in Europa. Der THW Kiel wollte sich seine Dienste ebenso sichern wie der ruhmreiche FC Barcelona, doch Gensheimer blieb dem Verein treu, bei dem er 2003 als 17-Jähriger den Durchbruch in der Bundesliga geschafft hatte. Er jagte mit den Löwen seinem Traum nach. "Mit den Löwen Meister zu werden, hätte für mich eine viel höhere Bedeutung, als das mit irgendeinem anderen Klub zu schaffen", erklärt er.

Obwohl der Sport keine Gerechtigkeit kennt, sondern mitunter brutal emotionslos ist, scheint er für Gensheimer eine Ausnahme machen zu wollen. Denn nachdem er mit den Löwen die Wucht der Enttäuschung regelmäßig hat durchleben müssen, wird sein Wunsch nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft ausgerechnet zum Abschied erfüllt. Es wirkt wie eine Fügung des Schicksals. Beim Tabellenletzten TuS N-Lübbecke, dessen Abstieg seit Wochen feststeht, benötigt der Tabellenführer einen Zähler, um den Titelgewinn perfekt zu machen.

Für Andy Schmid, mittlerweile nicht nur ein Teamkamerad, sondern ein Freund von Gensheimer, fühlt sich das letzte von 32 Saisonspielen in der Bundesliga wie eine "Prüfung an, für die man sehr gut gelernt hat und alles kann". Und doch, sagt der Spielmacher, "ist da noch dieser Tick Ungewissheit, diese Anspannung unmittelbar vorher." Einen Punkt Vorsprung haben die Badener auf die SG Flensburg-Handewitt, dazu das deutlich bessere Torverhältnis. Niemand hat ernste Zweifel, dass die Badener auch den letzten Schritt gehen.

Nur ein Titel mit Mannheim

Etwa 1000 Fans wollen die Löwen nach Ostwestfalen begleiten, mit der Mannschaft einen Sieg bejubeln und anschließend Tränen der Rührung vergießen, wenn ihr Kapitän die Meisterschale in den Händen hält. Gensheimer wird sich ebenfalls Tränen aus den Augen wischen müssen. "Jeder, der mich kennt, weiß ja, was es für mich bedeutet", sagt er. Als die Löwen vor drei Jahren den EHF-Cup gewannen und damit zum ersten Mal einen Pokal überreicht bekamen, sackte Gensheimer in der Schlusssekunde auf dem Spielfeld zusammen. Die Beine trugen ihn nicht mehr, als er von den Emotionen übermannt wurde, Tränen der Freude liefen die Wangen herunter. Wer den Löwen-Kapitän an Pfingsten 2013 erlebt hat, bekommt eine ungefähre Vorstellung davon, welche Emotionen sich am Sonntag ihren Weg bahnen werden.

Gensheimer hat in den zurückliegenden Jahren oft erlebt, wie unerbittlich Leistungssport ist. Fast immer war er auf der Seite der Verlierer und sah den Siegern beim Feiern zu. Neunmal, so oft wie kein zweiter Handballer, war er beim Final Four um den DHB-Pokal in Hamburg, ohne einmal den Pokal in den Händen zu halten. Vor zwei Jahren verpasste er mit den Löwen die Meisterschaft wegen zweier mickriger Treffer, die der THW Kiel in einem dramatischen Schlussspurt am Ende vorne war. Uwe Gensheimer kennt den Misserfolg und kann den Erfolg deshalb in besonderem Maß genießen. "Er hat diesen Abschied mit dem Titel verdient", sagt Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen. Und zumindest in Mannheim würde ihm wohl niemand widersprechen wollen.

© SZ vom 05.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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