Tennis:Von Symbolik erdrückt

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Serena Williams kehrt am Weltfrauentag als Mutter auf die Profitour zurück. Natürlich geht es beim Turnier in Indian Wells gleich um mehr als nur Sport.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Wer von Los Angeles aus zum Tennisturnier nach Indian Wells fährt, bemerkt kurz vor dem Ziel diese vier überdimensionalen Reklametafeln neben dem Highway I-10, die an den gerade mit zwei Oscars prämierten Film "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" erinnern. Tech-Milliardär Alexis Ohanian hat diese "Four Billboards Outside Palm Springs, California" aufstellen lassen, sie zeigen seine Ehefrau Serena Williams, die gemeinsame Tochter Alexis Olympia und die Botschaft an die Welt, dass Williams "the greatest mother of all time" sei, die großartigste Mutter aller Zeiten.

Es geht bei Williams, 36, nie nur um Sport oder ums Kinderkriegen, es geht in diesem Superlativ-Leben immer ums große Ganze. Ihre erste Einzelpartie seit dem Erfolg bei den Australian Open 2017 (bereits mit Baby im Bauch) und sechs Monate nach der Geburt der Tochter ist so ein Beispiel dafür, wie symbolisch überladen die Auftritte der nach allgemeinem Dafürhalten besten Tennisspielerin der Geschichte sind. Sie spielt an diesem Donnerstag gegen Zarina Diyas (Kasachstan). Es ist eigentlich nur ein Match. Aber nicht bei Williams. Es geht, gerade an diesem Ort, um Rassismus, Sexismus und die gesellschaftliche Bedeutung von Williams.

Es ist wichtig zu wissen, dass Serena Williams das Turnier in der kalifornischen Wüste 14 Jahre lang gemieden hatte. Während des Endspiels 2001 war sie wegen vermeintlicher Absprachen mit ihrer Schwester Venus beschimpft und beleidigt worden, ihr Vater Richard wollte diskriminierende Worte gehört haben. Nie wieder, betonten Serena und Venus immer wieder, wollten sie zu diesem rassistischen Pack nach Indian Wells kommen. Ihre Rückkehr 2015 verkündete sie in einem Essay für das Time Magazine, sie zitierte aus dem Markus-Evangelium und predigte Vergebung. Serena Williams, die großherzige Botschafterin gegen Rassismus.

„Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt“: Serena Williams in Indian Wells. (Foto: Crystal Chatham/AP)

Es ist auch wichtig zu wissen, dass sie 2016 in Wimbledon gefragt wurde, ob sie sich als eine der besten weiblichen Sportler der Geschichte sehe. Ihre Antwort: "Ich bevorzuge die Bezeichnung bester Sportler der Geschichte." Mehr musste sie nicht sagen, es war eine Botschaft an all die chauvinistischen Einordnungen im Sport und auch anderswo. Ihr Ausrüster Nike nahm die Vorlage auf und produzierte einen Werbespot über den Werdegang von Williams: ihre Herkunft aus dem Gangster-Vorort Compton, die Schmähungen des Establishments zu Beginn der Karriere, ihr Aufstieg zur weltbesten Spielerin. Verletzungen, Comebacks, Rekorde. Am Ende des Kurzfilms steht vor ihrem Gesicht: "Greatest Female Athlete Ever". Dann wird das Wort Female langsam ausgeblendet: "Greatest Athlete Ever". Williams, die mutige Botschafterin für Gleichberechtigung.

So läuft das bei ihr, Williams behält auf diese Weise die Deutungshoheit über ihr sportliches und gesellschaftliches Vermächtnis. Wenn sich also jemand wundert, warum sie im Gegensatz zu vielen anderen Prominenten ihre Privatsphäre nicht stärker schützt, warum das Gesicht ihrer Tochter auf überdimensionalen Reklametafeln zu sehen ist oder warum sie offen über die komplizierte Geburt ("ich bin beinahe gestorben") und die Schwierigkeiten beim Zusammenführen ihrer Rollen als junge Mutter und Profisportlerin spricht: Es gehört zum Selbstverständnis von Serena, sich stets zu überhöhen.

Beim Einmarsch dröhnt "American Woman" von Jimi Hendrix aus den Boxen

Der 8. März 2018 also. Es ist Weltfrauentag. Vielleicht ist es Zufall, dass Williams ihr Comeback an diesem Tag gibt. Vielleicht aber auch nicht. Sie sagt: "Es könnte keinen besseren Tag für meine Rückkehr geben. Es musste so sein." Man muss schon aufpassen, dass einen die Symbolik nicht erdrückt an diesem Tag.

Donnerstagabend, Stadium 1. Die Tribünen sind zum ersten Mal bei diesem Turnier ordentlich gefüllt, tagsüber sehen die Leute lieber den Stars beim Training auf Nebenplätzen zu als nicht ganz so berühmten Akteuren beim Spielen im zweitgrößten Tennisstadion der Welt. Die Dramaturgie ist komplett auf Williams ausgelegt: Aus den Lautsprechern dröhnt beim Einmarsch "American Woman" von Jimi Hendrix und nach der Partie "Simply the Best" von Tina Turner, die Leute jubeln brav, bei Punkten von Williams wird auf den Leinwänden "Great Shot" eingeblendet.

Was muss das für ein Gefühl sein für Diyas? Sie ist Gegnerin und soll doch keinesfalls mehr sein als Nebendarstellerin. Diyas darf eine spannende Partie liefern und Williams zu einigen schönen Schlägen mit anschließendem martialischen Kreischen zwingen, erfüllt beim 5:7, 4:6 letztlich aber nur die ihr zugeteilte Rolle. Williams spielt so, wie sie spielen muss, um zu gewinnen. Das ist nicht aggressiv, nicht spektakulär, aber um Tennis geht es ohnehin nur am Rande an diesem Abend.

"Kraft und Ausdauer sind da, Timing und Sicherheit fehlen noch", hakt Williams die sportliche Seite der Partie danach rasch ab. Es geht wieder ums große Ganze, um ihr Vermächtnis ("meine Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt") oder den Zeitpunkt des Karriereendes: "Ich werde irgendwann aufwachen und keine Lust mehr haben." Sie ist bestens gelaunt, wie immer nach Erfolgen, sie teilt den Leuten dann aber doch mit, dass sie nun gerne nach Hause möchte: "Ich habe vor dem Spiel beinahe geweint, weil ich meine Tochter so vermisst habe. Ich will jetzt so schnell wie möglich zu ihr."

Als Williams das sagt, spielt im Stadion Viktoria Asarenka aus Weißrussland, ebenfalls eine junge Mutter und fantastische Tennisspielerin - aber nicht "the greatest athlete ever" und "the greatest mother of all time". Viele sind nicht mehr im Stadion, man könnte jeden Zuschauer per Handschlag begrüßen. Alle anderen fahren schon an diesen vier riesigen Reklametafeln außerhalb von Palm Springs vorbei.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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