US-Basketball:Witz mit goldener Botschaft

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Der Triumph der Golden State Warriors ist das Zeugnis kluger Kaderplanung.

Von Jürgen Schmieder, Cleveland/Los Angeles

Am Dienstagabend wurde er wieder vergeben, dieser schreckliche Titel, der im amerikanischen Sport so bedeutsam ist und über den sich so vortrefflich debattieren lässt. Nein, es geht nicht darum, dass der Meister in der nordamerikanischen Basketballliga NBA gemeinhin auch als World Champion, als Weltmeister bezeichnet wird. Darüber lässt sich in dieser Spielzeit nun wahrlich nicht streiten, die Golden State Warriors haben sich diesen Titel redlich erarbeitet, als erfolgreichster Klub der regulären Saison und am Ende durch ein beeindruckendes 105:97 im sechsten Spiel der Finalserie bei den Cleveland Cavaliers.

Es geht um die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler, zum so genannten MVP. Die Wahl ist deshalb knifflig, weil niemand so genau definieren kann, was das eigentlich ist, ein wertvoller Spieler. Die Suche nach dem besten Spieler dieser Serie wäre schnell beendet gewesen: Das war LeBron James von den unterlegenen Cavaliers, der mit übernatürlichen Leistungen in fünf der sechs Partien (im Schnitt 35,8 Punkte, 13,3 Rebounds und 8,8 Zuspiele pro Spiel) überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass dieses Duell mit den Warriors so ausgeglichen und teilweise dramatisch gewesen ist.

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(Foto: Jason Miller/AFP)

Die goldene Kugel gehört ihnen: Curry (l.) und Iguodala waren die entscheidenden Akteure der Golden State Warriors in der Finalserie gegen Cleveland.

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(Foto: David Richard/USA Today Sports)

Abgehoben: Andre Iguodala, der hier einen Dunk in Vollendung zeigt, wurde zum MVP - zum wertvollsten Spieler - der Finalserie gekürt.

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(Foto: Jason Miller/AFP)

Das Spiel: Die Cleveland Cavaliers wehren sich mit Anführer LeBron James zwar mit allen Mitteln - das alleine reicht gegen diesen Gegner jedoch nicht.

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(Foto: David Richard/USA Today Sports)

Das erste und dritte Viertel geht an die Warriors mit Stephen Curry (l.), im zweiten und vierten punktet Cleveland mit Matthew Dellavedova (r.) mehr.

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(Foto: Timothy A. Clary/AFP)

Zudem kann James (l.) auch in Spiel sechs wieder zahlreich punkten. Doch die Defensive der Warriors um Daymond Green (r.) verteidigt den eigenen Korb.

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(Foto: Jason Miller/AFP)

Das Spiel ist kurz vor Ende entschieden, spannend wird es nicht mehr. Die Golden State Warriors gewinnen mit 105:97 und der Jubel ist riesengroß.

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(Foto: Jason Miller/AFP)

Meistermacher: Warriors-Trainer Steve Kerr änderte auch diesmal seine Startaufstellung - ein entscheidender taktischer Eingriff, der zum Sieg führte.

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(Foto: Larry W. Smith/dpa)

Die Warriors sind nun einer von fünf NBA-Klubs mit vier oder mehr Meisterschaften. Halten sie ihren Kader zusammen, stehen bald weitere Titel bevor.

Zum wertvollsten Akteur dieser Finalserie wurde Andre Iguodala erklärt. Das ist eine verblüffende Wahl, hatte Iguodala doch während der regulären Saison keine Partie von Beginn an bestritten und saß auch in den ersten drei Partien der Finalserie zunächst auf der Ersatzbank. Iguodala, 31, ist keiner für die spektakulären Momente einer Partie, er ist kein Halbbruder der Splash Brothers genannten Stephen Curry und Klay Thompson, er ist noch nicht einmal ein entfernter Verwandter; Punkte (16,3 pro Partie gegen Cleveland) und Rebounds (5,8) liegen im durchschnittlichen Bereich. Er ist jedoch ein vorzüglicher Verteidiger, ein zuverlässiger Blocksteller für seine Kollegen, ein mannschaftsdienlicher Kämpfer, der seine Degradierung zum Ersatzspieler zu Beginn der Saison als Herausforderung begriffen hat.

