Tennis:Die Ruhe der Heimschläferin

Lesezeit: 3 min

"Für mich ist das hier ein richtiges Heimturnier": Julia Görges beim Turnier in Nürnberg. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Obwohl sie erst 28 Minuten vor dem ersten Aufschlag erfährt, gegen wen sie spielen muss, erreicht Julia Görges in Nürnberg das Achtelfinale.

Von Matthias Schmid

Nach ihrer Partie setzte sich Julia Görges erst einmal aufs Rad. Sie strampelte eifrig in die Pedale und hielt nebenbei eine Wasserflasche in der Hand. Es war aber nicht so, dass die deutsche Tennisspielerin am Dienstagmittag zurück zur Umkleidekabine fahren musste, die Wege sind eher kurz beim mit 250 000 Euro dotierten Weltranglistenturnier auf der Tennisanlage des 1. FC Nürnberg am Valznerweiher. Görges, 27, saß im Foyer des Klubhauses auf einem dieser modernen Spinningräder, die heute in jedem gut eingerichteten Fitnessstudio stehen. Bei ihr sah das Radeln tatsächlich mehr nach einer zusätzlichen Trainingseinheit aus als nach leichter Regeneration aus, weil ihre Erstrundenpartie gegen die Rumänin Cristina Dinu schneller beendet war, als sie das selber angenommen hatte. Ihr Tagwerk war nach 52 Minuten vorbei, mit 6:1, 6:2 siegte die 60. der Weltranglisten und fand hinterher: "Für mein erstes Match im Turnier lief es schon sehr gut."

Görges hatte erst 28 Minuten vor dem ersten Aufschlag erfahren, wer ihr an diesem Tag gegenüberstehen sollte. Eine solch kurzfristige Umbesetzung ist bei einem Turnier dieser Größenordnung recht ungewöhnlich. Doch ihre ursprüngliche Gegnerin, die Lettin Anastasija Sevastova, hatte am Abend vorher ihre Teilnahme abgesagt, weil sie umgeknickt war. So musste also nach einer neuen Spielerin gefahndet werden, die in der Qualifikation bereits ausgeschieden, aber noch nicht wieder aus Nürnberg abgereist war und so unverhofft als sogenannter Lucky Loser noch ins Hauptfeld rutschen konnte. So eine glückliche Verliererin war Cristina Dinu. "Es ist nicht so einfach, sich so schnell auf eine neue Gegnerin einzustellen", gab Görges zu, "aber mein Trainer hat mir einen sehr guten Matchplan mitgegeben."

Die Neubesetzung schien sie in der Tat nicht sonderlich zu beeindrucken, im Gegenteil. Görges spielte von Anfang an viel zu schnell für ihre Gegnerin. "Ich habe sehr aggressiv, aber auch sicher gespielt", sagte sie. Das Match gegen die Weltranglisten-217. taugte nicht unbedingt als ultimativer Gradmesser, aber es machte den Blick frei für ihre Stärken und Schwächen. Görges ist eine Spielerin, die den Ball wie kaum eine andere auf der Tour beschleunigen kann, wenn sie sich gut bewegt und richtig zum Ball steht. Vor allem ihr Aufschlag und ihre Vorhand sind dann so wuchtig, dass ihre Gegnerinnen den Bällen meist nur hinterherschauen können. Schwierigkeiten bekommt sie immer dann, wenn sie ein wenig mit der Beinarbeit schludert, wenn sie zu nah oder zu weit vom optimalen Treffpunkt entfernt ist. Dann unterlaufen ihr leichte Fehler, die gegen bessere Gegnerinnen als Dinu den Unterschied ausmachen.

Seit ihrem Finaleinzug in Auckland zu Beginn des Jahres hadert sie ein bisschen mit ihren Resultaten auf der Tour, sie verlor zuletzt mehr Spiele im Einzel als sie gewann. "Jule und wir können aber spielerische Fortschritte erkennen", sagt Michael Geserer. Der 46-Jährige teilt sich seit Dezember gemeinsam mit Matthias Maschke die Trainerarbeit. Für Julia Görges war die Entscheidung für das Duo mehr als ein gewöhnlicher Trainerwechsel, sie ordnete gleich ihr ganzes Leben neu und zog vom schleswig-holsteinischen Bad Oldesloe ins oberpfälzische Regensburg um, wo Geserer und Maschke als Vereinstrainer beim Bundesligisten TC Rot-Blau unterrichten. Bereut hat Görges ihren Neubeginn in Bayern nicht, wie sie lächelnd bekennt. "Ich fühle mich wohl und der Dialekt ist auch keine Fremdsprache." Sie hatte als Kind bei Besuchen in Nürnberg schon die verschiedenen Eigenarten der bairischen Sprache kennen gelernt. Ihre Mutter kommt aus Franken, auch ihre Patentante. "Für mich ist das hier ein richtiges Heimturnier", sagt Görges und erzählt vergnügt, dass sie täglich als Heimschläferin aus Regensburg anreist.

Im Achtelfinale trifft sie nun auf die in der Weltrangliste vier Ränge besser platzierte Julija Putintseva aus Kasachstan. "Eine zähe Gegnerin", wie Görges findet. Sie hofft, dass sie im Hinblick auf die am Sonntag in Paris beginnenden French Open noch einige Matches in Nürnberg spielen kann. Woran sie im Training gerade am eifrigsten feilen, mag Michael Geserer gar nicht verraten. Aber der ehemalige Profispieler glaubt an eine gedeihliche Entwicklung seiner Schülerin in den nächsten Monaten. Geserer sagt, Görges werde noch alle überraschen.

© SZ vom 18.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: