Tennis:Wie im Videospiel

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Große Reichweite: Alexander Zverev in München. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Alexander Zverev, 19, führt auch in München Ehrgeiz und Talent vor. Und er schwärmt von der Härte der großen Spieler gegen sich selbst.

Von Philipp Schneider, München

Alexander Zverev legt seine Stirn in Falten, offenbar ist die Frage ernst gemeint. Ob ihn sein Jähzorn manchmal runterziehe auf dem Tennisplatz, will jemand von ihm wissen. Nun, sagt der 19-Jährige, er fährt sich kurz mit der Hand durch die Haare, dann blickt er auf und fragt nicht etwa zurück: Wieso Jähzorn? Alexander Zverev sagt: "Was heißt runterziehen? Aus meiner Sicht war der Platz schon länger unbespielbar, aber wir haben immer weiter gespielt. Also habe ich gesagt: ,Leute, seht ihr das nicht? Es hat den ganzen Tag geregnet und der Platz ist nur Matsch.'"

Die Leute, in dem Fall der Stuhlschiedsrichter und sein Gegner, der Tunesier Malek Jaziri, brauchten etwas länger für diese Erkenntnis als Zverev. Und so zog sich dessen Auftaktpartie bei den BMW Open in München nach einem Spielabbruch über zwei Tage - ehe er nach einem 4:6, 6:3, 6:2 ins Achtelfinale einziehen durfte. Zverev wollte sagen: Diese Partie hätte am verschneiten Dienstag nie begonnen werden dürfen. Und möglicherweise hätte er dann auch nie einen Satz verloren.

Es sind zwei Bühnen, die Deutschlands größtes Tennistalent zu bespielen hat: den Platz und die Öffentlichkeit. Wenn Zverev auf dem Podium sitzt, vor sich ein Mikrofon, dann spricht er leise, fast schüchtern, am liebsten würde man den Verstärker der Tonanalage etwas lauter drehen. Wenn Zverev aber auf dem Platz steht, in der Hand einen Schläger und um den Kopf ein wehendes Tuch wie ein Krieger, dann wird er laut, dann wird er wild. Noch immer ist das so. Auch wenn er seine Emotionen jetzt besser im Griff hat als in früheren Jahren, als er öfter mal den Schläger zertrümmerte.

Im ersten Satz gegen Jaziri maulte Zverev, er warf eine Wasserflasche, und als sein Gegner mit dem Stuhlschiedsrichter noch über die Sinnhaftigkeit des Spielabbruchs diskutierte, da eilte er schon mit Sauseschritt vom Platz. Als "eine Gabe, die er hüten sollte", bezeichnet Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann diesen Ehrgeiz. Jene Hitzköpfigkeit, die an manchen Tagen einen Furor streift, der an den jungen Roger Federer erinnert oder gar den alten John McEnroe. "Er macht alles, um zu gewinnen", sagt Kohlmann. Kurze Pause. "Wirklich alles."

Alexander Zverev ist seit ein paar Tagen in den Top 50 zu finden. Es ist der nächste Entwicklungsschritt in seiner Karriere, in der alle paar Wochen die nächste kleine Sensation als Breaking News zu verkünden ist. "Sein Aufschlag und seine Rückhand sind schon Weltklasse, erstaunlich ist aber, wie gut er sich in Schüben entwickelt", sagt Kohlmann. Alle zwei bis drei Monate passe sich Zverev an. "An die neuen Turniere, die neuen Gegner, deren bessere Schläge. Im Prinzip ist es wie in einem Videospiel: Er entwickelt sich, entwickelt sich, dann erreicht er das nächste Level."

Ende März, beim Masters-Turnier in Indian Wells, war Zverev kurz davor, den Highscore in seinem Videospiel zu brechen, im Achtelfinale hatte er Matchball gegen Nadal. Dann aber traf er einen einfachen Volley zu weit vor dem Körper. "Ich hab's versaut", sagte er, "das war vielleicht der leichteste Ball des ganzen Spiels."

Wer die Spieler auf der Tour über Zverev reden hört, der inzwischen nach dem Kroaten Borna Coric der beste Teenager der Welt ist, meint zu glauben, dass in dessen Karriere erst der Himmel das Limit ist. "Er hat die Technik, die Leidenschaft und die Schläge für die Top Ten", sagt Novak Djokovic. "Ich bin ein solider Arbeiter, aber Sascha ist ein Gesegneter", findet Kohlschreiber. "Er ist eine zukünftige Nummer eins, es muss viel schiefgehen, damit er nicht vorn landet", prophezeit Nadal.

Diejenigen, die schon vorne sind, spielen sehr gerne gegen Zverev. Zumindest im Training. Sie schätzen an ihm die Fähigkeit zum großen Spiel, also seine Gabe, dass er dank eines üppigen Repertoires an Schlägen jederzeit aus jedem Winkel des Platzes zu punkten vermag. "Er hat schon mit allen trainiert, mit Nadal, mit Djokovic, mit Murray, und zwar mehrfach, am häufigsten aber mit Roger Federer", sagt sein Bruder Mischa - der zehn Jahre älter ist, selbst mal auf Weltranglistenplatz 45 stand und ihm als Ratgeber zur Seite steht. Mit dem Schweizer trainiere Alexander bei fast jedem Turnier, sagt Mischa. Zverev jr. schaut sich viel ab, er schwärmt gerne von der Beinarbeit, dem Trainingsfleiß der besten Spieler der Welt. "Mich hat überrascht, wie extrem sie ihr Training gestalten, damit sie es im Match möglichst einfach haben", sagt er. Sich in München zwei Tage lang gegen nur einen Gegner zu mühen, entsprach aus Zverevs Sicht genau dem Gegenteil dieses Prinzips. Er fand es fürchterlich ineffizient.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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