TSV 1860:Das große Jammern

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"Diese Außenposition ist nichts für mich": Ivica Olic, 36, gibt dem Trainer Aufstellungstipps. (Foto: Philippe Ruiz/Imago)

Der Zweitligist ist ein schwieriges Pflaster für einen Umbruch - nach der Niederlage am ersten Spieltag überbieten sich die Beteiligten an Lösungsvorschlägen, um die Lage beim kostspielig verstärkten Klub wieder zu beruhigen.

Von Markus Schäflein

Die Menschen im Biergarten des Löwenstüberls rissen die Augen auf, sie starrten auf ihren Helden, und nachdem Stefan Aigner vom Platz geschlichen war, gingen die Debatten los: weshalb der TSV 1860 München selbst, wenn alles für eine bessere Zukunft gerichtet zu sein scheint, immer ein Drama ist. "Aigner bricht Training ab!", berichteten die Boulevardzeitungen im Internet, ein Blog schrieb von einem "Löwen-Schock". Ein paar Stunden später berichtete die Presseabteilung des Fußball-Zweitligisten von einer "unauffälligen MRT"; der vom Erstligisten Eintracht Frankfurt kostspielig zurückgeholte Mittelfeldspieler kann an diesem Sonntag (15.30 Uhr) gegen Arminia Bielefeld mitwirken. Aber die Aufregung um Aigner zeigte, wie angespannt die Lage in Giesing schon wieder ist.

Die neu und ambitioniert zusammengestellte Mannschaft hat am ersten Spieltag 0:1 bei der SpVgg Greuther Fürth verloren, wobei Aigner so unauffällig blieb wie seine Magnetresonanztomographie und auch der andere neue A-Prominente, Angreifer Ivica Olic, nicht viel auszurichten vermochte. Angesichts von sieben Zugängen in der Startelf war es wenig überraschend, dass vorne und hinten nichts passte und die Fürther gut und gerne 4:0 hätten gewinnen können. Enttäuscht waren trotzdem alle, schließlich hatte der jordanische Investor Hasan Ismaik seinem Klub so viel Geld für den Kader geliehen.

Am Ende sahen sich die Beteiligten zu Rechtfertigungen genötigt, Trainer Kosta Runjaic sowieso: "Weil wir den Kader sehr spät zusammengestellt haben, müssen wir die Spieler über die Spiele auf ihr Level bringen." Aber auch Olic wollte sich erklären: Unter der Woche berichtete der frühere Stürmer des FC Bayern in der Bild-Zeitung, seine Position auf dem linken Flügel habe ihm nicht behagt. "Diese Außenposition ist nichts für mich", sagte der 36-jährige Kroate. "Da helfe ich gerne mal aus, aber ich gehöre in die Mitte, da kann ich mein Bestes geben. Das habe ich auch dem Trainer gesagt. In Zukunft wird mein Platz sicherlich in der Zentrale sein."

Runjaic hingegen betonte am Freitag, es könne durchaus sein, dass er die Aufstellung abgesehen von den Außenverteidigerpositionen - Maxi Wittek kehrt nach seiner Sperre aus der vergangenen Saison zurück - für Bielefeld gar nicht verändern werde. Einige Personalien hatten die Anhänger schon durchdekliniert, es finden sich angesichts eines riesigen Kaders aus Altgedienten, Prominenten und dazugeholten brasilianischen Talenten auch genügend Möglichkeiten. Einige waren der Meinung, der bewährte Abräumer und Relegationsheld Kai Bülow solle doch wieder mitwirken, andere hätten gerne den 20-jährigen Victor Andrade auf der Außenbahn gesehen, dem Runjaic aber erst beibringen will, wie man es vermeidet, nach 20 Minuten vom Platz zu fliegen. Der behäbige, aber bei Standards starke Österreicher Michael Liendl wurde ebenso in Erwägung gezogen. Und Olic in die Mitte, das war sowieso das große Thema. Weichen könnte Stefan Mugosa, der bei den Fans wenig Kredit besitzt und in Fürth mal wieder unglücklich agierte.

In jedem Fall muss alles sofort anders, viel besser werden, kein Sieg gegen Bielefeld, und schon steuere Sechzig auf die nächste Katastrophe zu - das ist die Stimmungslage im vor dem Fürth-Spiel noch völlig euphorisierten Giesing. Auch Präsident Peter Cassalette erklärte, er sei "irritiert" von der Leistung, die Niederlage werde gegen Bielefeld 15 000 Zuschauer kosten, und auf jeden Fall solle jetzt Andrade mal mitspielen.

Runjaic staunt, obwohl er den 1. FC Kaiserslautern gewohnt ist, nicht schlecht über die extremen Ausschläge in der Stimmungskurve, die sich nicht allein damit erklären lassen, dass Sechzig ein sogenannter Traditionsverein ist. Vielmehr folgen sie aus einer zehnjährigen Serie von großen Versprechungen und noch größeren Enttäuschungen. Runjaic wirbt um Geduld, der Verein müsse doch irgendwann einsehen, dass er Kontinuität brauche und der Aufbau einer neuen Mannschaft Monate dauern könne. "Wir müssen diese Saison mit Bodenständigkeit und Bescheidenheit angehen", sagt er, "ein Umbruch kann nicht von heute auf morgen gestaltet werden." Die Frage ist nur, ob ihm jemand zuhört.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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