Tischtennis:Fränkischer Jugendstil

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Bad Königshofens großes Talent: Jungnationalspieler Kilian Ort spielt eine starke Saison für die Franken. (Foto: imago)

Zweitligist Bad Königshofen steigt auf und vertraut in der Bundesliga auf ein ungewöhnliches System. Dabei geht die Mannschaft mit jungen Talenten ein hohes Risiko - zwei Routiniers sind dabei auf Abschiedstour.

Von Andreas Liebmann

Vielleicht war es dieser eine Kantenball, nach dem es 7:3 stand anstatt 8:2. Vielleicht hatte Kilian Ort einfach zu viel nachgedacht, selbst als er beim 9:5 im sechsten Satz nur noch zwei Punkte entfernt lag von einer Medaille bei den deutschen Tischtennismeisterschaften in Bamberg. Jedenfalls wirkte er plötzlich hektisch gegen den Nationalspieler Ruwen Filus, den 29-jährigen Abwehrstrategen vom Erstligisten TTC Fulda-Maberzell, obwohl er den überraschenden Halbfinaleinzug in diesem spektakulären Match fast sicher hatte. Ort machte einige leichte Fehler, er verlor den Satz, er verlor anschließend das Match und damit die Aussicht, mit einem weiteren Erfolg gegen Benedikt Duda womöglich sogar im Finale zu landen gegen Timo Boll, die deutsche Legende.

Die Bundesliga-Lizenz kostet dem Verein 20 000 Euro

Kilian Ort ist 20, und er hat danach offenbar nicht viel nachgedacht. Zumindest hat er nicht allzu lange gehadert mit seiner vergebenen Chance Anfang März. Am vergangenen Wochenende bestritt er mit seinem TSV Bad Königshofen zwei Auswärtspartien, die vorentscheidend gewesen sein dürften im Kampf um die Zweitliga-Meisterschaft. Beim 6:3-Sieg im Spitzenspiel am Samstag bezwang er Lauric Jean, die belgische Nummer eins des Tabellenführers TTC Jülich; der Nummer zwei Martin Allegro, ebenfalls Belgier, unterlag er knapp. Tags darauf beim 1. FC Köln gelangen ihm zwei Einzelsiege zum 6:2-Erfolg. Nun ist der unterfränkische TSV Bad Königshofen selbst wieder Tabellenführer, an diesem Samstag (19 Uhr) kann er seinen Vorsprung im Heimspiel gegen Borussia Dortmund auf vier Punkte vergrößern. Das wäre drei Spieltage vor Schluss ein weiterer großer Schritt Richtung Titelverteidigung. Und ab Herbst wird der Klub dann erstmals in seiner Geschichte in der ersten Bundesliga aufschlagen, das steht seit Wochen fest. Denn der TSV Bad Königshofen ist der einzige Zweitligist, der sich überhaupt für einen Aufstieg bereit erklärt hat.

Zwei herausragende Talente hat der Verein hervorgebracht, Kilian Ort und Christoph Schüller, der inzwischen in der zweiten Mannschaft spielt. Um die herum baute er seine Teams auf, mit denen er zwischen 2009 und 2013 von der Landesliga fast ohne Pause bis in die zweite Bundesliga aufstieg. "Wegen denen haben wir das gemacht", sagt Teammanager Andreas Albert, während er die beiden in einem alten Vereinsheft als Kinder zeigt. Heute, sagt er, "steht und fällt bei uns alles mit Kilian".

Noch vor einem Jahr sah es eher danach aus, als würde das Projekt fallen. Fast die gesamte Saison 2015/16 konnte Ort wegen einer rätselhaften Schulterverletzung nicht spielen. "Er war wirklich dicht davor, dass er aufhört", erinnert sich Albert. Vor einigen Wochen erst hat Florian Schreiner, der deutsche Jugendmeister von 2013, seine Profikarriere beendet, wegen Hüftproblemen. Mit 21. Ort, der deutsche Jugendmeister von 2014, ist vier Monate jünger, und wie Schreiner dachte auch er schon über ein Studium als Plan B nach. Doch irgendwann hörte seine Schulter auf zu schmerzen - und Ort startete in eine starke Saison mit bislang 19:5 Einzelsiegen.

