Tischtennis:Chinesische Mauer

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Bei der Team-WM müssen für die deutschen Akteure viele Details passen, um China ernsthaft zu gefährden.

Von Ulrich Hartmann, Halmstad/München

Seit 15 Jahren Weltspitze: Timo Boll, 37 Jahre alt. (Foto: Jonas Ekstromer/Reuters)

Anfang dieser Woche war Timo Boll 64 000 Euro wert. Beim Fernseh-Quiz "Wer wird Millionär?" galt es, für diese Gewinnsumme zu erraten, dass der Tischtennisspieler 15 Jahre nach seinem ersten Sprung an die Spitze der Weltrangliste im Januar 2003 kürzlich noch einmal dort thronte. Mit Boll auf Platz eins und Dimitrij Ovtcharov auf Platz drei in der Rangliste vom März wurden die deutschen Männer für die Mannschafts-Weltmeisterschaft in dieser Woche in Halmstad, Schweden, sogar an Position eins gesetzt - vor den dominanten Chinesen. Das hatte es nie zuvor gegeben.

Tatsächlich deutet nach der Vorrunde einiges darauf hin, dass die Deutschen und die Chinesen am Sonntag das Endspiel bestreiten. Dazu müsste Boll aber seine Form bewahren und Ovtcharov trotz lädierter Hüfte beschwerdefrei bleiben. Bislang hat er alle Matches gewonnen, und doch merkt man ihm an, dass er noch nicht zu 100 Prozent fit ist. Ovtcharov hatte wegen einer Entzündung im Oberschenkelhals drei Wochen keinen Ball gespielt und erst bei der WM wieder Belastungen auf Wettkampfniveau probiert. Er sagt: "Bei manchen Bewegungen zwickt es noch kurz, aber die Verletzung ist schon viel besser geworden." Dennoch ist es unsicher, ob er das nötige Niveau erreicht: Nur mit Boll und Ovtcharov in Bestform sowie zugleich mäßig aufspielenden Chinesen könnten deutsche Tischtennismänner erstmals überhaupt Mannschaftsweltmeister werden. Endspiele gegen China haben sie schon vier Mal bestritten (2010, 2012 und 2014 bei der Weltmeisterschaft sowie 2008 bei Olympia) - und allesamt verloren.

Im vergangenen Jahr - bevor Ovtcharov im Januar erstmals kurz zum Weltranglistenführenden aufstieg und Boll zum Welt-Tischtennisspieler gewählt wurde - haben die beiden besten Deutschen sogar mehrfach Chinesen besiegt. Man dachte schon, die zementierte Hierarchie könnte aufbrechen. Denn Ovtcharov schlug bei verschiedenen Turnieren Fan Zhendong, Lin Gaoyuan und Yan An. Boll gewann gegen Ma Long und zwei Mal gegen Lin Gaoyuan. Dann kam mit dem World-Tour-Finale im Dezember der Saisonhöhepunkt: Boll unterlag im Halbfinale gegen Fan Zhendong 2:4, und Ovtcharov unterlag dem Chinesen im Endspiel sogar 0:4. Da schien die alte Hierarchie bereits wieder hergestellt zu sein.

Das Überraschungsteam in Schweden sind die Engländer

Wer in den vergangenen Monaten gedacht hatte, die Chinesen könnten sich bei der Team-WM in Halmstad womöglich anfällig zeigen, der wurde in dieser Woche bereits eines Besseren belehrt. Ihre fünf Gruppenspiele haben sie allesamt 3:0 gewonnen, und in den 15 Einzelmatches haben sie bloß drei Sätze abgegeben: Fan Zhendong zwei gegen den Portugiesen Joao Geraldo und Lin Gaoyuan einen gegen den Tschechen Tomas Konecny. Sollten die Deutschen sich im Viertelfinale am Freitag und im Halbfinale am Samstag durchsetzen, dann bekommen sie es am Sonntag wohl mit einem Team aus dem Weltranglisten-Ersten Fan Zhendong, dem Vierten Xu Xin und dem Sechsten Ma Long zu tun. Alle drei sind nach einem für ihre Verhältnisse mauen Jahr 2017 mittlerweile wieder in ziemlicher Topform. Deshalb wäre ein deutscher Triumph in Halmstad nach wie vor eine sportliche Sensation.

An ihre Grenzen gebracht hat Boll und seinen Teamkollegen Ruwen Filus bislang bloß der Ägypter Omar Assar, der in der nächsten Bundesliga-Saison zusammen mit Boll für Borussia Düsseldorf spielen wird. Boll und Filus haben beide gegen Assar verloren, entsprechend knapp mit 3:2 war der Sieg gegen Ägypten ausgefallen. Dafür setzte sich das deutsche Team gegen Schweden (3:0) und Hongkong (3:1) umso souveräner durch, was die Hoffnung nährt, dass man es nun auch bis ins Endspiel schafft.

Auf dem Weg dorthin werden sich die Chinesen auch vom Überraschungsteam der WM nicht aufhalten lassen: England. Die in der Weltrangliste ziemlich weit hinten platzierten Briten Paul Drinkhall (Nr. 52), Liam Pitchford (65) und Samuel Walker (96) gewannen alle fünf Gruppenspiele und besiegten dabei sogar die an Drei gesetzten Japaner. Pitchford schlug mit Jun Mizutani (Nr. 11) und Tomokazu Harimoto (13) zwei deutlich besser platzierte Spieler. Damit steht England unerwartet bereits im Viertelfinale.

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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