Tschechien:Rosickys Erbe

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13,1 Kilometer lief Vladimir Darida in der vergangenen Bundesliga-Saison im Schnitt pro Partie - als Ersatz für den Spielmacher Tomas Rosicky will er nun auch seine kreativen Fähigkeiten nachweisen. (Foto: Jason Cairnduff/Reuters)

Angeführt von Darida wollen sich die Tschechen fürs Achtelfinale qualifizieren - und eine bittere Niederlage vergessen machen.

Von Ulrich Hartmann, Lens/Saint-Etienne

Vladimir Darida ist der fleißigste Mann der Bundesliga. 13,1 Kilometer rannte er in der vergangenen Saison im Schnitt pro Spiel für Hertha BSC. Auf solche Distanzen brachte es kein anderer Bundesliga-Profi. Weil der 25-jährige Tscheche zudem kreativ und technisch beschlagen ist, stand er sogar auf der Beobachtungsliste von Real Madrid.

An diesem Dienstag (21 Uhr) jedoch steht Darida zunächst vor der größten Herausforderung seiner Karriere. Aber nicht, weil er Beobachtern aus der spanischen Hauptstadt gefallen möchte. Er spielt mit seiner tschechischen Mannschaft in Lens um den Einzug ins Achtelfinale. Sie benötigen dazu einen Sieg gegen die Türkei. Darida wird voraussichtlich das Spiel seiner Tschechen gestalten, weil sich Tomas Rosicky einen Muskelfaserriss zugezogen hat und bei dieser EM nicht mehr zum Einsatz kommt. Ziemlich sicher ist, dass Darida am Ende mehr als 13,1 Kilometer absolviert haben wird. An seiner Laufbereitschaft soll es nicht scheitern.

In den ersten beiden Spielen gegen Spanien (0:1) und Kroatien (2:2) hat Darida auf der Doppel-Sechs vor der Abwehr an der Seite von Jaroslav Plasil gespielt. Diesmal müsste er vorrücken und die zentral-offensive Zehner-Position einnehmen. "Ich habe diese Position bei der Hertha öfter gespielt und traue mir das schon zu", sagt er. "Trotzdem ist Tomas natürlich ein schmerzlicher Verlust; wir werden für ihn kämpfen und können das auch schaffen." Ein Remis würde kaum genügen. Mit zwei Punkten wird man es als Gruppendritter kaum unter die vier besten Dritten der sechs Gruppen schaffen. Aber mit einem Sieg und dann vier Punkten stünden die Chancen gut.

In Tschechien kommen angesichts dieser Konstellation gerade angstvolle Erinnerungen an den 15. Juni 2004 auf, als die Mannschaft in Genf im letzten EM-Gruppenspiel mit einer vergleichbaren Ausgangssituation ebenfalls auf die Türkei getroffen war. 2:0 durch Tore von Jan Koller und Plasil hatten sie damals geführt, den sicher erscheinenden Sieg durch Gegentore in der 75., 87. und 89. Minute aber noch aus der Hand gegeben. Damit waren sie ausgeschieden. Die Rechnung mit den Türken ist bis heute offen.

Dass die Mannschaft so eine Aufholjagd aber auch selbst hinbekommt, hat sie izuletzt gegen Kroatien bewiesen, als sie bis zur 76. Minute 0:2 hinten lag und durch Milan Skoda (76.) und Tomas Necid (90.+3) noch zum 2:2 kam. Der unverhoffte Doppelschlag wahrte jene Achtelfinal-Chance, die die Tschechen nun gegen die bislang enttäuschenden Türken nutzen wollen.

Mittelstürmer Necid würde kaum zögern, mit einem späten Tor auch diesmal für tschechischen Jubel zu sorgen. Aber mit ein bisschen Ärger müsste er dann im Spätsommer vermutlich rechnen, wenn er zu seinem Klub Bursaspor in die türkische Süper-Lig zurückkehrt. Auch Innenverteidiger Tomas Sivok spielt seit einem Jahr für Bursaspor, nachdem er sieben Jahre lang bei Besiktas Istanbul war. In David Pavelka und Michal Kadlec sind zwei weitere tschechische Nationalspieler in der Türkei aktiv, aber im Gegensatz zu Pavelka (Kasimpasa Istanbul) wird der frühere Leverkusener Kadlec nicht nach Istanbul (zu Fenerbahce) zurückkehren. Er wechselt nach der EM zu Sparta Prag.

An der türkischen oder tschechischen Liga wird Darida kein Interesse nachgesagt. Real Madrid würde ihn reizen, aber an einen Wechsel glaubt er dem Vernehmen nach eher nicht. Dass er trotzdem auf einem guten Weg zum Ruhm ist, beweist der tschechische Werbespot einer Supermarktkette, in der Darida vom Einkaufen kommt und einer Horde Jungs im Park seine vollgepackten Tüten als Torpfosten hinstellt. Dann legt sich aber plötzlich jemand anderes den Ball zum Elfmeter hin, läuft an und schießt ihn ins Supermarkttütentor. Es ist Antonin Panenka. Vor 40 Jahren wurde er mit Tschechien Europameister, als er gegen Deutschland den letzten Elfmeter verwandelte.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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