Türkei:Jenseits aller Muster

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Grimmiger Beobachter: Trainer Fatih Terim. (Foto: Murad Sezer/Reuters)

Schon im dritten WM-Qualifikationsspiel steht die Türkei in Island gehörig unter Druck. Trainer Fatih Terim agiert wie immer: herrisch und undurchschaubar.

Von Tobias Schächter, München

Größer könnte der Unterschied kaum sein zwischen den beiden Gegnern dieses wichtigen WM-Qualifikationsspiels der Gruppe I in Reykjavik (Sonntag, 20.45 Uhr): Gastgeber Island gelang bei der EM in Frankreich mit seinem beherzten Underdog-Fußball der Einzug ins Viertelfinale und gewann die Sympathien der Fußballwelt. Die Mannschaft ist weiterhin auf der Erfolgswelle unterwegs, am Freitag gewann sie mit ihrem neuen Trainer Heimir Hallgrimsson in den letzten Minuten nach einem 1:2-Rückstand noch 3:2 gegen Finnland. Gegner Türkei hingegen stand sich bei der EM wieder einmal mit internen Querelen selbst im Weg, das ruhmlose Vorrunden-Aus wirkt noch immer nach und belastet die bisherige WM-Kampagne. Gegen die Ukraine schafften die Türken in Konya durch Hakan Calhanoglus verwandelten Elfmeter lediglich noch das späte 2:2. Mit nur zwei Punkten stehen die Türken in Island unter Zugzwang, nur der Tabellenerste schafft die Direktqualifikation in der starken Gruppe.

Doch in der Türkei geht es vor dem Anpfiff am Sonntag vor allem um Trainer Fatih Terims Kaderpolitik, seine streitbare Taktik und die rätselhafte Ausbootung der bisherigen Korsettstangen Arda Turan, Selcuk Inan und Burak Yilmaz. Wie Fatih Terim tickt, ist kein großes Geheimnis, seit fast 30 Jahren prägt der mittlerweile 63-Jährige den Fußball in der Türkei. Er ist verantwortlich für große Erfolge wie den Gewinn des Uefa-Pokals mit seinem Stammklub Galatasaray im Jahr 2000, und er führte die Türken bislang einmalig bis in ein EM-Halbfinale, das die Milli Takim 2008 in Basel nur knapp gegen Deutschland verlor (2:3 durch ein spätes Tor von Philipp Lahm).

Wie ein Vater - im guten wie im schlechten Sinn

Aber mit Terim werden auch dunkle Momente des türkischen Fußballs verbunden. Im November 2005 beispielsweise scheiterte die durch nationalistische Töne ihres Trainers aufgestachelte Mannschaft in den Playoff-Spielen zur Qualifikation für die WM 2006 an der Schweiz. Nach dem Aus kam es zu Schlägereien zwischen Spielern und Offiziellen beider Teams, auch Terims damaliger Co-Trainer gehörte zu den Schlägern.

Terim ist kein Stratege, er ist einer, der bedingungslose Unterordnung von seinen Spielern fordert: Er macht Spieler zu Stars - und er lässt sie auch wieder fallen. In jedem Fall aber ist klar, wer die Macht hat: Terim. Im besten Fall folgen ihm seine Spieler wie Söhne ihrem Vater, im schlechtesten Fall führen seine brachialen Methoden und rauen Ansprachen zu schnellem Verschleiß zwischen Team und Trainer.

Während der EM in Frankreich kam es offenbar zum Bruch zwischen dem Vater und einigen seiner Söhne. Es gab intern Streit um Prämienausschüttungen, Taktik und Aufstellung. Und weil im Fußball der Türkei immer Sündenböcke gesucht werden, wenn etwas schief geht, standen vor allem Terim und sein bei der EM so enttäuschender Ziehsohn Arda Turan im Sommer im Fokus der Kritik. Nach der EM kam es zum offenen Bruch zwischen Terim und Arda. Der Offensivspieler vom FC Barcelona wurde seither ebenso nicht mehr berufen wie Mittelfeldtaktgeber Selcuk Inan und der erste Stürmer Burak Yilmaz.

Warum, wollen weder Terim noch sein langjähriger Kapitän Arda erklären. Fakt ist aber, dass zu der immensen Machtfülle, die Terim in seiner dritten Amtszeit als türkischer Nationaltrainer genießt, auch die eigenhändige Verteilung der Prämien gehört. Offenbar lobte Terim während der EM für die Spieler unterschiedliche Prämien aus - was zu Verdruss im Team geführt haben soll. Dass der Demission von Arda, Selcuk und Burak der Prämienstreit zugrunde liegt, wurde jüngst aber sowohl von Terim als auch von Arda dementiert. Arda ist nach zunächst irritierten Reaktionen auf seine Ausbootung nun auf Kuschelkurs und sagt, dass er gerne wieder für sein Land spielen wolle. Geht es also doch nur um eine Machtdemonstration von Terim?

Einer der Top-Verdiener unter den Nationaltrainern in Europa

Der Trainer steht unter Druck. Vergangene Woche wurden das Gehalt und andere Details aus Terims Vertrag bis 2018 öffentlich, die erklären könnten, warum er noch immer im Amt ist. Mit 3,5 Millionen Euro pro Jahr gehört er zu den Top-Verdienern unter den Nationaltrainern in Europa, bei einer vorzeitigen Entlassung wäre laut einem Medienbericht als Abfindung die ganze Summe bis Vertragsende fällig. Dass derlei an die Öffentlichkeit kommt, zeigt, dass Terim im Verband wohl nicht mehr nur Freunde hat.

Terims Personalpolitik ist nur noch schwer zu durchschauen. Gegen die Ukraine gab der Leverkusener Profi Ömer Toprak nach fast zwei Jahren sein Comeback. Toprak wollte die Einladungen zur Nationalelf nicht mehr annehmen, nachdem er nach einer Partie von Mitspieler Gökhan Töre bedroht worden war. Ein Freund Töres hatte Toprak nach einem Streit um eine Frau dabei eine Pistole an den Kopf gehalten. Toprak erzählte danach verstört, Töre habe mit seinem Leben gespielt. Terim äußerte sich nie öffentlich dezidiert zu der sogenannten "Pistolen-Affäre". Nachdem Toprak aber nun wieder spielt, erklärte der Trainer: Dessen Berufung habe nichts damit zu tun, dass Töre derzeit im Kader fehle.

Vieles, was Terim tat und tut, entzieht sich gängigen Mustern. Im besten Fall führt es zu überraschenden Triumphen - im schlechtesten Fall ins Chaos. Wohin sich der Weg in der WM-Qualifikation entwickelt, entscheidet sich vielleicht schon früh: an diesem Sonntag in Reykjavik.

© SZ vom 09.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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