Tischtennis:Hinterrücks gezaubert

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Zwischen Kunst und Übermut: Bad Königshofens Maksim Grebnev zeigt im Derby gegen Neu-Ulm phasenweise begeisterndes Tischtennis. (Foto: Andreas Liebmann)

Der TSV Bad Königshofen feiert zwei Zittersiege. Vor allem im Derby gegen Neu-Ulm kochen die Emotionen hoch - was es für den scheidenden Maksim Grebnev nicht leichter macht.

Von Andreas Liebmann

Die Vergangenheit trug Zahnspange, Scheitel und etwas Babyspeck, das fiel doch auf im Vergleich mit ihrem heutigen, durchtrainierteren Erscheinungsbild. Darko Jorgic war eigentlich gar nicht nach Lächeln zumute, doch als man ihm diese lebensgroße Pappfigur seiner selbst präsentierte, von seiner ersten Profistation im Ausland, da lächelte der heute 23-Jährige trotzdem. Sie haben sie hier in Ehren gehalten beim TSV Bad Königshofen, das sollte diese Geste wohl bedeuten, auch wenn die Profis des Tischtennis-Erstligisten seit einigen Jahren schon nicht mehr als Fotofiguren in der Halle stehen, sondern als übergroße Plakate von der Hallenwand hängen.

18 war Jorgic damals, nur ein Jahr später verließ er den Aufsteiger und wechselte zum 1. FC Saarbrücken, einem der wenigen ernsthaften Herausforderer des Rekordmeisters Düsseldorf. Er ist dort Leistungsträger. Die Auswärtsspiele in Bad Königshofen sind für Jorgic trotzdem eine Art Heimkehr geblieben; und während er am Freitag ins Hallenmikrofon ein paar Sätzchen sprach über die 2:3-Niederlage bei seinem einstigen Verein, neben sich den alten Pappkameraden, da sangen die Fans auf der Tribüne ausdauernd seinen Namen.

Man weiß nicht, was in diesem Moment in Maksim Grebnev vorging. Niemand hat ihn danach gefragt, und er hätte wohl auch nicht geantwortet. Grebnev war 19, als er zum TSV Bad Königshofen kam, er ist einer der vier, deren Konterfeis zurzeit an der Backsteinwand hängen, doch auch er ist gerade dabei, von der Gegenwart zur Vergangenheit zu werden. Er wird zum TTC Neu-Ulm wechseln, eigentlich ein logischer Schritt. Der 20-Jährige gehört dort zur Trainingsgruppe um Klubtrainer Dmitrij Mazunov. Lev Katsman spielt dort, mit dem Grebnev 2020 Doppel-Europameister wurde, und Vladimir Sidorenko, mit dem er 2021 die Jugend-Weltmeisterschaft im Doppel gewann. Freunde und Weggefährten. Auch die Unterfranken hätten ihn gerne behalten, trotz negativer Einzelbilanz.

Einer Nachfrage im Training am Samstag versucht Grebnev auszuweichen, behauptet, kein Englisch zu können, will sich davonstehlen. Dann sagt er doch, dass ihm der Weggang gar nicht so leicht falle, weil es hier fantastisch gewesen sei. Wer weiß schon, ob sie hier auch seinen Namen noch singen werden, wenn er erst mal weg ist; oder ob die Fans des TTC Neu-Ulm das künftig ähnlich euphorisch tun werden?

Königshofen verliert Grebnev, Neu-Ulm Sgouropoulos, Stumper und vielleicht auch Apolonia

