Tennis:Zwei Level weiter

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Kaum älter als die Ballkinder um ihn herum in Montréal, aber schon die Nummer sieben der Welt: Alexander Zverev ist der erste Deutsche seit Boris Becker (1996), dem in einer Saison fünf Turniererfolge gelungen sind. (Foto: Paul Chiasson/AP)

Zverevs Sieg im Endspiel von Montréal gegen Federer zeigt: Sein Tennis ist noch skrupelloser und frecher geworden.

Von Gerald Kleffmann, Montreal/München

Am Anfang, als sich Alexander Zverev als der neue Champion von Montreal den Medien stellte, tauchte gleich eine riesige Frage auf. Ob er, der 20-jährige Deutsche, der an diesem Sonntag einen gewissen Roger Federer vom Platz gefegt hatte, nun zur Elite gehöre. Da sagte Zverev das einzig Vernünftige: Nein, er sei nicht Teil der großen Vier, womit Federer, Rafael Nadal, Andy Murray und Novak Djokovic gemeint waren. "Sie haben zu viele Grand Slams gewonnen", ergänzte Zverev, und er, der noch nie ein Viertelfinale bei einem der vier wichtigsten Turniere erreicht hat, ließ es dabei bewenden.

In der Jahreswertung liegt Alexander Zverev sogar schon auf Platz drei

Dass die Branche den jüngsten Erfolg Zverevs etwas überzogen feierte, war faktisch schnell zu widerlegen. Die Erwartungen indes werden nicht geringer werden. In dieser Saison haben Nadal und Federer alle glänzenden Events für sich entschieden, der Spanier triumphierte bei den Masters-Veranstaltungen in Monte Carlo und Madrid sowie bei den French Open. Der Schweizer glänzte bei den Australian Open und in Wimbledon sowie bei den Masters-Klassikern in Indian Wells und Miami. Rom und Montréal? Gingen an den Mann, der jetzt trocken sagte: "Vom Spiel und Selbstvertrauen her bin ich superglücklich, wie sich alles entwickelt."

Seit Montag ist Alexander Zverev die Nummer sieben der Welt, von den vielversprechenden Jungprofis, die von der Tour als "NextGen", als nächste Generation gepriesen werden, ist er derjenige, der schon fulminant in der Gegenwart angekommen ist. "The future is now ...", textete Boris Becker im Netz. Becker verfolgt die Szene trotz seiner privaten Probleme offensichtlich weiter intensiv.

Die Höhenluft wird zweifellos dünner für Zverev, aber sein rasanter Aufstieg ist ja auch darauf zurückzuführen, dass er vor Herausforderungen und Vergleichen nicht einknickt. Ob ihn Federer eingeschüchtert habe, dieser strahlende Name allein schon, diese überall angehimmelte Überfigur des Tennis? "Ich habe versucht, so zu handeln, als sei ich nicht eingeschüchtert", sprach Zverev. Eine wohlklingende Antwort, die einerseits nicht ganz wahr war. Zverev könnte auch in eine mit angetrunkenen Matrosen voll besetzte Kneipe marschieren und einen Tisch für sich reklamieren, diese Art der Überzeugung strahlt er aus. Andererseits war die Antwort auch Ausdruck einer seiner speziellen Stärken: Zverev lernt aus Fehlern. Und sein jüngster war, wie er in Wimbledon sagte, als er im Achtelfinale ausschied: nicht mehr zu spielen, um zu lernen. Er will spielen, um der Beste zu sein. Lernen habe er satt. Aber auch diese Erkenntnis war ein Lerneffekt.

Seine beeindruckende Leistung gegen Federer ließ sich nur durch den Umstand schmälern, dass der 19-malige Grand-Slam-Champion Beschwerden hatte. "Ich hatte ein paar Muskelschmerzen", führte Federer aus, der Wechsel vom Rasen auf Hartplatz sei nicht reibungslos verlaufen, zumal: "Nach Ferien und Training ist es immer ein bisschen ein Schock für den Körper." So entstand eine Situation, wie sie seit Federers wundersamer Rückkehr im Januar nach einem halben Jahr der Reha-Phase selten vorkommt: Es war eine Partie mit ungleichen Waffen, vor allem im zweiten Satz. Im Schnitt schlug der 16 Jahre jüngere Zverev beim ersten und zweiten Aufschlag um 20 km/h härter auf. Seine Grundschläge waren im Schnitt um 15 km/h schneller. Und gerade bei kurzen Ballwechseln, die Federer gerne beherrscht, zeigte Zverev, dass er mit seinem neuen Trainer Juan Carlos Ferrero einen feinen, aber auch einen großen Schritt gemacht hat: Flog der Ball nur fünfmal oder weniger hin und her, schaffte Zverev 47-mal den Punktgewinn. Federer 36-mal. Dieser Wert drückte die Frechheit Zverevs gut aus. Und hinter der Frechheit steckt ein Konzept.

"Wir haben versucht, an meinem aggressiven Spiel zu arbeiten", erklärte der Hamburger zur noch relativ frischen Kooperation mit dem früheren French-Open-Sieger Ferrero. "Wir versuchen, all die kleinen Dinge zu verbessern, auch mental. Er weiß, wie man die großen Matches spielt." In Washington hatte Zverev gleich das erste Turnier mit dem Spanier an der Seite gewonnen, der Zverevs Vater im Team unterstützt und nun bestätigte, dass die Zusammenarbeit bis mindestens zum Jahresende fortgesetzt werden soll. "Ich fühle, dass ich das richtige Tennis spiele", sagte Zverev, "ich fühle nicht, dass die Dinge sich unnatürlich entwickeln."

Zverev ist in jedem Fall noch skrupelloser geworden. In Montréal hatte er gegen den Franzosen Richard Gasquet einen Matchball gegen sich, 49-mal flog der Ball übers Netz, dann traf Zverev den Winner. Er hatte ihn systematisch mit Willenskraft aufgebaut, er hatte etwas gewagt. "Ich freue mich, dass er sein Tennis nicht nur auf das nächste Level gebracht hat, sondern um zwei Level angehoben hat", schwärmte Federer.

Im Welttennis herrscht gerade ein Stimmungsbild, das sich vor einem Jahr keiner ausgemalt hatte. Die Dominanz von Djokovic und Murray ist vorbei, beide sind verletzt, Federer und Nadal fechten in diesen Tagen den Kampf um die Weltranglisten-Spitze aus, und Zverev führt die Zukunft in die Gegenwart. Sich für die ATP Finals der besten Acht zu qualifizieren, sei eines seiner "größten Ziele", sagte er. Zverev kann den Flug quasi schon buchen, im "Race to London" liegt er mit stattlicher Punktzahl hinter Federer und Nadal auf Rang drei und kann in Cincinnati gleich wieder punkten. Anders als Federer, der wegen Rückenproblemen auf einen Start beim letzten 1000er-Turnier vor den US Open verzichtet. Damit steht auch fest: Am 21. August wird Nadal, 31, wieder erstmals seit 2014 Erster im Ranking und löst Murray ab.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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