Tennis:Er möchte doch unbedingt

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Bei den Australian Open verliert Alexander Zverev früher als gedacht - Roger Federer tröstet ihn.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Es war spät am Samstagabend, als Roger Federer eine Frage aufgriff, um eine kleine Verteidigungsrede zu halten. Er sollte darüber berichten, was er Alexander Zverev gesagt habe, nachdem der 20-jährige Deutsche in der dritten Runde dieser Australian Open gescheitert war: am Koreaner Heyon Chung mit 7:5, 6:7 (3), 6:2, 3:6 und einem schrecklichen 0:6. "Schaut", begann der Schweizer, der vor dem eigenen klaren Dreisatz-Sieg gegen den Franzosen Richard Gasquet dem niedergeschlagenen Zverev in der Umkleide begegnet war und sich tatsächlich die Zeit genommen hatte, ihn in einem persönlichen Gespräch aufzumuntern. "Es ist wichtig, manchmal einen Schritt zurück zu machen und das Gute zu sehen, was man geschafft hat. Gib dir selbst Zeit! Setze die Hürden niedriger! Versuch erst mal, ein Viertelfinale oder Halbfinale zu erreichen!" Das war sein Rat.

Und, noch eine andere Sache übermittelte Federer dem jungen Zverev. Er müsse vor allem den häufig aufkommenden Gedanken mal verdrängen: "Ich muss das Ding gewinnen!" Genau das hatte Zverev ja offenbar wirklich gedacht. "Er sah am Boden zerstört aus", schilderte Federer.

Als Nummer vier der Weltrangliste, als Sieger zweier Masters-Series-Turniere in Rom und Montreal durfte der rasante Aufsteiger Zverev einerseits diese Anspruchshaltung haben. Sein Problem, das sich in Melbourne verstärkt hat, ist nur: Auf der ATP Tour wird im Best-of-three-Modus gespielt, also über zwei Gewinnsätze. Hier kommt er einerseits für jeden Titel in Frage. "Ich muss herausfinden, was in den entscheidenden Momenten bei Grand Slams passiert", das erkannte Zverev anderseits jetzt wieder. Denn sein Erfolg bei den vier größten Events, den Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open, wo stets drei Gewinnsätze zum Siegen nötig sind, ist bescheiden. Ein Achtelfinale in England, ansonsten hat er stets zuvor verloren. Diese Bilanz nagt an dem 1,97 Meter großen Zverev, der sonst so unerschrocken wirkt, wie diese neue Generation an Profis eben heutzutage ist.

Alexander Zverev sah am Boden zerstört aus, sagte Roger Federer nach seiner Begegnung mit dem Deutschen in der Umkleide - und spendete den wohl besten Trost. (Foto: Quinn Rooney/Getty)

"Grand Slams bedeuten mir noch zu viel", gab er erstaunlich offen zu, "ich möchte unbedingt." In Melbourne hätte, auch dies musste er im Kopf gehabt haben, ein Duell mit dem zwölfmaligen Grand-Slam-Gewinner Novak Djokovic in Runde vier angestanden. Dieser innere Druck kann Kräfte entfalten - oder eben lähmen.

Wie im fünften Satz gegen Chung, mit 21 Jahren auch einer, dem eine große Zukunft bevorstehen könnte. Fünf Punkte nur gelangen Zverev gegen den athletischen Wusler mit seiner peitschenden Vorhand. Dabei hatte er lange "das Gefühl, dass ich besser war, auch im vierten Satz noch". Als er wegen des lange nicht eingeschalteten Flutlichtes mit dem Schiedsrichter zu hadern anfing und der Frust zunahm, war absehbar: In ihm baute sich der altbekannte Grand-Slam-Blues auf. "Cry me a river", hätte Justin Timberlake gesungen.

Sein Einbruch zum Matchende sei "nicht physisch" bedingt gewesen, meinte Zverev. Er sieht seine Schwächen, ließ sich daraus folgern, in der mentalen Herangehensweise. Dem fügte Boris Becker eine weitere Komponente hinzu. Er kritisierte die taktischen Mittel. "Man hat das Gefühl, bei Zverev gibt es derzeit nur ein A-Spiel, kein B und kein C. Irgendwann stellt sich der Gegner darauf ein." Der frühere Weltranglisten-Erste, selbst zweimal in Melbourne Champion gewesen, ist Head of Men's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes - also für die deutschen Männer zuständig. Bei den Australian Open sprach er aber in seiner anderen beruflichen Hauptrolle während des Turniers: als Eurosport-Kommentator. Dass Becker in die richtige Richtung dachte, deutete Zverev zumindest an. "Mein Vater hat mir gesagt, dass ich ein, zwei Sachen falsch gemacht habe", sagte er. Den besten Trost aber boten ihm Federers Worte: "Das hat mir geholfen".

Nadal im Viertelfinale

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(Foto: AFP)

Diego Schwartzman versuchte so ziemlich alles in diesen drei Stunden und 51 Minuten gegen Rafael Nadal. Am Ende aber musste sich der Argentinier von seinem Gegner tröstend den Kopf tätscheln lassen. Nadal war, mal wieder, zu gut. Trotz des ersten Satzverlustes im Turnierverlauf ist der Vorjahresfinalist mit 6:3, 6:7 (4), 6:3, 6:3 souverän ins Viertelfinale der Australian Open eingezogen. "Er hat heute viele Dinge gut gemacht und ich habe nicht so aggressiv gespielt wie in den vergangenen paar Tagen", sagte der 31-Jährige. "Deswegen habe ich mehr gelitten." Der Weltranglisten-Erste aus Spanien hatte erstmals vor dem Grand-Slam-Auftakt in Australien wegen seiner Knieprobleme kein offizielles Vorbereitungsmatch bestritten. Mit seinem Einzug in die Runde der besten Acht bleibt der Champion von 2009 unabhängig von seinem weiteren Abschneiden in Melbourne die Nummer eins im Ranking vor seinem Dauerrivalen Roger Federer. Gegen den Schweizer hatte Nadal im vergangenen Jahr das Finale in Melbourne verloren. Rafael Nadal trifft nun am Dienstag auf den früheren US-Open-Champion Marin Cilic. Der an Nummer sechs gesetzte Kroate gewann 6:7 (2), 6:3, 7:6 (0), 7:6 (3) gegen den Spanier Pablo Carreño Busta und feierte seinen 100. Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier.

Die Australian Open gehen damit - wieder einmal - ohne deutsche Männer in die zweite, entscheidende Woche. Im Grunde ließ sich die DTB-Bilanz so kompakt zusammenfassen, wie es Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann tat: "Zehn im Hauptfeld, das war gut. Nur zwei in der dritten Runde, das war - naja." In der schärferen Betrachtung allerdings konnte Kohlmann Lichtblicke erkennen. Fahrstuhlspieler Matthias Bachinger hat sich über die Qualifikation ins Hauptfeld gekämpft und hatte das Pech, gleich gegen den Weltranglisten-Achten David Goffin spielen zu müssen. Der Münchner Peter Gojowczyk, als Solist auf der Tour unterwegs, nahm Alexander Zverev in Runde zwei immerhin einen Satz ab. Das frühe Aus von Philipp Kohlschreiber (gegen den Japaner Yoshihito Nishioka) und Mischa Zverev (Aufgabe in Satz zwei gegen Chung) ließ sich ohnehin auf deren Erkältungen zurückführen. Und Maximilian Marterer, den Kohlmann persönlich trainiert, erreichte als Qualifikant nicht nur erstmals die zweite Runde auf ATP- oder Grand-Slam-Ebene, sondern dann gar die dritte Runde. Gegen den Amerikaner Tennys Sandgren fehlte dem Nürnberger allerdings die notwendige Energie: In der zweiten Runde hatte er sein erstes Fünfsatz-Match bestritten, gegen den erfahrenen Spanier Fernando Verdasco.

Ein Teil der deutschen Delegation wird bereits an diesem Montag weiterziehen. Vom 2. bis 4. Februar steht in Brisbane die erste Runde im Davis Cup gegen Australien an. Gojowczyk, der Doppelspezialist Tim Pütz und Kohlmann bilden die Vorhut, zur Überbrückung beziehen sie ein Hotel im nahen Carrara an der Gold Coast. Der Besitzer, ein reicher Russe, hatte über ein paar Zufälle davon gehört, dass der DTB eine Unterkunft suchte und stellt diese nun dem Verband zur Verfügung, unentgeltlich. Am Dienstag wird Kohlmann sein Aufgebot offiziell nominieren müssen, aber es ist kein Geheimnis, dass das Team die Zverev-Brüder, Gojowczyk, Pütz und Jan-Lennard Struff bilden. Mischa Zverev hatte lange hohes Fieber. Sollte er nicht fit werden, könnte der 19-jährige Daniel Altmeier aufrücken, der für ein Challenger-Turnier ohnehin in Australien ist.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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