Iguodala hatte die ersten 758 Partien seiner mittlerweile zehn Jahre dauernden Karriere von Beginn an bestritten, zu Beginn dieser Saison setzte ihn der neue Trainer Steve Kerr auf die Bank. Der erklärte seine Entscheidung mit positiven Worten ("Das ist keine Degradierung, er ist nun der Anführer der zweiten Garde und wird ähnlich viele Minuten spielen"), einem Seitenhieb auf sich selbst ("Natürlich ist er böse, weil ihn der blöde Trainer nicht von Beginn an auflaufen lässt") und der Hoffnung für Iguodala: "Ich habe ihm immer gesagt, dass sein großer Auftritt noch kommen würde." Dieser Auftritt kam, nach drei Partien der Finalserie, bei denen sich LeBron James als Ein-Mann-Büffelherde durch die gegnerische Defensive gepflügt hatte und die Verteidiger bisweilen älter hatte aussehen lassen, als die jemals werden. Die Cavaliers führten mit 2:1, die Warriors wirkten nervös, sie hatten Angst vor diesem Superhelden aus Cleveland. Kerr änderte seine Startaufstellung, es war ein taktischer Kniff, den Gegner mit kleinen und flinken Spielern zu attackieren - vor allem aber verteidigte nun der erfahrene Iguodala gegen James. Der erzielte zwar noch immer viele Punkte, die Effizienz jedoch sank deutlich. Iguodala dagegen explodierte auch in der Offensive, in den letzten drei Partien schaffte er durchschnittlich mehr als 20 Punkte. "Ach, das ist doch alles unwichtig", sagte Iguodala danach: "Verteidigen, werfen, Blöcke stellen - man macht eben das, was der Mannschaft hilft." Die Wahl zum MVP der Finalserie ist nicht verblüffend. Sie ist verdient.

Der altruistische Arbeiter Iguodala als wertvollster Spieler, das ist eine goldene Botschaft an diese Liga, so wie der Titel der Golden State Warriors eine goldene Botschaft ist: Das beste Team der Welt hat sich nicht niederringen lassen vom besten Spieler der Welt. Es ist zugleich ein Zeugnis für virtuose Kaderplanung über Jahre hinweg: Die Manager Larry Riley (bis 2012, seitdem Chefscout) und Bob Myers verpflichteten Curry und Thompson als Nachwuchsspieler, sie wehrten sich gegen Blockbuster-Transfers (vor der Saison war ihnen Kevin Love für Thompson angeboten worden) und überdimensionierte Verträge. Vor allem aber ist der Titel ein Zeugnis dafür, sich selbst und diesen Sport doch nicht so ernst zu nehmen. Kerr sagte kürzlich: "Wir verdienen unser Geld mit Basketball? Das ist doch ein Witz! Man darf bei allem Streben nach großartigen Leistungen niemals vergessen, wie absurd das alles ist."

Kerr stellte am Dienstag indes auch klar, dass es absurd gewesen wäre, wenn die Warriors nach einer Durststrecke von 40 Jahren in dieser Spielzeit nicht den Titel gewonnen hätten und dass die Meisterschaft keineswegs wie von James angedeutet ("Wir haben großartig gespielt, aber wir hatten kein Glück und viele Verletzte") Zufall oder gar Glück gewesen sein könnte: "Wir hatten die beste Verteidigung der Liga. Wir haben die meisten Punkte erzielt. Wir haben die meisten Zuspiele zu Korberfolgen geschafft. Wer diese Kombination erreicht, der ist ziemlich gut. Wer aber einen Titel gewinnen möchte, der muss den Gegner zu einer schlechten Wurfquote zwingen - und wir waren auch in dieser Statistik die Nummer eins."

Die Warriors sind nun einer von nur fünf NBA-Klubs mit vier oder mehr Meisterschaften (Boston Celtics, Los Angeles Lakers, Chicago Bulls, San Antonio Spurs). Die Verträge mit den Akteuren sind so gestaltet, dass der Kern des Kaders mindestens zwei Spielzeiten so aussehen dürfte. Nur Draymond Green, noch so ein unermüdlicher Arbeiter während der Finalserie, darf von anderen Klubs gelockt werden - die Warriors könnten ihn durch ein Angebot mit gleichem Gehalt zum Verbleib zwingen. "Ich kann den Fans sagen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen", sagt Bob Myers: "Wir mögen unseren Kader und würden ihn gerne so behalten." Nach dieser Saison ist dieser Ansatz der Golden State Warriors mehr als nachvollziehbar.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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