Tischtennis:"Ich hatte Angst, dass es mich komplett zerreißt"

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2016 wurde bei Dimitrij Ovtcharov erstmals eine „Reizung des Nervus Obturatorius“ diagnostiziert – nun hoffen die Trainer, dass er sich häufiger schont. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Von Dimitrij Ovtcharov hängt der Erfolg des deutschen Teams ab - wenige Wochen vor der WM fällt er erneut wegen Hüftschmerzen aus.

Von Ulrich Hartmann, Bremen

Für den Kabarettisten Eckart von Hirschhausen ist Tischtennis die ideale Sportart zum Fitbleiben. Vergangene Woche war der promovierte Arzt zu Gast bei den German Open in Bremen und schwärmte: "Tischtennis hat eine positive Wirkung auf Körper und Geist, man bleibt dadurch gleichermaßen mental wie körperlich aktiv." Beim selben Turnier stand Deutschlands Spitzenspieler Dimitrij Ovtcharov mit schmerzverzerrtem Gesicht am Tisch, konnte kaum noch schlagen oder sich bewegen und gab sein Erstrundenspiel wegen Hüftschmerzen entnervt auf. Er sagte: "Ich hatte Angst, wenn ich weiterspiele, dass es mich komplett zerreißt." Am Montag hatte Ovtcharov Termine bei gleich zwei Ärzten in München.

Es ist zwei Jahre her, dass der 29-Jährige solche Schmerzen als "Reizung des Nervus Obturatorius" diagnostiziert bekommen hat. Er hat damals auf die Weltmeisterschaft 2016 verzichtet und sich länger geschont. Nach einem mittelmäßigen Olympia-Auftritt und einer mittelmäßigen Heim-Weltmeisterschaft 2017 in Düsseldorf ist er Ende des vergangenen Jahres so stark zurückgekommen, dass er sogar erstmals zur Nummer eins der Weltrangliste aufstieg. Er war seither auf dem besten Weg, seine Topform zu konservieren, als die Schmerzen Ende Februar plötzlich wieder ausbrachen. Bei den German Open wollte Ovtcharov testen, ob er seinem Körper wieder alles abverlangen kann. Aber er kann nicht. Jetzt ist für ihn ausgerechnet jene Mannschafts-WM in Gefahr, bei der er Ende April zusammen mit Timo Boll und Patrick Franziska eigentlich die Chinesen herausfordern wollte.

Bundestrainer Roßkopf setzt nun auf Spieler aus der zweiten Reihe

Für Boll ist es in Bremen gut gelaufen, für Franziska sogar prächtig. Die beiden haben nicht nur etwas für Körper und Geist getan - Boll ist bei dem hochdotierten Turnier ins Viertelfinale gekommen, Franziska sogar ins Halbfinale. Boll ist am Chinesen Ma Long gescheitert, Franziska am Chinesen Xu Xin. Da ist wieder das branchenübliche Muster zu erkennen, das man auch in fünf Wochen bei der WM sehen wird. Die Chinesen sind nach einer kurzen Schwächephase momentan wieder sehr stabil. Für den Bundestrainer Jörg Roßkopf ist die Unwägbarkeit im Fall Ovtcharov trotzdem kein Grund zur Resignation. Er traut auch Spielern aus der zweiten Reihe wie Ruwen Filus, Bastian Steger und Ricardo Walther gute Leistungen zu.

Doch wenn Ovtcharov ausfällt, ist das etwas anderes, als wenn sich beispielsweise in der Fußballnationalmannschaft ein Spieler verletzt. Boll und Ovtcharov sind mit Abstand die besten deutschen Spieler. Ohne Ovtcharov würde es schon schwer werden, bei der WM im schwedischen Halmstad auch nur ins Halbfinale einzuziehen. Roßkopf glaubt offenbar, Ovtcharov habe es in den vergangenen Monaten übertrieben. Der Bundestrainer sagt: "Er muss lernen, besser zu dosieren, er ist keine 20 mehr." Ovtcharov gilt als harter Arbeiter, er schenkt sich auch im Training nichts. Doch die Belastung ist enorm. Boll ist acht Jahre älter und dosiert sein Training mittlerweile extrem. Ein bisschen in diese Richtung wollen die Trainer auch Ovtcharov lenken. "Er kann auch mal mit etwas weniger Training Top-Leistungen bringen", sagt der Sportdirektor Richard Prause. Er glaubt, dass Ovtcharov bei der WM mitspielen kann.

Die jüngste Aufnahme von Ovtcharov zeigt ihn im Aufzug eines Hotels mit einem Gesichtsausdruck, wie er ihn in seiner beeindruckenden Karriere nicht oft hat auflegen müssen. Er scheint den Tränen nahe zu sein, dennoch hat er das Foto selbst ins Internet gestellt und daneben geschrieben: "Es gibt harte Zeiten im Sport, so wie jetzt - aber ich werde alles tun, um so schnell wie möglich fit zurück zu sein."

Kehrt Ovtcharov zurück, wäre China zumindest etwas nervös

Für die Entwicklung des deutschen Tischtennis, das zuletzt so erfolgreich war wie nie, ist Ovtcharovs Genesung entscheidend. Auch Boll, bis Ende März noch Weltranglisten-Erster, wäre erleichtert, sollte sich kurzfristig alles zum Guten wenden und sie die Chinesen in fünf Wochen ein bisschen nervös machen können. "Es ist bitter für uns", sagt Boll über Ovtcharovs Verletzung. "So sind die Vorzeichen alles andere als gut."

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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