Jochen Partsch wird nicht gefallen haben, was eine seiner bekanntesten Bürgerinnen im fernen Florida von sich gab. Als Oberbürgermeister von Darmstadt liegt ihm viel daran, dass die Bewohner sich in seinem Städtchen wohl fühlen und nicht darüber nachdenken, weg zu gehen. Doch genau darüber hatte Andrea Petkovic nach ihrem Halbfinaleinzug beim Turnier in Miami vor der Weltöffentlichkeit sinniert. "Vielleicht sollte ich hier herziehen", sagte die Tennisspielerin, nachdem sie am Dienstag gegen Karolina Pliskova einen ihrer größten Erfolge überhaupt gefeiert hatte. "Miami entspannt mich", sagte Petkovic nach dem 6:4, 6:2. "Die Stadt bringt mich in eine Balance, die mir guttut."
Natürlich hat die 27-Jährige die Übersiedelung in die USA nicht ernst gemeint, sie fühlt sich wohl in Darmstadt, wo sie mit ihrer Schwester in einem Haus lebt. Doch es gibt Petkovic schon zu denken, dass sie in Florida oft ihr bestes Tennis spielt. Schon vor vier Jahren stand sie beim bedeutendsten Wettbewerb nach den vier Grand-Slam-Turnieren im Halbfinale, damals verlor sie gegen Maria Scharapowa.
Nun will die Weltranglisten-Zehnte endlich einmal das Endspiel bei einer großen Veranstaltung erreichen. Es ist nicht übertrieben, vor der Partie gegen die Spanierin Carla Suárez Navarro von einer aussichtsreichen Ausgangslage zu sprechen. Petkovic hat nach Jahren zahlreicher Verletzungen endlich wieder zu dem Spiel gefunden, das sie vor dreieinhalb Jahren auf Rang neun der Weltrangliste geführt hat. Sie spielt wuchtiges Grundlinientennis, sie kann mit Vor- und Rückhand ihre Gegnerinnen weit aus dem Feld treiben und die Ballwechsel mit direkten Gewinnschlägen beenden. Seit sie mit Dirk Dier trainiert, kommt das Selbstverständliche in ihr Spiel zurück, die Lockerheit. Sie muss nicht mehr darüber nachdenken, wie und wohin sie die Bälle spielen soll, alles gelingt wieder instinktiv.
Die deutsche Tennisspielerin Tatjana Maria ist vor kurzem Mutter geworden. In Key Biscane gelingt ihr der größte Erfolg ihrer Karriere. Auch weil Serena und Venus Williams sich kümmern.
Die emotionale Ausgeglichenheit von Petkovic in Florida ist frappierend. Ihr Haurucktennis lebt vom Selbstvertrauen, weil sie keine Spielerin ist, die ihr Spiel einfach anpassen, variieren kann, wenn zunächst mehr Bälle ins Aus fliegen als ins Feld. "Ich bin ziemlich verklemmt, wenn es um meinen Sport geht", bekennt sie. Doch gegen Pliskova zog Petkovic auch nicht der Umstand runter, dass sie eine 4:1-Führung im ersten Satz zunächst verspielte, im Gegenteil: Sie blieb auch dann gelassen, als es plötzlich 4:4 stand, weil sie bei ihren Aufschlägen direkt in die Sonne schauen musste. "Ich hatte große Probleme damit", gab sie zu. Sie gewann den Satz dennoch 6:4. "Danach habe ich besser und besser gespielt", sagte Petkovic und fügte mit ihrer nonchalanten Art hinzu: "Vielleicht lag es an den Frühlingshormonen."
In Miami könnte es gar zu einem deutschen Finale kommen, sollte Sabine Lisicki zunächst an diesem Mittwoch Serena Williams und anschließend auch noch Simona Halep schlagen. Doch so weit ist es noch lange nicht. Schon jetzt haben die deutschen Spielerinnen so gut abgeschnitten wie seit 19 Jahren nicht mehr: Damals kamen Steffi Graf und Anke Huber weit.
Andrea Petkovic will ihren freien Tag nun nutzen, um weiter ihr geliebtes Florida zu erkunden. "Das gleiche Gefühl habe ich auch in Paris", sagt sie. Vielleicht sollte sich die 27-Jährige in jedem ihrer Lieblingsstädte eine Wohnung zulegen, über das nötige Kleingeld verfügt sie ja. Und auch Jochen Partsch wäre dann versöhnt.