Tennis:Popstar und Priester

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Schattenspieler: Roger Federer verlässt die Arena in Melbourne mit seinem leuchtenden Pokal. (Foto: Jason Reed/Reuters)

In der Nacht seines unerwarteten Triumphs von Australien präsentiert sich Roger Federer noch entspannter und nahbarer als sonst. Der Schweizer Rekordhalter hält nichts von übertriebener Überhöhung.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Mirka leistete gute Arbeit, sie hing sich rein, ruderte mit den Armen, die Augen waren weit aufgeklappt. Um sie, die speziellste Ehefrau an diesem Abend, herrschte wildes Durcheinander, aber schließlich hatte sie eine zündende Idee: Sie schlug mit beiden Händen eine Gasse in die Menschenmenge, dann rief sie den Sicherheitskräften zu: "Okay, der gehört dazu. Und der. Und der. Und der." Das ging noch eine kleine Weile so weiter. Wenn die Federers etwas zu feiern haben, ist das eben nicht wie bei Lieschen Müller. Ihr Clan, zu dem nicht nur die beiden jungen Zwillingspaare und einige nicht unwichtige Angestellte gehören, ist ein bisschen größer als bei einer Durchschnittsfamilie. Und die Anlässe, auf die angestoßen wird, sind auch nicht alltäglich. Fünf Minuten, das berichtete später der Tennisprofi Roger Federer, der Gatte der zupackenden Mirka, habe er mit seinen Angehörigen in der Umkleide gehabt, als alle versammelt waren. Sie waren ihm alle wichtig, ein vertrauter Moment, ehe er wieder raus musste.

Und so kam es, dass Federer alsbald auftauchte, zuerst diverse Fernsehstudios durchlief, dann folgte die Weltpresse, der Hörfunk, und als man dachte, er sei gegangen, saß Federer immer noch im "Main Interview Room" und hörte sich jede Frage geduldig wie ein Priester an. Denn neue Reporter hatten mitbekommen: "Rodscha" ist immer noch da. Und er ist nahbarer als viele Kollegen im Büro. Nichts wie hin.

Der Hang, die Dinge zu überhöhen, ist in seinem Fall naheliegend. Allein dieser für alle - für ihn selbst auch - völlig unerwartete Erfolg bei den Australian Open, sein 18. bei einem Grand-Slam-Turnier, setzt ihn weiter von der Konkurrenz ab; diverse Rekorde schwangen zusätzlich mit: mindestens fünfmaliger Gewinner von drei verschiedenen Grand Slams (Australian Open, Wimbledon, US Open), mit 35 der zweitälteste Grand-Slam-Sieger. Und die eine cross durchgezogene Rückhand und die Halbvolley-Vorhand von der Grundlinie longline, jeweils im fünften Satz des Endspiels gegen Rafael Nadal, waren ohnehin so schön, dass alleine sie den funkelnden Pokal verdient gehabt hätten, den Federer kaum losließ in jener Nacht, und den er knutschte wie seine Mirka zuvor. Was die Welt aber noch lernen muss, ist die Tatsache, dass dieser Schweizer aus Basel, der eigentlich der ganzen Welt zu gehören scheint, die Dinge nicht überhöht.

Möglicherweise steckt da gesunde Erziehung dahinter, möglicherweise ist es nur ein Trick, um den Wahnsinn auszuhalten, der um ihn herum jedes Mal entsteht. Er muss nur den Kopf rausstrecken, da kann Justin Bieber einpacken - so ein Gekreische kassiert nicht mal der Popstar. Richtig nett war daher jene Mini-Anekdote, die Federer verriet. Er sei mit dem Pokal auch kurz zu den Zwillingsmädchen gegangen - die meinten als Erstes, da könnte lecker Suppe rein, die man dann schlürfen könnte. Und zweitens, da musste Federer erst recht schmunzeln, waren Myla Rose und Charlene Riva froh: Sie hatten einen Grund, nicht sofort ins Bett zu müssen. Die Federer-Kids sind auch nicht anders als Millionen andere. Das ist doch beruhigend.

Mit der Historie muss man Federer also nicht kommen, um ihn zu Tränen zu rühren, ein verwandelter Matchball gegen Nadal verursachte das schon eher. "Am Ende des Tages bleibt es einfach Sport", so sieht Federer seine Profession, deshalb wollte er von der Zählerei seiner Siege nichts wissen: "Ehrlich, das ist egal." Was aber nicht heißt, dass er seine Leistung nicht einordnet in einen größeren Zusammenhang - nur definiert er den nach seinen eigenen Kriterien. Und da wurde es interessant.

Angstgegner Nadal? "Man spielt den Ball, nicht den Gegner."

Je länger Federer auf der Pressekonferenz sprach, desto klarer wurde: Er sieht sich auf einer Reise, die nun schon bald 20 Jahre andauert, nur war ihm nicht ganz ersichtlich, was für ein Kapitel auf ihn in dieser Saison und konkret in Australien zukommen würde. Dass er in Melbourne, Ende der Neunzigerjahre, seine legendäre Karriere startete, erwähnte er nachdenklich und auch beglückt. Eine Art Kreis schloss sich. Weil die Gegenwart stimmte. Die Ungewissheit, ob er nach sechs Monaten Absenz aufgrund einer Knieverletzung noch voll wettbewerbsfähig sei, hatte ihn zuvor noch umgetrieben, obwohl er auch ein Selbstvertrauen hoch wie das Matterhorn zu Hause besitzt. Federer weiß schon auch, dass er gut ist. Wie gewaltig groß seine Erleichterung war, dass er wirklich noch bedeutende Siege feiern kann, verdeutlichte ein Satz von ihm: Explizit betitelte er den Triumph von Melbourne als "Meilenstein meiner Karriere" und verglich ihn mit seinem ersten und einzigen Sieg bei den French Open. "Ich versuchte es dort, ich kämpfte, ich versuchte es wieder und scheiterte. Schließlich hatte ich es geschafft. Hier fühlt sich das ähnlich an." Wie in Paris, wo er sich jahrelang um seinen letzten fehlenden Grand-Slam-Titel bemüht hatte, bis er 2009 gewann, fühlte er nun eine Erlösung. Nach dem Matchball sei "alles von mir abgefallen". Dann weint ein Federer schon mal.

Zuerst sieht er sich noch als Sportler. Er freute sich folglich diebisch daran, dass er im Finale das umgesetzt hatte, was er sich vorgenommen hatte: "Man spielt den Ball, man spielt nicht den Gegner." Frei im Kopf wollte er sein, frei schwingen, das merkte man vor allem an seiner Rückhand, die gegen Nadal noch nie so gut war wie am Sonntag, "der Mutige wird belohnt". Er vermied es daher auch tunlichst, nun forsche Ankündigungen zu wagen, welche Ziele und Titel er noch erreichen wolle auf seiner Comeback-Tour. Das wollten ja gerne einige hören.

Wobei man sich schon gut vorstellen kann, wo er reüssieren kann: Es braucht schnelle Plätze für ihn, und gerade der Belag in der Rod Laver Arena war diesmal schnell wie nie - was zu der absurden Spekulation führte, Turnierdirektor Craig Tiley habe das wegen Federer veranlasst. Der Südafrikaner wies das entspannt zurück.

Die Nacht ließ Federer mit seinem Clan ausklingen, "das Gute ist ja, dass genügend Leute da sind, um eine Party zu feiern", sagte er noch, so mit 20, 30, 40 Personen rechnete er schon. Mirka Federer hat dann bestimmt dafür gesorgt, dass auch diese Situation ein erfreuliches Ende für alle nahm.

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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