Tschechien:Rosickys letztes Kunstwerk

Lesezeit: 3 min

Das 105. Länderspiel für Tschechien war wohl sein letztes: Tomas Rosicky will nach der EM über seine Zukunft entscheiden. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

In den letzten Jahren war er so oft verletzt, dass er wohl mehr Gitarre für seine Band "Tři sestry" spielte als Fußball: Jetzt verlässt Tomas Rosicky, wie könnte es anders sein, verletzt die große Fußball-Bühne.

Von Sebastian Fischer

Er hat es noch einmal getan. Tomas Rosicky hatte den Ball vor sich liegen, nicht neben dem Standbein, wie es in den Fußball-Lehrbüchern steht, aber das wollte er so, denn Lehrbücher sind nichts für Künstler. Rosicky lehnte den Rumpf zurück und senkte den Oberkörper nach vorne - wie ein alter, weiser Mann, der entspannt und aufmerksam in seinem Sessel sitzt. Dann erlaubte er sich einen Spaß. Einen, bei dem die Jungs um ihn herum, die vorher nicht zugehört hatten, plötzlich verstummten.

Rosicky flankte, streichelte, liebkoste den Ball mit seinem Außenrist in den Strafraum der Kroaten, und Milan Skoda erzielte mit dem Kopf den 1:2-Anschlusstreffer für Tschechien. Es war ein wunderbares Tor, eine Szene dieser EM, die bleiben wird: wegen der Vorlage. Es war auch ein tragisches Tor. Denn Tomas Rosicky hat das, was er am liebsten macht, zum letzten Mal getan. Jedenfalls auf großer Bühne.

In Deutschland ließ "Schnitzel" den Graubrotfußball vergessen

Die Auftritte des Spielmachers der tschechischen Nationalmannschaft waren von Beginn dieser EM an mit Argwohn begleitet worden. Ist Rosicky, 35, überhaupt noch fit genug, um das Team als Kapitän anzuführen? Bei seinem Verein, dem FC Arsenal, hat er in der vergangenen Saison nur 19 Minuten gespielt. Er war verletzt, zuerst warf ihn eine Knie-OP zurück, dann eine Oberschenkelverletzung. Doch im tschechischen Team war der Kapitän dennoch unangefochten. "Wenn er fit ist, ist er unser bester Mann", sagte Trainer Pavel Vrba.

Im Sommer 2000 spielte er sein erstes Turnier an der Seite von Pavel Nedved, im Winter wechselte er zu Borussia Dortmund, für damals 25 Millionen Mark. Rosicky kam zu einer Zeit nach Deutschland, in der die Verteidiger noch Manndecker waren und für grobe Fouls gelobt wurden, Respekt verschaffen hieß das. Es war bezeichnend, dass Rosicky in Deutschland "Schnitzel" hieß, weil er, 20 Jahre alt und schmächtig, doch besser mal eines essen sollte.

In seiner Heimat hieß er immer "kleiner Mozart", es war der viel bessere Spitzname. Rosicky erschuf Sinfonien mit dem Ball, er dribbelte sich durch die Bundesliga, passte in Räume, die er selbst erfand. Hinter ihm flatterten die gescheitelten Haare. Er posierte zwischen bunten Luftballons für die Bravo, führte den BVB zur Meisterschaft 2002 - und brachte den damals abgestumpften Deutschen das schöne Spiel näher, nach jahrelangem Graubrotfußball.

Auch wenn er später nach London wechselte und dort zu einem der Lieblingsspieler von Arsène Wenger wurde, war er bei der EM 2004, damals noch in Dortmund unter Vertrag, auf dem Höhepunkt seines Könnens. In einem der besten EM-Spiele des vergangenen Vierteljahrhunderts, dem 3:2 der Tschechen gegen Holland während der Gruppenphase, überragte Rosicky als kämpfender und taktgebender Regisseur, Tschechien scheiterte damals erst im Halbfinale am griechischen Abwehrbollwerk. Und nun ist eine Europameisterschaft wohl Rosickys letzter Karrierehöhepunkt, vielleicht gar sein Karriereende.

In den vergangenen Jahren war er so oft verletzt, dass er wohl mehr Gitarre für seine Rockband "Tři sestry" spielte als Fußball; er hätte, gemessen an seinem Talent, wohl ein noch viel größerer Spieler werden können - wären da nicht seine ständigen körperlichen Leiden. Für die EM 2016 hat sich Rosicky noch einmal zurückgekämpft, zum dutzendsten Mal. Er habe auch schon über das Karriereende nachgedacht, gab er vor dem Turnier zu, und erzählte die Geschichte eines Jungen, der ihm aus einem Flüchtlingslager einen Brief schrieb: Er wollte Rosicky noch einmal spielen sehen.

In seinem 104. Länderspiel gegen Spanien musste Rosicky noch den Spanier Iniesta bewachen, er hatte seine Mühe mit dem Mann vom FC Barcelona. Doch in seinem 105. Spiel gegen Kroatien blühte Rosicky auf, er spielte noch einmal seinen Lieblingspass mit dem Außenrist, den ihm Matthias Sammer beim BVB angeblich einst abgewöhnen wollte. Und dann zwickte bei einem Sprint in der Schlussphase des Spiels plötzlich der Oberschenkel, Muskelfaserriss. Zum Ende des Spiels bewies er seinen Kritikern, dass er mehr ist als bloß ein starker Techniker. Trotz Schmerzen humpelte er weiter durch den eigenen Strafraum und half, das 2:2 zu verteidigen, Tschechien hatte bereits dreimal gewechselt.

Die Tschechen hoffen noch auf das Achtelfinale, doch Rosicky wird ihnen nicht mehr helfen können, der Muskel ist zu ramponiert. Und nach dem Turnier? In London ist sein Vertrag nicht verlängert worden, es ist noch nicht klar, ob und wo Rosicky in Zukunft weiter Fußball spielt. "Ich habe vor der EM gesagt, dass ich erst nach dem Turnier in Ruhe alles analysieren und schauen will, wie es insgesamt weiter geht. Das gilt immer noch", sagte er. Im letzten Gruppenspiel gegen die Türkei werde die Mannschaft ein "wunderbares Spiel abliefern". Ihr wunderbarer Spielmacher wird nur noch zuschauen.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: