Tennis:Paris seufzt und singt

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Eine, die mitreißt: Kristina Mladenovic besiegt Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza - und nährt die Hoffnungen der Franzosen auf den ersten Heimsieg seit 2000.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Plötzlich ging es um Stuttgart. Um das Frauenturnier dort. Kristina Mladenovic wurde ernst. "Um ehrlich zu sein", sagte sie, der Zufall sei, dass sie kürzlich erst in Stuttgart im Finale verloren habe, gegen eine Deutsche, Laura Siegemund. "Und die Leute waren extrem hart." Sie seien komplett gegen sie gewesen, sollte das heißen. Sie aber habe nicht geklagt. Wie es jetzt ihre Gegnerin tat, Titelverteidigerin Garbiñe Muguruza, die sie besiegt hatte, im Achtelfinale der French Open. "Ich meine", sagte Mladenovic, "es ist Sport, es ist eine Show. Wir versuchen, unser bestes Tennis zu zeigen, die Menschen zu unterhalten, Kampf zu zeigen und Emotionen."

Bislang steht fest: Mladenovic, 24, aus Saint-Pol-sur-Mer bei Calais, Tochter zweier Einwanderer aus Serbien, kommt ihrem Berufsverständnis pflichtbewusst nach. In Runde eins besiegte sie die Amerikanerin Jennifer Brady 9:7 im dritten Satz. Das sei "ein kleiner Marathon" gewesen. Die Fans sangen ihren Namen wie eine Oper von Puccini. Dann besiegte sie die Italienerin Sara Errani mühelos. Wieder Arien. Es folgte ein Krimi, 2:5 im Dritten zurück, doch 8:6 gegen die Amerikanerin Shelby Rogers. "Kiiiikiii, Kiiiikiii!", brüllte das Stadion. Nicht das halbe - das ganze. Und als diese Kiki, die so heißt, weil ein Cousin sie als Kleinkind so nannte und das schöner klang als jenes "Keek", das ihr Bruder krächzte, als diese Kiki am Sonntag also Muguruza 6:1, 1:6, 6:3 bezwang, dröhnte es wieder bis hinüber zum benachbarten Bois de Boulogne.

Im hellen Scheinwerferlicht: Für Kristina Mladenovic, 24, ging es zuletzt hoch hinaus - in Paris trägt sie stimmungsmäßig das Turnier. (Foto: Clive Brunskill/Getty)

Auch später war vieles theaterreif. Mladenovic brachte vor Schluchzen kein Wort heraus. Muguruza winkte stinksauer ab, als die Fans, die ihre Fehler bejubelt hatten, sie mit Applaus entlassen wollten. "Sie hätten ein bisschen respektvoller sein sollen", sagte die Spanierin, sackte zusammen, verließ den Raum, kehrte zurück, setzte eine süße Spitze: Ob sie gehört habe, dass Mladenovic bei Muguruzas Fehlern "Forza!" gerufen habe? "Nein, sie spricht ja 25 Sprachen, wie ich hörte." Um die Spanierin zu verteidigen: Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Es war wohl eher so, wie Mladenovic sagte: "Ich war bereit dafür und sie offenbar nicht." Sie meinte: für die Show im emotionalen Dampfkessel namens Court Suzanne Lenglen, der, wenn das so weitergeht, bald nach Mladenovic benannt werden müsste.

Bei den vier Grand Slams gibt es stets eine Handvoll Spieler, die über den anderen stehen, sie tragen stimmungsmäßig das Turnier. Und Mladenovic bringt alles mit, diesmal zur Jeanne d'Arc dieser French Open zu werden, Paris gar zu erlösen. Mary Pierce war ja die letzte Einheimische, die triumphierte, 2000, lange her. Mladenovic, die bereits mit Pierce verglichen wird und die sie kennt und bewundert, ist eine, die Gefühle zeigt, Frust und Freude, eine, die mitreißt, bewegt. Sie hält, nach Siegen, ihren Zeigefinger auf die rechte Stirnflanke, wie Stan Wawrinka, das Zeichen, dass man Köpfchen bewiesen hat, Spielintelligenz. Sie habe das ein wenig abgeschaut, gestand sie, aber: "Das ist auch ein Kiki-Ding." Manchmal gibt es Klagen, es fehle an Typen auf der Frauentour. In Bezug auf Mladenovic kann das nicht gelten.

