Tennis:Kontrolle über kleine Kanonenkugeln

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Julia Görges fügt seit einiger Zeit viele Details zu einem stimmigen Ganzen zusammen: In Indian Wells demonstriert die Weltranglisten-Zwölfte ihre gewonnene Selbstsicherheit.

Von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Julia Görges und ihr Trainer Michael Geserer saßen da, als würden sie beim Tee über ein paar heitere Nichtigkeiten plaudern. Zwischendurch stand Geserer auf, er brachte eine Wasserflasche zu Physiotherapeut Florian Zitzelsberger, der sich ein paar Meter entfernt prächtig mit einem älteren Herrn unterhielt. Das Team der Tennisspielerin befand sich jedoch nicht beim Frühschoppen im Wirtshaus, sondern im Stadion 5 auf der Tennisanlage der kalifornischen Stadt Indian Wells. Görges hatte gerade den ersten Satz ihrer Zweitrundenpartie gegen Natalja Wichljanzewa (Russland) gewonnen, wegen der Toilettenpause der Gegnerin hatte sie ein bisschen Zeit - also plauderte sie minutenlang mit ihrem Trainer.

Es war höchst interessant, diesen Moment einmal in dieser Länge zu erleben, weil er einiges aussagt über Görges und die beiden Menschen, die sie regelmäßig auf ihren Reisen begleiten. Es gibt Spielerinnen, die zählen beim Trainerbesuch während des Seitenwechsels demonstrativ die Zuschauer auf der Tribüne und deuten dadurch an, dass sie gerade nicht zuhören. Andere beschweren sich beim brav nickenden und stummen Trainer, dass es die Natur mal wieder ganz schlimm mit ihnen gemeint habe an diesem Tag. Nur eher selten erlebt man einen entspannten Dialog wie den zwischen Görges und Geserer.

"Wir gleichen uns ab. Vielleicht sieht er von außen was, das ich auf dem Platz nicht bemerke", sagte Görges nach dem souveränen 6:4, 6:1: "Es geht um taktische Details oder kleine Dinge. Das kann auch eine Reaktion der Gegnerin sein, die ich nicht mitbekomme, weil ich gerade Bälle besorge oder mir das Gesicht abtrockne. Es kann aber wichtig sein, das zu erfahren." Es sind Kleinigkeiten wie diese Gespräche, die sich bei Görges seit einiger Zeit zu einem stimmigen Ganzen fügen: Seit Oktober hat sie 22 von 25 Partien gewonnen, mittlerweile wird sie auf Platz zwölf der Weltrangliste geführt.

"Ich hatte Krämpfe im großen Zeh - die Spannung im Körper war einfach zu hoch", erzählt sie

Noch ein Beispiel für die Liebe zu Details bei Görges: Bei den üblichen Tennisturnieren werden Spielerinnen nach ihren Partien in Räume geschickt, wo sie die Fragen der Journalisten beantworten. Das tun sie meist professionell, hin und wieder heiter, manchmal erhellend - auch wenn man einer Spielerin, die nach der achten Erstrunden-Niederlage in Serie versichert, auf dem richtig Weg zu sein, schon mal antworten will, dass das Ziel dieses Wegs dann aber nur ein möglichst rasches Ende der Profikarriere sein kann. Görges dagegen erteilt einem schon mal einen Grundkurs in Anatomie und Physiotherapie. Sie hatte kürzlich wegen einer Hüftverletzung pausieren müssen, sie sagt jedoch nicht: "Ich hatte eine Hüftverletzung." Sie sagt: "Erst hat ein kleiner Muskel im Oberschenkel gezwickt, aufgrund der langen Partien danach haben die Muskeln drumherum zugemacht. Die starken Schmerzen waren dann im Hüftbeuger - und ich hatte Krämpfe im großen Zeh, weil die Spannung im ganzen Körper zu hoch war. Da halfen keine Massagen mehr, es waren ganz viele Nadeln nötig."

Wer sie nach den Bedingungen in Indian Wells fragt, der hört: "Wir sind bewusst eine Woche früher angereist - nicht wegen des Wetters, sondern wegen der Tennisbälle, die in Europa meines Wissens nach nicht erhältlich sind. Sie sind extrem klein und leicht, aufgrund der trockenen Höhenluft nehmen sie den Drall ganz besonders auf und sind schwer zu kontrollieren. Die werden zu kleinen Kanonenkugeln, an die man sich erst einmal gewöhnen muss." Hin und wieder gibt es noch einen psychologischen Exkurs: "Man darf sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, vielleicht sind meine Probleme kleiner als die der Gegnerin. So kann man auch mal eine Partie gewinnen, obwohl nicht alles gut läuft."

"Wer jetzt noch im Turnier ist, kann es auch gewinnen", glaubt Görges

Man könnte nun einwenden, dass sich jeder Profisportler mit Details wie Ballbeschaffenheit, Fitness und Psyche der Gegnerin beschäftigen sollte - und doch fällt immer wieder auf, wie wenige das wirklich tun. Man hört dann Sätze wie: "Ich wusste nicht, dass es auf diesem Platz kein Hawkeye gibt." Bei Görges fällt zudem auf, dass sie nicht bei jedem Turnier einen trendigen Energiedrink oder eine neue hippe Trainingsmethode präsentiert. Sie hat vor zwei Jahren einen neuen Weg eingeschlagen, den geht sie nun, und die Erfolge der vergangenen Monate lassen vermuten, dass das tatsächlich der richtige Weg für sie sein könnte.

Aus den Erfolgen wächst nun die Gewissheit, knifflige Momente wie im ersten Satz gegen Wichljanzewa überstehen und auch Turniere wie Ende des vergangenen Jahres in Moskau und Zhuhai (China) oder in dieser Saison in Auckland (Neuseeland) gewinnen zu können. In Indian Wells trifft sie in der dritten Runde am Montag auf Anastasija Sewastowa (Lettland). "Wer jetzt noch im Turnier dabei ist, der kann es auch gewinnen", sagt Görges, und bevor jemand auf die Idee kommen könnte, dass dies eine gar schreckliche Floskel ist, schiebt sie sogleich nach: "Das Feld im Frauen-Tennis ist derzeit überaus ausgeglichen." Sie hat sich darüber informiert - und wahrscheinlich bereits mit dem Trainer Geserer darüber gesprochen.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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