Tennis: Dustin Brown:Wundertüte auf dem Tennisplatz

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Dustin Brown sieht aus wie Bob Marley, spielt Tennis wie Yannick Noah - und ist aus Niedersachsen. Nach Jahren im Wohnmobil hat er nun in München die Nummer 14 der Welt geschlagen.

Gerald Kleffmann

Wenn man eine Idee davon haben will, wie Dustin Brown seinen Beruf ausübt, muss man ihm nur zuhören. Alles sprudelt aus ihm heraus, Worte, Gedanken, Geistesblitze, keine Antwort gleicht der anderen, immer wieder überrascht er, mit Schilderungen, Sprüchen, er klingt energiegeladen, frech, naiv, weise. Er ist eine Mensch gewordene Wundertüte, keiner weiß, was am Ende rauskommt, wenn er einmal anfängt, mit was auch immer.

Dustin Brown jubelt in München über seinen Sieg gegen den Schweizer Stanislas Wawrinka. (Foto: dpa)

Genau so verhält es sich mit seinem Tennisspiel.

Dustin Brown, 26, ist zurzeit der spektakulärste deutsche Tennisprofi, auch wenn er nicht der beste ist. Aber er ist auf dem Weg, in Dimensionen vorzustoßen, die im Profibereich relevant sind. Bei den BMW Open in München hat er am Dienstag in der ersten Runde den Schweizer Stanislas Wawrinka besiegt, der ist die Nummer 14 in der Weltrangliste, so einen hat er noch nie bezwungen.

Brown rangiert auf Platz 123, im Januar war er die Nummer 89. Turnierchef Patrik Kühnen hatte ihm nun eine Wildcard gegeben. "Das muss ich sacken lassen", meinte Brown nach dem 6:7, 6:4, 7:5 noch wortkarg, um dann zu sagen: "Ich breche zusammen, wenn ich mein Spiel ändere. Wenn ich Stan spielen lasse, ist aus die Maus."

Vater Leroy, Mutter Inge

Sein Spiel, es ist genau so bunt wie sein Leben. In Brown vereinen sich viele Gegensätze, deshalb wirkt er so spannend, fasziniert Zuschauer wie Medien gleichermaßen. Selbst bei den US Open, bei denen es Brown im vergangenen Jahr in die zweite Runde und ins Arthur Ashe Stadium schaffte, ehe ihn Andy Murray vermöbelte, war er ein Hingucker. Viele fragten: Wer ist das? Wie spielt denn der? Murray fragte sich, warum sich der Gegner bei Seitenwechseln anders als die anderen nie hinsetzt.

Brown tickt eben anders, er wurde in Celle geboren, er lebte bis zum Alter von zwölf Jahren in Deutschland, dann zog die Familie nach Jamaika, Vater Leroy stammt von dort. Daher die Hautfarbe, die Bob-Marley-Dreadlocks, Dreddy ist sein Spitzname. Mutter Inge ist Deutsche, weshalb 2004 wieder nach Niedersachsen umgesiedelt wurde. Seitdem ist Winsen an der Aller Browns Heimat, "und nicht Winsen an der Luhe" , wie er gerne betont, was die Geschichte noch wunderbarer macht.

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Winsen an der Aller, das klingt nach germanischer Provinz; Jamaika, Karibik, das ist die Sonnenseite der Welt, und beides steckt in Brown, sichtbar in Marotten. Er neigt zum Zuspätkommen, also stellt er penibel schon mal die Uhr vor. Ehrgeizig verfolgt er seit Jahren seine Tenniskarriere, aber nicht gepampert von reichen Eltern, sondern er tourte drei Jahre wie ein Vagabund im Wohnmobil, wenigstens der finanziert vom Papa, von Miniturnier zu Miniturnier.

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"Den Bus habe ich immer noch", sagt er in geschliffenem Hochdeutsch, derzeit aber genießt er die Vorzüge eines richtigen Profidaseins. "Es ist schon toll, in einem Spielerhotel wie hier in München wohnen zu können. Da kann man sich richtig auf die Arbeit auf dem Platz konzentrieren", sagt er mit kindlicher Freude.

Brown, der nach Reibereien mit dem jamaikanischen Verband nun unter deutscher Flagge startet, staunt selbst darüber, wohin er es geschafft hat, denn er musste erst lernen, sein unorthodoxes Spiel durchzuziehen - und bloß nicht anfangen, Tennis zu spielen. Er sagt: "Vier Passierbälle zu bekommen ist besser, als den Ball viermal in die Wurzel zu hauen. Von hinten mitspielen, das können 400 Leute auf der Welt besser als ich."

Wenn Brown aufschlägt, sieht es aus, als sei er beim Badminton. Obwohl ein Hüne von 1,96 Metern, spielt er die Rückhand beidhändig. Ansonsten sliced er hauptsächlich Vor- und Rückhand, wie man zu Schlägen mit Unterschnitt sagt, und stürmt ans Netz - oder auch nicht. Sein Plan ist, dass er keinen hat, intuitiv wendet Brown den Schlag an, der er gerade in sich spürt. Das kann schon mal ein Stopp von zwei Metern hinter der Grundlinie sein.

Brown weiß, dass das oft schräg aussieht. Erst gelingt ein Traumstopp, "alle klatschten", dann schnibbelt er die Kugel so, dass sie noch vor dem Netz landet, "da wundern sich die Leute schon". Seit Yannick Noah hat die Tenniswelt wohl nicht mehr so einen verspielten Kauz erlebt. Seine Art kommt jedenfalls an. Als er Wawrinka in München in den dritten Satz zwang, strömten Zuschauer zum Nebenplatz, als sei der Bobele aus Leimen auferstanden.

Ein Clown freilich ist Brown nicht, "mit diesem Spiel kann ich diese Leute schlagen", erklärt er ernst und fügt hinzu: "Man muss die Gabe, die man gekriegt hat, möglichst gut ausnützen." Sein Ziel ist es, die Top 60 zu erreichen. Er darf sich nicht ändern, dann hat er eine Chance. Am Donnerstag trifft er auf Radek Štepanek. Der Tscheche sollte mit allem rechnen.

© SZ vom 28.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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