Tennis:Tingeltour erspart

Lesezeit: 3 min

Hohes Tempo: Jan Lennard Struff fertigt Hubert Hurkacz 7:6 (4), 6:4, 6:1 ab, die Deutschen gewinnen gegen Polen 3:2. Florian Mayer tritt nach seiner Niederlage gegen Kamil Majchrzak plangemäß aus dem Team zurück. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Nach Polens Ausgleich gelingt Jan-Lennard Struff erst im letzten Spiel der entscheidende Sieg für den Klassenverbleib des deutschen Teams im Davis Cup.

Von Gerald Kleffmann, Berlin

Das Wasser auf dem Hundekehlesee glitzerte, und die Blätter der majestätischen Bäume wackelten in der leichten Spätsommerbrise, als sechs Herren in Sakkos der Reihe nach den Center Court im LTTC Rot-Weiß betraten. Eine Ehrung stand an für besondere Verdienste, die Adressaten waren die früheren deutschen Davis-Cup-Kräfte Wolfgang Stuck, Jürgen Faßbender, Markus Zoecke, Harald Eschenbroich, Klaus Eberhard und Hans-Jürgen Pohmann. Ein netter Prolog war dies für diesen Sonntag, an dem die Deutschen gegen Polen um den Klassenerhalt im Davis Cup spielten. Es wurde noch ein turbulenter Tag, mit einem glücklichen Ende: 3:2 gewann das deutsche Team. Im ersten Einzel an diesem dritten Tag des Relegationsspiels wollte Florian Mayer, der 32-jährige Profi aus Bayreuth, den entscheidenden dritten Punkt für das Team des Deutschen Tennis-Bundes erzielen. Und, das tauchte schon am Samstag als Gerücht auf und wurde am Sonntag von einem Insider verlautbart: Im Anschluss wollte Mayer seinen Abschied aus dem Männerteam verkünden. Auch er hätte dann wie die rüstigeren Jahrgänge des DTB eine Auszeichnung verdient gehabt. Doch derselbe Insider raunte auch vor dem ersten Aufschlag: Mayer ist nervös.

Ob Kohlschreiber und Zverev in der Europa-Afrika-Gruppe gespielt hätten, ist ungewiss

Dann begann die Partie gegen den 20-jährigen Kamil Majchrzak. Nach einer Viertelstunde lag Mayer 0:4 zurück. Mayer war nicht nervös. Er war wahnsinnig nervös. Er agierte unsicher, fehlerreich, setzte Stoppball-Versuche mittig ins Netz. Dieses Bild änderte sich weitgehend nicht, und seinem jungen Kontrahenten, die Nummer 277 der Weltrangliste, reichte es, den Ball mit solidem Tempo im Spiel zu halten. Mayers genialisches Gefühl für den richtigen Treffmoment und den unorthodoxen Schlag blitzte zwar auf, aber selbst als er den zweiten Satz gewann, sah das mehr nach Qual denn nach Befreiung aus. Majchrzak, den sie in seiner Heimat aufgrund seiner Coolheit den kalten Fisch nennen, gewann 6:2, 4:6, 6:2, 6:3. Mayer, der sich in einer guten Saison auf den 59. Weltranglistenplatz gearbeitet und am Sonntag Probleme mit Wade und Oberschenkel hatte, trollte sich sofort. Das obligatorische Fernsehinterview auf dem Platz gab er nicht. Das war ein bitterer Abschied für ihn.

Eine Woche nach dem spektakulären Erfolg von Angelique Kerber, die nach den Australian Open auch bei den US Open triumphierte, setzte sich die merkwürdige Woche der Männer also fort. Nun lag es an Jan-Lennard Struff, im fünften, entscheidenden Match den ersten Abstieg aus der Weltgruppe seit 13 Jahren abzuwenden; der Warsteiner traf auf Hubert Hurkacz, auch diese Partie sollte eine Pointe bereithalten. Zu Wochenbeginn hatte zuerst Philipp Kohlschreiber abgesagt, dann sorgte eine neue DTB-Regel für Unruhe; Spieler, die statt im Davis Cup bei Challengers antreten, sollen ein Jahr lang nicht nominiert werden. Die ersten Betroffenen sind Dustin Brown, Mischa Zverev und Tobias Kamke. Dann gewann Struff am Freitag gegen Majchrzak und Mayer gegen Hurkacz, und als Daniel Brands und Daniel Masur im Doppel am Samstag 2:0-Sätze gegen Lukasz Kubot/Marcin Matkowski führten, schien der Klassenerhalt nahe zu sein. Doch sie verloren, und so begann das Zittern, das Mayer künftig nicht mehr ertragen muss. Er trat zurück und verkündete dies aufrecht sowie kurz und sachlich.

In zwei Wochen werde er 33, dieser Davis Cup habe ihm körperliche Grenzen aufgezeigt, er wolle "den Weg für die nächste Generation freimachen". Es sei eine "lange Reise" gewesen und eine "schöne Zeit", die 2004 im DTB-Team für ihn begann. Mayer hinterlässt eine 10:9 Einzelbilanz, und dass er im Reinen die Davis-Cup-Bühne verlässt, wurde deutlich, als er auf die Frage, ob er aber auf der Tour weitermache, erwiderte: "Definitiv, ja." Und er unterstützte Struff, der schon durch eine ganz andere Körpersprache auffiel: Boris Becker soll mal vor einem entscheidenden Match im Davis Cup in Vorfreude auf den Clinch gerufen haben, jetzt mache er eben seinen Gegner platt, und so selbstbewusst trat auch Struff auf. Bemerkenswert war das, denn erstens ist Struff, 26, manchmal auch etwas zurückgenommen, und zweitens war es das wichtigste Match seiner Karriere. Mit 7:6 (4), 6:4, 6:1 fertigte er Majchrzak ab und ersparte mit dem Sieg zum 3:2 den Deutschen die Tingeltour in der Europa/Afrika Gruppe, über die der Weg zurück in die Weltgruppe geht. "Er hatte dieses Vollgas in sich selbst", sagte Teamchef Michael Kohlmann auf dem Platz, "er kann stolz auf sich sein." Auch Mayer strahlte jetzt, er erhielt noch mal warmen Applaus und von Kohlmann den Dank dafür, "dass er sich noch mal dem Druck gestellt hat". Auch er schaute gelöst, denn eine ganze Spirale an weiteren Problemen bleibt ihm nun erspart. DTB-Präsident Ulrich Klaus konnte offiziell die Vertragsverlängerung Kohlmanns verkünden. Kohlschreiber und Zverev dürften 2017 wohl wieder antreten; ob sie sich die Europa/Afrika Gruppe angetan hätten, ist anzuzweifeln. Brown, der sich zuletzt mehrmals im Internet über Kohlmann und den DTB geärgert hatte, verlor derweil beim Challenger in Stettin erst im Finale und steht erstmals in den Top 70. Sportlich hat das Ende für die Deutschen gepasst.

© SZ vom 19.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: