Tischtennis:Mehr Schlagkraft durch das Mittel Z

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Sehen tut man nichts: Die Manipulation von Belägen ist nur mit chemischen Tests nachzuweisen. (Foto: Cyril Zingaro/dpa)

Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov klagen über die unerlaubte chemische Behandlung von Schläger-Belägen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Deutschlands beste Tischtennisspieler Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll waren in den vergangenen Jahren stets sehr höflich, wenn es darum ging, die Dominanz der Chinesen zu erklären. Mehr Spieler, mehr Geld, bessere Bedingungen, besseres Material - es gibt viele Gründe für Chinas Unbesiegbarkeit. Doch kurz bevor es die deutschen Spieler vom übernächsten Wochenende an bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft in Kuala Lumpur wieder mit ihnen aufnehmen, ändern Ovtcharov und Boll die Tonart. Sie werfen den Chinesen, aber auch Spielern anderer Nationen die unerlaubte chemische Behandlung der Beläge zur Verstärkung der Schlagkraft vor - und dem Tischtennis-Weltverband zugleich, seit Jahren nichts gegen diesen in der Branche durchaus bekannten Betrug zu unternehmen.

"Vor zweieinhalb Jahren haben Dimitrij und ich es mal auf dem internen Weg versucht, direkt beim Weltverband, aber da ist leider nichts passiert", sagt Boll. Damals war der Präsident noch Adham Sharara, ein Kanadier. "Deshalb fanden wir es legitim, den Zustand mal öffentlich anzusprechen." Mittlerweile fallen die Vorwürfe in die Zuständigkeit des neuen Präsidenten: Thomas Weikert aus Limburg in Hessen.

Seit 2008 ist jegliche Behandlung von Belägen verboten, was aber nicht heißt, dass dies nicht geschieht. "Man kann Beläge manipulieren, indem man Chemikalien etwa in Form von Ölen aufträgt, dadurch expandieren die Gummibeläge, sie spannen sich", erklärt Boll. Dadurch erzielt der Spieler beim Schlag einen höheren Katapulteffekt. Der Ball fliegt schneller, härter und weiter. Beim Weltverband ahnen sie solchen Betrug und kontrollieren die Schläger ja auch durchaus. "Aber die jetzigen Messmethoden können nicht alles nachweisen", sagt Boll, "das ist wahrscheinlich wie beim Doping: Man sucht nach den Mitteln X und Y, aber es wird mittlerweile schon das Mittel Z benutzt."

Boll hat sich mit seinem Weg, die Vorwürfe öffentlich zu machen, in Spielerkreisen und im Weltverband keine Freunde gemacht. Präsident des Weltverbandes ITTF ist seit eineinhalb Jahren der Rechtsanwalt Weikert. "Er hat sich ein bisschen angegriffen gefühlt", sagt Boll, "aber ich denke, am Ende hat es schon etwas gebracht, denn es gab einen Austausch, und es gibt auch Leute aus dem Bereich Physik und Chemie, die sich des Themas angenommen haben." So soll der Regensburger Chemie-Professor Hubert Motschmann ein Kontrollverfahren entwickelt haben, das den verstärkten Katapulteffekt eines behandelten Belages dokumentieren kann. Schon bei der WM könnte das ITTF-Exekutivkomitee über die Einführung dieses Verfahrens beraten.

Die Spieler sind noch skeptisch, was die Entschlossenheit des Weltverbands angeht. "Es ist alles ein schmaler Grat, weil die Ausrüster gleichzeitig Sponsoren des Verbandes sind", sagt Ovtcharov. Er und Boll, beide unter den besten Zehn der Weltrangliste, werfen der ITTF überdies vor, sich etwa bei der Auswahl der neuen Plastikbälle oft nicht für die qualitativ besten zu entscheiden, sondern nach Sponsoren. Es liege vieles im Argen, sagt Ovtcharov: "Bälle, Tische, Beläge - aber ich hoffe, es wird besser." Boll klingt zweifelnd, wenn er sagt: "Die Mühlen mahlen bei uns langsam, wenn überhaupt."

Dass Tischtennis als Leistungssport recht selten in Verruf kommt, macht Boll auch daran fest, "dass es eigentlich schon ein sehr fairer Sport ist". Aber wie in jedem Sport sei es "fast normal, dass Sportler die Grenzen des Erlaubten ausreizen". Was Boll besonders aufgefallen ist: "Die Spieler selbst betrachten die Benutzung solcher Tuning-Öle nicht mal als Unrecht, denn sie passieren damit ja die aktuellen Tests."

Dass neue Kontrollen Turniertableaus zerschießen oder gar Meisterschaftsergebnisse beeinflussen könnten, hält Boll für lohnenswert: "Am Anfang wäre das womöglich so - aber wenn die Strafen streng genug wären, könnte man dadurch sicher viele abschrecken."

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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