Tennis:Die Murrays gegen Belgien

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Im diesjährigen Davis-Cup-Finale ist Historisches garantiert: Die Außenseiter-Teams aus Belgien und Großbritannien werden im November den neuen Titelträger ermitteln.

Von Gerald Kleffmann, München

Es ist eine unglaubliche, wahre Geschichte: Jesus Aparicio aus Sevilla hatte 2004 einen Autounfall, er fiel mit Kopfverletzungen ins Koma und wachte erst elf Jahre später auf, am 27. August 2015. Da der Spanier, der vor dem Unglück Fan eines Tennisprofis gewesen war, sich an sein Idol erinnerte, fragte er: "Hey, was ist eigentlich mit Roger Federer passiert?"

Als der zur Zeit des Unfalls 18 Jahre alte Aparicio zuletzt das Geschehen verfolgen konnte, hatte Federer vier Grand-Slam-Titel gewonnen. "Dann haben sie mir erzählt, dass er jetzt 34 Jahre alt, momentan die Weltnummer zwei ist und in Wimbledon das Finale erreicht hat." Dass Federer nun 17 Grand Slams errungen hatte, freute ihn sehr, wobei er erst dachte, die Informationen seien "ein Witz, das kann doch nicht sein", wie er dem Portal Puntodebre ak.com schilderte. Es war kein Witz, wobei leider nicht überliefert ist, was Aparicio noch über das anstehende Finale im Davis Cup befand. Wenn sich bald Belgien und Großbritannien duellieren, ist das ja auch eine erstaunliche Geschichte, fast so erstaunlich wie die von Aparicio.

Die Finalisten sind keine Tennis-Großmächte, doch nachdem Belgien Argentinien 3:2 und Großbritannien Australien 3:1 besiegt hatten, kommt es zu einer verspäteten Revanche. Belgien stand 1904 das einzige Mal im Finale des wichtigsten Mannschaftswettbewerbes. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. regierte, unterlag das kleine Land den Briten 0:5; die Brüder Reggie und Laurie Doherty waren nicht zu schlagen, auch nicht von dem Belgier mit dem schönen Namen William le Maire de Warzée d'Hermalle. 2015, auch hier schließt sich ein Kreis, wartet wieder ein Brüderpaar als Gegner. Der schottische Weltranglisten-Dritte Andy Murray, 28, und der Doppelspezialist Jamie Murray, 29, wollen den ersten Titel für Großbritannien seit 1936 erringen; bei der letzten Finalteilnahme 1978 verlor der Staatenbund 0:5 gegen die USA. In Brüssel und Glasgow herrschte nach den Siegen in den Hallen verständlicherweise der Ausnahmezustand.

Patriot Andy Murray überlegt gar, auf das Tour-Finale zu verzichten

"Für sein Land und seine Teamkollegen zu gewinnen, bedeutet eine Menge", sagte Murray, der eine vorzügliche Saison auf der Tour spielt, sich aber auch im Davis Cup aufreibt. Um sich durchzukämpfen, musste Großbritannien den harten Weg gehen - und in den USA, in Frankreich und gegen Australien bestehen. Achtmal stand Murray auf dem Platz, er verlor keinmal. Seine Davis-Cup-Bilanz im Einzel ist mit 23:2 herausragend. Dabei war er jüngst angeschlagen. "Ich hatte Rückenprobleme, habe aber versucht, sie zu verbergen", verriet Murray. Da das Endspiel (27. bis 29. November) wohl in Gent auf Asche ausgetragen wird, überlegt der Patriot gar, auf das ATP-Finale der besten Acht in der Woche vorher zu verzichten. "Sollte das Finale wirklich auf Sand gespielt werden, ist meine Teilnahme in London sehr fraglich. Man hat im Vorjahr gesehen, wie extrem hart und physisch anspruchsvoll die Matches in der O2-Arena sind", sagte Murray; Ende 2014 war Federer wegen Rückenproblemen nicht im Endspiel gegen Novak Djokovic angetreten, und sein erstes Einzel im Davis-Cup-Finale gegen den Franzosen Gaël Monfils verlor der Weltranglisten-Zweite danach. Die Schweiz sicherte sich dennoch mit 3:1 den ersten Davis-Cup- Titel. Federer hatte den Vorteil, dass er in Stan Wawrinka, dem Weltranglisten-Vierten, einen Partner auf Augenhöhe hatte.

Murray hat nicht diese Stütze. Gegen Australien war Daniel Evans als 258. der Welt sein Einzelkollege, zuvor war es James Ward, der stets um Rang 150 liegt. Bis auf Wards spektakulären Fünfsatzsieg gegen den US-Riesen John Isner (15:13 im fünften Satz) waren Großbritanniens Erfolge eine Ein-Mann-Show Murrays. Die Belgier hatten es leichter, sie profitierten davon, dass Topgegner auf einen Einsatz gegen sie verzichteten oder nicht einsatzfähig waren. Federer und Wawrinka passten freiwillig in der ersten Runde, der Kanadier Milos Raonic und der Argentinier Juan Martin del Potro fehlten verletzt. David Goffin (ATP-15.), Steve Darcis (59.) und Ruben Bemelmans (85.) nutzten das in einem eher ausgeglichenen Team aus. Einzig Goffin, 24, dürfte gegen Murray indes eine Chance haben. Einen Fan hat das Leichtgewicht (69 kg, 1,80 m) bereits. "Mit seinen körperlichen Voraussetzungen ist es nicht einfach für Goffin. Er ist ein wenig wie ich", sagte John McEnroe, der 1978 die USA zum Titel gegen die Briten geführt hatte: "Ich habe großen Respekt dafür, wie er in den Top 20 angekommen ist."

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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