Für Maksim Grebnev, geboren in Podporoschje nahe Leningrad, der der Sportkarriere wegen früh nach Deutschland zog und schon in Passau und Bad Homburg sein Geld verdiente, war es ein aufwühlendes Wochenende. Am Freitag verlor er sein Einzel gegen Tomas Polansky 2:3, das Entscheidungsdoppel aber gewann er gemeinsam mit Kilian Ort gegen Jorgic und Saarbrückens Ersatzmann Manav Thakkar, der für den geschonten Patrick Franziska spielte. Und dann kam am Sonntag eben ausgerechnet der TTC Neu-Ulm, gegen den es ebenfalls einen 3:2-Sieg gab. 2:0 in Sätzen lag er im Einzel gegen Routinier Tiago Apolonia vorne, "da ist aber einer heiß", kommentierte der Hallensprecher. Das Publikum tobte, als Grebnev im zweiten Durchgang zur 8:5-Führung einen Ball hinter dem Rücken traf - und kurz darauf nach einem weiteren dieser Kunstschläge auch den Satzball zum 11:5 verwandelte. Völlig entfesselt war das - und vielleicht etwas zu übermütig. Denn Apolonia, der an der Schulter verletzt war und später das zweite Einzel ausließ, bot fortan all seine Cleverness auf, drehte die Partie und machte sie am Ende noch zur Lehrstunde für Grebnev.

In beiden Klubs ist zurzeit viel in Bewegung. Neu-Ulm hat Grebnev geholt, um den scheidenden Kay Stumper zu ersetzen, zudem wechselt Ioannis Sgouropoulos laut Klubchef Florian Ebner nach Frankreich, und auch Apolonias Zukunft sei unklar. Ein Angebot habe man ihm gemacht, "wir haben Tiago alles zu verdanken", betonte Ebner, doch dieses Angebot sei so gestaltet, dass die russischen Talente viele Einsätze bekämen, weshalb er auch Verständnis hätte, wenn Apolonia sich anderweitig umsähe. Überdies suche man eine neue Nummer eins. Bad Königshofen wiederum braucht mindestens einen Ersatz für Grebnev. Auch der Verbleib von Filip Zeljko ist noch nicht sicher. Zuletzt hat der Kroate allerdings viel Eigenwerbung betrieben, die Fans lieben ihn sowieso. Er spielte hier schon zu Zweitligazeiten, weshalb es auch von ihm noch eine Pappfigur gibt. Auch Zeljko war zuletzt stark gefordert, weil Führungsspieler Bastian Steger nach einer Corona-Erkrankung geschont wurde. Nach Saarbrückens Thakkar bezwang er am Sonntag auch Neu-Ulms Sidorenko.

"So etwas macht unseren Sport kaputt", sagt Trainer Mazunov über die Schiedsrichterleistung

Dieses Duell war turbulent. Einer der Schiedsrichter zählte Sidorenko gleich mehrere Aufschläge als regelwidrig weg. Die Entscheidungen wirkten irgendwann so einseitig, dass die Emotionen nicht nur bei Sidorenko hochkochten. Klubchef Ebner verließ vorzeitig die Halle, Coach Mazunov sagte später, dass er "gar keine Lust mehr zu coachen" gehabt habe: "So etwas macht unseren Sport kaputt." Gegen die begeisterten Gastgeber ging das nicht: "Es macht immer Spaß, hier zu spielen."

In dieser aufgeheizten Atmosphäre trat nun also erneut Grebnev im Entscheidungsdoppel an. Diesmal an der Seite Zeljkos, mit dem er noch nie zusammenspielte - und gegen seine Stammpartner auf internationaler Ebene, Katsman und Sidorenko, die zwei Tage zuvor zusammen Neu-Ulms 3:2-Sieg in Bergneustadt gesichert hatten. Grebnev zauberte nicht mehr hinter dem Rücken, alle vier aber trugen ihren Teil zu einem atemberaubenden Schlagabtausch bei, der die Fans von den Sitzen riss und den die Königshöfer letztlich in vier Sätzen gewannen. Grebnev sank in die Knie, er hatte trotz der kniffligen Konstellation alles gegeben für seinen Noch-Verein. Beide Teams sind nun punktgleich, mit je 18:18 Zählern.

Die Fans sangen. Und Zeljko? Krächzte, die Stimme war weg. Lobte weder Grebnev noch sich selbst, sondern Kilian Ort, der am Freitag Jorgic regelrecht demontiert hatte, am Sonntag auch Katsman beherrschte, danach aber einen Vorsprung gegen den für Apolonia eingewechselten Sgouropoulos verspielte. "Er ist seit Wochen unglaublich", schwärmte Zeljko. Eigengewächs Ort ist ohnehin Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Teams.

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