Tischtennis:Das große Staunen

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Volles Risiko: Mit kompromisslosen Attacken überrollt Filip Zeljko seinen favorisierten Gegner. (Foto: Rudi Dümpert)

Aufsteiger Bad Königshofen düpiert in der Bundesliga nach Tabellenführer Düsseldorf auch den Zweiten Mühlhausen. Damit hatten die Franken nicht gerechnet.

Von Andreas Liebmann

Sie waren zurück in ihrer eigenen Welt. In der war es laut, es wurde gesungen, getrommelt, gejohlt. Wäre vor den Toren dieser Welt nicht der Winter über Unterfranken hereingebrochen, sie hätten hier wohl erstmals "die Tausender-Marke geknackt", wie Andreas Albert sagte, der Teammanager des Tischtennis-Erstligisten TSV Bad Königshofen. So viele Zuschauer hat sonst in der TTBL höchstens Serienmeister Düsseldorf. So aber waren am Sonntag dann doch wieder "nur" 600 gekommen, um zu sehen, was der Aufsteiger wohl gegen den Tabellenzweiten zuwege brächte, den Post SV Mühlhausen.

1:1 stand es, als sich der kroatische Ersatzmann Filip Zeljko für das dritte Einzel einspielte. "380", dröhnte es währenddessen aus den Lautsprechern. "400". Eine Woche zuvor hatten die Bad Königshöfer ihr Gastspiel beim Tabellenführer Düsseldorf 3:2 gewonnen, die Sensation der Hinrunde. "Zu Gast in einer anderen Welt", hatte die Rhön- und Saalepost ihren Vorbericht getitelt, Untertitel: "Der TSV Bad Königshofen fährt ohne Hoffnung zum Rekordmeister". Zum Team um Timo Boll, der an diesem Tag geschont wurde. Nun hatten die Franken ein Trikot mit dem Datum ihres historischen Erfolgs beflockt, die Versteigerung lief, am Ende zahlte ein Fan 420 Euro.

Lokalmatador Ort ist wegen der Bundeswehr aus dem Tritt geraten, doch andere springen ein

Auch in Düsseldorf hatte Zeljko ausgeholfen, zwei Bälle fehlten ihm dort im Entscheidungssatz gegen den Schweden Anton Källberg, die Nummer 75 der Welt - sonst wäre es sogar ein 3:0-Auswärtstriumph gegen die Übermannschaft der Liga geworden. Nun stand Zeljko Mühlhausens Tschechen Lubomir Jancarik gegenüber, der Nummer 120. Wieder war er Außenseiter, schließlich taucht Zeljko, gerade 21 geworden, in der Weltrangliste gar nicht mehr auf, seit er aus dem kroatischen Kader gerutscht ist. Und doch gelang es ihm nun, Jancarik in drei Sätzen zu bezwingen und den Gastgebern damit zum 3:1-Gesamtsieg zu verhelfen. "Den Sieg gegen Düsseldorf habe ich bis heute nicht kapiert", sagte Albert später. "Aber spätestens jetzt weiß ich, dass wir wirklich gegen jedes Team der Liga eine Chance haben."

Es ist noch nicht lange her, da war Manager Albert skeptisch gewesen, ob es in der Premierensaison für den Aufsteiger überhaupt zu einem Pünktchen reichen würde; für den "jüngsten und billigsten" Kader der Liga, den Gast in der anderen Welt. Und dabei wusste er da noch nicht mal, dass sein Lokalmatador Kilian Ort, 21, wegen seiner Bundeswehr-Ausbildung bald derart aus dem Tritt geraten würde, dass er nun selber darum bat, ihn vorerst nicht aufzustellen. "Natürlich kommen die Leute, um Kilian zu sehen", weiß Albert, "aber das haben trotzdem alle verstanden."

Was Albert damals auch noch nicht ahnen konnte: Wie schnell sich der 19-jährige Darko Jorgic entwickeln würde. Den Zugang aus Slowenien hatten zuvor nicht viele auf der Rechnung. Inzwischen hat er neun seiner 13 Einzel gewonnen, die letzten fünf in Serie, und es drängt sich die Frage auf, ob er nach dieser Saison überhaupt zu halten sein wird. Am Sonntag setzte er sich jeweils 3:1 gegen den Österreicher Daniel Habesohn und den Rumänen Ovidiu Ionescu durch. "Er spielt ein fantastisches Tischtennis", staunte auch Mühlhausens Trainer Erik Schreyer, "sehr variabel, sehr clever." Schreyer hatte mehr erwartet von seinem Team, das in Bestbesetzung erschienen war, konstatierte aber, dass der Sieg der Gastgeber verdient war - und dass diese "auf jeden Fall eine Bereicherung" für die Liga seien. Kaum irgendwo sonst herrscht bei TTBL-Spielen eine solche Stimmung wie in Bad Königshofen.

Ein völlig unbekannter Japaner fliegt ein - und besiegt den 33. der Weltrangliste

Und kaum irgendwo sonst gibt es solche Ersatzspieler. Für den ersten ihrer nun drei Saisonsiege, gegen Grenzau, hatten sie anstelle ihres jungen Japaners Mizuki Oikawa (der gegen Mühlhausen knapp in fünf Sätzen verlor) dessen 27-jährigen Landsmann Koudai Hiraya eingeflogen, einen völlig unbekannten Abwehrspieler, der in seiner Heimat überhaupt nicht aktiv ist - der aber den Ukrainer Kou Lei, immerhin 33. der aktuellen Weltrangliste, in drei Sätzen demoralisierte. Und nun eben Zeljko, der in Kroatien zurzeit eher perspektivlos vor sich hintrainiert und in Bad Königshofen in der sechsten Liga eingesetzt wird. "Er ist viel zu talentiert dafür", weiß Albert.

Als er Zeljko holte, verstanden das viele nicht. Als er ihn nach dem Aufstieg behielt, fragten sie: "Was willst du denn mit dem?" Am Sonntag fragte das keiner. Mit raffinierten Aufschlägen und kompromisslosem Nachsetzen überrollte Zeljko seinen Gegner: 11:2, 11:7, 11:7. Von seinen letzten vier Aufschlägen brachte Jancarik keinen einzigen zurück. "Es war ein großartiges Gefühl, vor so lauten Fans zu spielen", sagte Zeljko. Jorgic holte den Siegpunkt gegen Ionescu und sank mit gereckten Fäusten zu Boden. Zum Rückrundenauftakt am nächsten Sonntag kommt Werder Bremen - nach Mühlhausens Niederlage der nächste Tabellenzweite. Ein Vorrundensieg mehr, und sie könnten nun sogar an die Playoff-Plätze anklopfen, staunt Albert. Dann wären sie richtig drin in der neuen Welt.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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