Tennis:"Ich habe dazugelernt"

Lesezeit: 3 min

Mit 32 so gut und so reif wie noch nie: Tennisprofi Philipp Kohlschreiber trifft in München auf seinen Landsmann Florian Mayer. (Foto: imago/ZUMA Press)

Philipp Kohlschreiber beweist im nicht mehr so zarten Profialter von 32 Jahren seine Wandlungsfähigkeit. Und spielt sein bisher bestes Tennis.

Von Gerald Kleffmann, München

Die Wandlung von Philipp Kohlschreiber, wie er selbst seinen Entwicklungsprozess nennt, begann vor zwei Jahren auf einem weißen Sofa. Es steht im VIP-Raum hinter Court 1 auf der Anlage des MTTC Iphitos. "Genau hier", sagt André Soulier, der auf jenem Platz sitzt, wo er 2014 mit dem bis heute besten deutschen Profi saß und über dessen Imageprobleme sprach. "Er fühlte sich missverstanden", erzählt Soulier, der erfolgreich im digitalen Marketingbusiness arbeitet und mit Kohlschreibers Trainer und Manager Stephan Fehske befreundet ist. Immer wieder hatte der Augsburger mit Wohnsitz Kitzbühel im Zentrum deutschen Davis-Cup-Theaters gestanden. Eine per Handyfilm übermittelte Absage für eine Olympia-Teilnahme 2012 hatte ihn unprofessionell erscheinen lassen. Soulier hörte sich Kohlschreibers Version an, stellte fest, dass der Typ "eigentlich nett" sei und riet ihm: "Sei authentisch! Sei, wie du bist! Genieße den Moment, du hast nur eine Karriere!"

Am Dienstagmittag, kurz darauf, sitzt Kohlschreiber fünf Meter von dem Sofa entfernt, der zweimalige Sieger der BMW Open bestreitet am Mittwoch oder Donnerstag sein erstes Match in München, gegen den Weggefährten Florian Mayer, 32. Er sagt: "Ich habe dazugelernt." Er wisse, dass er zu oft "angeeckt" habe; dass er sich "gewehrt" habe, mit der Außenwelt zu kommunizieren; dass mit einer unverfälschten Präsentation eine "Lockerheit gekommen" sei, die ihm auch auf dem Platz helfe. "Ich bin vielleicht ein besserer, umgänglicherer Mensch geworden", sagt Kohlschreiber noch, was sich etwas seltsam anhört, wenn das jemand über sich selbst sagt. Recht dürfte er trotzdem haben.

Eine von zwei Breaking News, die Kohlschreiber betreffen, ist tatsächlich seine Metamorphose hin zu einem offeneren Protagonisten. Er, früher gerne latent knurrig wie ein Kojote, ist jetzt nicht gleich ein Schmetterling, aber doch so etwas wie ein angenehmer Kauz geworden. Ohne lange zu überlegen schildert er, wie er sich zuletzt im Halbfinale von Barcelona gegen den 14-maligen Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal "klein gefühlt" habe; dass er dachte, "jeder Ball von Nadal ist super". Selbst als der nur normal den Ball ins Feld spielte. Er habe sich von der Aura einschüchtern lassen. Früher hätte Kohlschreiber sich lieber auf die Lippen gebissen als eine Schwäche zuzugeben. Nun gibt er diese zu, weil er verstanden hat, dass er sie nun einmal hat und ihn niemand deshalb verachtet, im Gegenteil. Er wirkt schwer mit sich im Reinen. "Er ist sehr happy gerade", bestätigt Fehske, der in dem Team, das Kohlschreiber zuarbeitet, noch mal eine spezielle Rolle einnimmt.

Der 32 Jahre alte Mainzer, ein früherer Regionalligaspieler, ist tatsächlich der "Gegenpol", wie ihn Kohlschreiber sieht. Von seiner Erscheinung her könnte Fehske in jedem Tarantino-Film mitspielen, und auch wenn er manchmal sehr selbstbewusst erscheint: Er ist ein Beweger, ein positiver Entscheider, er nimmt Kohlschreiber "die Scheuklappen ab", wie der Profi sagt. Kohlschreiber hat sich als Spieler nicht neu erfunden, aber er hat, auch dank Fehske, gelernt, dass man, wenn man sich öffnet, auch als erfahrener Akteur immer noch einen Schub machen kann. Das ist seine zweite Wandlung. Inzwischen haben die zwei eine diebische Freude daran, Matchpläne zu entwerfen, sich auf Gegner einzustellen, Fehske hat Kohlschreiber dabei die Effizienz von Statistiken vermittelt. Sie arbeiten mit Craig O'Shannessy zusammen, der als weltbester Daten-Analyst gilt. Früher hat Kohlschreiber stets mit Schnitt aufgeschlagen. Fehske konnte belegen, dass der gerade Aufschlag auf den Mann eine prima Waffe ist. In Barcelona hat Kohlschreiber bei jedem im Feld gelandeten geraden Aufschlag auf den Mann den Punkt gemacht.

Noch immer ist er der in der Weltrangliste - als Nummer 27 - bestplatzierte Deutsche, auch wenn Sascha Zverev, gerade 19 geworden, Druck macht (49.). Kohlschreiber hat den Glauben, nach wie vor, "vorne reinzugrätschen", doch er kennt seine Grenzen. In dieser Saison hat er alle geschlagen, die hinter ihm im Ranking standen. Gegen die Topleute, die eine "besondere mentale Kraft" auszeichne, fehlen ihm meist drei, vier Punkte; zuletzt verlor er in Monte Carlo 6:7, 5:7 gegen den Schweizer Stan Wawrinka. Nach der Niederlage trainierte er trotzdem zwei Stunden und ließ den Rückflug sausen. "Wenn ich je gezweifelt hatte, ob er noch brennt, hatte ich da die Antwort bekommen", sagt Fehske. Er lächelt.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: