Tennis:Noch nicht reif für die Box

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Tommy Haas verschiebt im Alter von 37 Jahren sein Comeback erneut, erst beim ATP-Turnier in München will er auf die Tour zurückkehren.

Von Gerald Kleffmann

Ganz vorne saß Tommy Haas, in einer dieser Boxen, die viel Geld kosten, aber er war ja auf Einladung eines wichtigen Menschen vom Wohnort Los Angeles nach Indian Wells kürzlich angereist. Larry Ellison, der Gründer des Software-Giganten Oracle, hatte dem Deutschen gerne einen besonders guten Platz bei seinem eigenen Turnier der Masters-Serie zur Verfügung gestellt. "Direkt hinter der Grundlinie" saß Haas, "diese Perspektive kannte ich im Grunde nicht", denn entweder spielte er bislang selbst oder er saß mal an der Seite, etwa im Davis-Cup, wenn er den Kollegen zuschaute. "Es war großartig", sagt Haas, "man konnte wirklich sehen, was für ein harter Sport Tennis ist. Wie Novak Djokovic die Bälle aus den Ecken grätschte, war unglaublich."

Und trotzdem würde er, der kürzlich 37 Jahre alt geworden ist, das nächste Mal lieber nicht in einer dieser Boxen als Fan sitzen. Haas, der an diesem Mittwoch in München gelandet ist und sich auf die BMW Open vorbereitet, plant, Ende April auf der Anlage des MTTC Iphitos "an den Start gehen zu können". Ganz sicher kann er nur immer noch nicht sein.

Haas' Karriere kennt eigentlich nur zwei Stadien, die sich quasi die Hand geben. Entweder er war fit und glänzte spielerisch derart, dass Tennisdeutschland stolz auf den besten Profi der vergangenen 16 Jahre war. Oder Haas war nicht fit und fehlte lange. Weil wieder eines jener Körperteile verletzt war, die in der Medizin unaussprechliche Namen haben wie die Supraspinatussehne in der Schulter, die aufgrund von Verschleiß irgendwann im letzten Frühsommer gerissen war. Seit den French Open in Paris, wo er gegen den Esten Jürgen Zopp aufgeben und letztlich doch eine erneute Operation - seine vierte an der Schulter - hinnehmen musste, hat er nicht mehr an Turnieren teilgenommen.

Für eine erzwungene Auszeit gibt es nie einen idealen Moment, und es ist bemerkenswert, dass Haas nicht klagt und sich etwa beim Tennisgott beschwert, wie der ihn just in einer Form, die ihn Kei Nishikori in Indian Wells und Stan Wawrinka in Rom besiegen ließ, aus dem Verkehr ziehen konnte. "Es ist mental nicht so einfach", gibt Haas bezüglich seines x-ten Comebackversuchs preis, überhaupt ist dieses C-Wort bei ihm aus gutem Grund nicht sehr gut gelitten. Denn einerseits musste er zuletzt seine angedachte Rückkehr mehrmals verschieben und nun auch auf das Turnier in Monte-Carlo verzichten. Andererseits wäre es Haas, der sich selbst zur Geduld ermahnt, am liebsten, er wäre längst Bestandteil des Betriebs ATP-Tour. In der aktuellen Kaugummiphase will die Öffentlichkeit ja vor allem dauernd wissen, wann er endlich wieder aktiv wird - um gleich die nächste Frage zu stellen, die Haas genauso wenig beantworten kann: Wann er denn gedenkt, aufzuhören?

Vor zehn Tagen war er in New York bei seinem Arzt - die Schulter zwickte wieder

"Ich habe das Gefühl, dass ich mir noch etwas beweisen will", sagt Haas dann zu diesem Thema und betont: "37 ist nur eine Zahl in meinen Augen", und da hat er recht, zumindest mit der Botschaft. Es gibt ja keine Regel, die 37-, 38- oder 40-jährigen Profis untersagt, ihren Beruf auszuüben, und deshalb denkt Haas im Frühjahr 2015 nicht daran, wie er nun genau den idealen Absprung seiner Karriere schafft, ein Fest für Familie und Freunde soll es geben, diese lose Vision hat er, mehr nicht. "Ich glaube, dass jetzt die Herausforderungen im Vordergrund stehen", so sieht Haas den Status quo und meint all das, was er jetzt aktiv angehen will und was er am Leben als Profi schätzt: sich durch Turniere kämpfen, sich mit großen Gegnern messen, die Zuschauer begeistern sowie beschwerdefrei, bewusst die Arbeit genießen. Dass er Tennis "liebt", wie er pathetisch formuliert, sollte man ihm absolut abnehmen. Er müsste sich die Plackerei längst nicht mehr antun, Optionen für eine Tätigkeit danach existieren überdies auch schon. Mit dem Selfmade-Milliardär Ellison etwa tüftelt er an Projekten, darunter ist auch die Idee, eine Tennisakademie aufzuziehen.

Grundsätzlich ist für Haas aber alles, was weiter entfernt ist als "ein paar Tage oder Wochen", Zukunftsspielerei, für ihn geht es darum, endlich dieses ungute Gefühl zu beseitigen, "dass man vielleicht nicht mehr nachkommt", das sich bei den Reha-, Fitness- und Tennis-Schichten immer wieder mal anschleicht. Haas hat, sagt er, die vergangenen Monate ja nicht viel anders gearbeitet und gelebt, als würde er auf der Tour spielen - nur fehlen eben die Ergebnisse, die Leistungsnachweise und das Wissen, dass die Schulter hält und voll belastbar ist. "Mit Tempo 140, 150 beim Aufschlag gegen Topleute rauszugehen, macht noch keinen Sinn", sagt Haas, der zwar schon einige härtere Trainingssessions mit Roger Federer oder Marin Cilic absolviert hat. Aber ans Limit gehen, fällt dem Körper noch schwer. Als er in Indian Wells der Schulter keine Pause gönnte, wurde er prompt mit neuen Beschwerden bestraft. Vor zehn Tagen war deshalb noch mal in New York bei jenem Arzt, der inzwischen gut befreundet ist mit der Schulter von Haas, so oft hat er sie schon getroffen.

Dass Haas das Tennisspiel an sich immer noch versteht, vor allem taktisch, ist schwer anzunehmen, er hat ja zudem diesen Aspekt ständig in die Arbeit mit einbezogen und sich mit verschiedenen Trainern auf den Platz gestellt, etwa mit Thomas Högstedt oder seinem früheren Coach Christian Groh. Auch Alexander Waske zählt noch zum Kreis seiner Helfer, wobei Haas offen lässt, wie intensiv diese Zusammenarbeit weiter verlaufen wird.

Haas will kein Comebacker mehr sein, das steht fest, und keiner, der vor der Rente steht. Er will nur ein Tennisprofi sein, der spielt. Er hofft auf den Tag, "an dem es Klick macht". Deshalb ist er nun nach München in seine Heimat gekommen. Die Zuschauerbox kann und soll noch warten.

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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