Yannick Noah, der einstige Tennisakrobat und Troubadour, der 1983 Paris erlöst hatte, als er nach 37 Jahren der französischen Dürre die Coupe des Mousquetaires stemmte, adelte sie in der Sportzeitung L'Équipe so: "Alle Champions aus meiner Epoche hatten etwas. Bernard Hinault hatte es, Michel Platini hatte es. Ich nenne es Charakter." Mladenovic habe ihn auch.

Ihre Lust am Wettbewerb ist kein implantierter Drill, eher ein Familien-Gen. Die Mutter war Volleyball-Profi, der Vater Handballer, der Bruder ist Fußballer. Siegen, verlieren, wieder aufstehen, das kennen sie. Mladenovic war schon gut platziert in der Weltrangliste, fiel dann fast aus den Top 50, doch seit einem halben Jahr klettert sie unentwegt. In St. Petersburg gewann sie ihr erstes Turnier, sie erreichte drei Finals, 14. ist sie nun in der Rangliste und die beste Französin, was sofort auch heißt: im hellsten Scheinwerferlicht.

Mladenovic scheut keine verbalen Konflikte - sie war die Erste, die Maria Scharapowa kritisierte

Mladenovic fremdelt freilich nicht in dieser Rolle. Sie ist authentisch und nicht durch eine Agentur geschult, wie die sympathische, doch oft schablonenhafte Muguruza, die mit ihren Tränen verriet, dass sie nicht alle Gedanken aufdeckt. Mladenovic wird seziert, und sie lässt sich sezieren, erklärt ausgiebig und eloquent, wie sie ihre Rückenprobleme meistert, wie sie merke, wie sie international anders wahrgenommen werde, wie das sich aufpeitschende Wechselspiel mit den Zuschauern auf sie wirke: "Das ist extrem schwer, eine große Herausforderung", gestand sie. "Auf der einen Seite hilft es dir, es ist hart für den Gegner. Auf der anderen Seite musst du selbst damit klarkommen, nervenmäßig." Weil alle ja das nächste große Ding erwarten. Ihr Kiki-Ding. Bei jedem ihrer vielen Doppelfehler seufzt halb Paris. Denn die Chance für den Scoop ist wirklich da. Im Achtelfinale waren nur Spielerinnen angelangt, die noch nie ein Grand-Slam-Turnier gewannen. Das gab es letztmals 1979.

Das Selbstbewusstsein, das man als Champion benötigt, bringt sie in jedem Fall mit. Sie kann grazil und pfauenhaft durch die Gänge stolzieren. Als sie mit den Profis Belinda Bencic aus der Schweiz und Alexander Zverev aus Hamburg Fotos veröffentlichte aus gemeinsamen Urlaubstagen auf einer Luxusinsel, schwang da dieses "Uns gehört die Welt"-Gefühl mit. Mladenovic scheut auch keine verbalen Auseinandersetzungen, sie knallte als Erste Maria Scharapowa ihre Meinung um die Ohren; sie hält die Russin, 15 Monate wegen eines positiven Dopingtests gesperrt gewesen, für eine Betrügerin. Mit ihrer französischen Fed-Cup-Kollegin Caroline Garcia trägt sie seit Längerem einen Zwist aus, der bisweilen zickig anmutet, aber auch ihr Kreuz belegt: Sie hält Druck aus. Dass Mladenovic übrigens in Stuttgart doch über das Publikum geklagt und sie in Paris geflunkert hatte - geschenkt. Alles halt ein bisschen Show. Nun sagte sie auch, vor dem Viertelfinale gegen die Schweizerin Timea Bacsinszky: "Vielleicht bin ich die Frau, die man schlagen muss."

Sie sprach vom Gewinn des Turniers.

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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