Unter diesen Umständen will Bad Königshofen nun in die erste Liga - und muss auch. Kilian Ort zuliebe. Denn die Bundestrainer Jörg Roßkopf und Helmut Hampl hätten doch recht deutlich formuliert, dass der 20-jährige Jungnationalspieler schnellstmöglich in die erste Liga rücken solle, erzählt Albert. Allein für die Lizenz müsse der Verein nun 20 000 Euro ausgeben. Vor einem Jahr hatte er noch verzichtet, auch wegen der Ungewissheit, wie es mit Ort weitergeht. Und ohne ein Eigengewächs gehe es nicht, glaubt Albert, schon wegen der Zuschauer. Mit knapp 400 liegt Bad Königshofen weit über dem Ligaschnitt von 150. Selbst in der ersten Liga, der TTBL, wäre der Klub aus der 5000-Einwohner-Gemeinde im unterfränkischen Grabfeld damit die Nummer zwei hinter Borussia Düsseldorf. "Wir haben hier einen Tischtennis-Boom", sagt Albert. "Und das beste Publikum Deutschlands."

Schon in der vergangenen Saison wurde Bad Königshofen Zweitliga-Meister - auf höchst kuriose Art. Denn der verletzte Ort war in fast allen Spielen aufgestellt worden, obwohl er gar nicht antreten konnte. Er schenkte seine Partien auf Position zwei des Viererteams kampflos ab, während der junge, 1,61 Meter kleine Japaner Mizuki Oikawa und die beiden tschechischen Routiniers Richard Vyborny und Marek Klasek jeweils zu dritt die Siege gegen die anderen Vierermannschaften einfuhren. Ein taktischer Kniff, denn hätte ein Ersatzmann gespielt, hätten die anderen in der Aufstellung nach vorne rutschen und gegen stärkere Gegner antreten müssen. Bad Königshofen war quasi ständig in Unterzahl, am Ende aber trotzdem Meister, punktgleich mit Jülich und dem TV Hilpoltstein, zwei Punkte vor dem TTC Frickenhausen. Doch auch diese Klubs wollten nicht nach oben. Das liege vor allem am Spielsystem, glaubt Albert: In allen deutschen Tischtennisligen wird mit Vierer- oder Sechsermannschaften gespielt, bis zum sechsten, achten oder neunten Punkt; es gibt Doppel und Einzel. Nur die TTBL beschränkt sich auf drei Spieler, die nur bis zum dritten Punkt gegeneinander antreten. Doppel, für viele elementarer Bestandteil dieses Mannschaftssports, sind nicht vorgesehen. Ein System, das nicht dazu einlädt, junge Talente heranzuführen.

Die beiden Ältesten befinden sich bereits auf Abschiedstour

Genau das will Bad Königshofen dennoch wagen. Das Team für nächste Saison steht. Publikumsliebling Vyborny, 46, und der athletische Kämpfer Klasek, 42, haben neue Vereine gefunden, sie befinden sich auf Abschiedstour. Die Position eins sollen sich wie diese Saison die Japaner Oikawa, 19, und Kazuhiro Yoshimura, 20, teilen. In der Regel soll neben Ort der Slowene Darko Jorgic zum Einsatz kommen, den der TSV vor einigen Wochen für die neue Saison verpflichtet hat. Der 18-Jährige ist kürzlich slowenischer Meister geworden, Yoshimura wurde Zweiter der japanischen Meisterschaften. Selbst Filip Zeljko, dessen Verbleib als künftiger Ersatzspieler noch nicht sicher ist, ist erst 20. "Wir werden als absolute Außenseiter starten", das ist Ort klar. Doch da selten jemand aufsteigt, ist ja auch kein Abstieg zu befürchten. Und Ort hofft, dass die Zuschauer dem mit Abstand jüngsten TTBL-Team so manche Niederlage verzeihen werden. Teammanager Albert ist sich sicher, dass das Publikum diesen Jugendstil zu schätzen weiß: "Es wird ein Lehrjahr, aber die Leute wollen nur sehen, dass die Jungs kämpfen." Und sie wollen ihren Kilian Ort in der ersten Liga sehen. 900 Zuschauer passen in die Halle.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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