Tennis:Kerbers Kraft ist aufgebraucht

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Angelique Kerber: Braucht sichtbar Erholung (Foto: dpa)
  • Angelique Kerber scheitert in ihrem erfolgreichsten Jahr im Endspiel der WTA-Finals an Dominika Cibulkova.
  • Nach 81 Matches in einer Saison sehnt sie sich nach "viel, viel Ruhe".
  • Ab November beginnt aber auch die Zeit der Ehrungen.

Von Gerald Kleffmann, Singapur/München

Torben Beltz ist auf den Platz gegangen, nach dem ersten Satz, er kniete sich vor Angelique Kerber und redete auf sie ein. Sie solle den Kopf oben lassen. Sie solle ihre Punkte aufbauen, indem sie mehrmals auf die Rückhand der Gegnerin spielt, um dann auf deren Vorhandseite mit größtmöglicher Härte zu zielen. Sie solle mit Stopps überraschen. "Du nimmst jetzt den Fight an und gehst richtig ab", sagte Beltz, ihr Trainer, ein freundlicher Schlaks aus Itzehoe. Diesmal, beim Saisonabschluss, fehlte Kerber dann aber doch die Kraft, auch mental, um richtig abzugehen. Es gewann eine, die gespielt hatte wie Kerber so oft in diesem Jahr, mit Herz, mit Leidenschaft, mit einem Willen, der groß war wie ein Berg im Himalaja. Die bessere Kerber hieß Dominika Cibulkova.

Mit 6:3, 6:4 setzte sich die Slowakin am Sonntag im Singapore Indoor Stadium im Endspiel der WTA-Finals durch, bei dem die acht besten Frauen um den Jahrestitel spielten. Für den größten Erfolg ihrer Karriere erhält die 28-Jährige, die 2014 im Finale der Australian Open stand (und gegen die Chinesin Li Na verlor), rund 1,9 Millionen Euro, Kerber blieben 1,1 Millionen Euro. Der Triumph Cibulkovas beinhaltete die Besonderheit, dass sie ihre ersten beiden Partien in der Gruppenphase verloren hatte, in drei Sätzen gegen Kerber, in zwei Sätzen gegen die Amerikanerin Madison Keys.

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Die Weltranglistenerste verliert das Endspiel beim WTA-Finale gegen Dominika Cibulkova und verpasst damit den dritten großen Titel in diesem Jahr. Kerber kann sich mit einem Rekordpreisgeld trösten.

Cibulkovas spezielle Besonderheit wiederum liegt darin begründet, dass sie mit nur 1,61 Meter Körpergröße extrem klein ist, diesen Wettbewerbsnachteil aber mit extrem viel Einsatz wettmacht. "Pocket Dynamo" oder "Pocket Rocket" lauten ihre Spitznamen. Ja, sie ist quasi ein Energiebündel, das in die Hosentasche passt. Will man die Wortspielerei auf die Spitze treiben, böte sich auch die Übersetzung ihres Nachnamens an, der bedeutet "Zwiebelchen". Und als solche trieb sie Kerber diesmal ganz real Tränen in die Augen.

Zwei statistische Vergleichswerte drückten die Unterlegenheit der 28 Jahre alten Deutschen aus. Cibulkova gelangen 28 direkte Punktgewinne, Kerber 14. Cibulkova unterliefen 14 leichte Fehler, Kerber 23. In der Summe spielte Kerber also zu passiv und ließ sich links und rechts rumscheuchen. Und ihr fehlte die Sicherheit. Gerade wenn diese Fähigkeit in ihrem Spiel fehlt, gerät Kerber in Not.

Sie hat nicht wie Serena Williams einen brachialen Aufschlag, mit dem sie sich im Match halten kann. Ihre Kampfkraft, auch ihre mentale, war jedenfalls sichtbar eingeschränkt. Kerber bestritt in diesem für sie unglaublichen Tennisjahr immerhin ihr 81. Match. Dass sie noch mal alles geben wolle, wie sie vor dem Finale meinte, drückte es aus: Kerbers Energiehaushalt 2016 war aufgebraucht.

Verwunderlich ist das nicht, Kerber bewältigte ja "die beste Saison meiner Karriere", wie sie resümierte. Sie gewann zu Saisonbeginn die Australian Open. Sie war in Wimbledon im Finale und verlor nur gegen Serena Williams. In Rio erfüllte sie sich den Traum von einer Medaille und errang olympisches Silber. Wie nun in Singapur hatte sie das Pech, final auf eine Gegnerin zu treffen, die um ihr Leben spielte: Monica Puig siegte aufopfernd rackernd für das kleine Puerto Rico. Bei den US Open stieg Kerber durch die Halbfinalniederlage von Williams gegen Karolina Pliskova zur Nummer eins der Welt auf, um dann in New York gleich den zweiten Grand-Slam-Titel zu holen.

Insgesamt acht Finals hatte sie in diesem Jahr erreicht, zig Medien- und Werbeauftritte absolviert, im Fed Cup Deutschland vor dem Abstieg bewahrt. "Viel, viel Ruhe", wolle sie genießen, kündigte sie nun an. Für zwei Wochen wird sie in den Urlaub reisen, im vergangenen Jahr tankte sie auf den Malediven Kraft. Ähnliches steht wohl wieder an. Beendet ist ihr Jahr damit aber noch nicht. Denn ab November beginnt auch die Zeit der Ehrungen.

Eingeplant ist bereits ein Auftritt bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres, die kaum an Kerber vorbeigehen dürfte. Bambi-Verleihung, Jahresrückblicke, Fernsehshows, sie kann frei wählen, wie viel sie mitnimmt an öffentlichen Auftritten. Und auch ihr neuer Manager Aljoscha Thron, 29, wird sicher einiges bewegen und belegen wollen, dass der gelernte Arzt zurecht die bisherige Agentur Arena 11 sowie mögliche andere Interessenten ausgestochen hat. Aus Singapur war zu hören, Thron wolle Kerber als Marke nachhaltig und global platzieren.

Dass sich Kerber für die Einmannkraft entschied, muss nicht verkehrt sein, sie vertraut bekanntlich Menschen am meisten, die sie lange und gut kennt. Thron arbeitete vor Jahren für den heutigen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff, als der unter anderem noch Kerber managte. Bislang war es ihr stets wichtiger, sich mit ihrem Umfeld wohlzufühlen, als bei der Vermarktung das Beste rauszuholen. Auch Beltz war, bezeichnend für ihre Haltung, Anfang 2015 Objekt einer Rückrufaktion.

Ihre sportliche Entwicklung gibt ihrem Verständnis von Teambildung recht. "Ich glaube, ich bin jetzt eine ganz andere Spielerin", sagte Kerber einordnend in Singapur, "der Druck ist nicht mehr so das Hindernis." Daher blickt sie, die viele Punkte zu verteidigen hat, gelassen auf die kommende Saison. "Es wird ein interessantes Jahr. Aber ich bin bereit für die neuen Aufgaben, die auf mich warten." Bis dahin ist sicher auch ihr Energiehaushalt wieder ausgeglichen.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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