Tennis:Die dritte Welle

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Karriere-Hoch: Yannick Hanfmann erreichte erstmals ein ATP-Finale. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Hinter der positiven Entwicklung vieler deutscher Tennisprofis steckt ein Konzept aus Bayern.

Von Gerald Kleffmann, München

"Soll ich das Handy rüberreichen?", fragt Lars Uebel, schon meldet sich Yannick Hanfmann mit einem "Hallo". Er sitzt an diesem Sonntagnachmittag im Auto, gerade war er in Gstaad, nun ist er auf dem Weg zum Flughafen nach Bern, in München wartet ein Fahrdienst des Turnierveranstalters in Kitzbühel, an diesem Dienstag schlägt Hanfmann, 25, dort auf. "Yannick ist weiter, als ich es erwartet habe", das hatte Uebel, sein Trainer, der in Oberhaching im Leistungszentrum des Bayerischen Tennis-Verbandes (BTV) für die Profis zuständig ist, zuvor betont. Und: "Er ist ein Vorzeigemodell unserer Arbeit in der Tennis Base." Das mag wie Eigenwerbung klingen, nur ist der aufgeräumte Uebel keiner, der Realitäten schönt.

Schon seit längerem begeistert ihn die Entwicklung von Hanfmann, der am Sonntag sein erstes Finale auf der ATP Tour bestritt, als Qualifikant hatte sich der Karlsruher und frühere US-Collegespieler so weit vor gekämpft, ehe ihn Fabio Fognini, Italiens Topmann, in zwei Sätzen bezwang. Hanfmann ist aber nicht der einzige einer Gruppe, die neuerdings im Schatten der bekannteren Deutschen wie Alexander Zverev und Philipp Kohlschreiber langsam, aber konsequent hochklettert, Cedric-Marcel Stebe und Maximilian Marterer, auch an der Base angedockt, haben ebenfalls Sprünge gemacht. Und auch Florian Mayer, mit 33 der Oldie und Teil der Base-Community, erlebt ein x-tes Hoch. In Hamburg am Rothenbaum verlor er erst im Finale. "Es bewegt sich was nach vorne", sagt Uebel, und für ihn, den früheren Outlaw unter den Coaches, ist das natürlich eine Bestätigung, dass sich Überzeugung, gepaart mit Sturheit und Know-how auszahlt. Es rollt nun eine neue Welle an Profis heran, die zwar nicht die allerjüngsten mehr sind - "aber sie haben Potenzial", sagt Uebel.

Dieses wird überdies, trotz Rückschlägen immer wieder, endlich auch in der Weltrangliste sichtbar. Anfang des Jahres war Hanfmann 318., seit Montag ist er auf Platz 125. Der Nürnberger Marterer kletterte von 176 auf 120, Stebe aus Vaihingen an der Enz von Rang 471 auf 128. Vor allem über Challenger-Turniere haben sie Punkte gesammelt. Aber nicht nur. Hanfmann stand in München im Viertelfinale, wie Stebe, der lange verletzt fehlte, in Genf. Mayer ist dank Hamburg wieder in den Top 60.

Die Kunst von Uebel ist es, Spieler, die nicht nach oben durchmarschiert sind, die festhängen oder Spätzünder sind, für einen nächsten Karrierestart zu lenken und zu motivieren. So war das schon vor dem Dezember 2015, ehe ihn der BTV abwarb. Damals führte er, mit der öffentlichen Sport-Scheck-Anlage in Oberföhring als Basisort, Profis wie Matthias Bachinger, Peter Gojowczyk, Benjamin Becker und Tim Pütz zu respektablen Ergebnissen und in manche Runde von Grand-Slam-Turnieren. Der Berliner war mal 242. im Ranking, passabel, aber seine größere Begabung ist zu offensichtlich das Coaching. Uebel sieht sich nicht als klassischer Lehrer. Für ihn ist die Persönlichkeit jedes Spielers entscheidend, er schätzt Typen, die Ecken haben, nur leistungsbereit müssen sie sein und den Sinn von Gemeinschaft erkennen. Nicht jeder ist dauerhaft dafür geschaffen, der Münchner Gojowczyk hat sich ausgeklinkt, was Uebel keineswegs verurteilt. Konsequenz ist ihm lieber, und selbst intern lehrt er ja diesen Kerngedanken: Wir helfen allen - aber am Ende seid ihr alleine und müsst die Lösungen finden.

Dieses Mantra hat zu einem Ansatz geführt, der für deutsche Verhältnisse fast revolutionär ist und nur deshalb nicht so spektakulär wirkt, weil Uebels Spieler - bis auf den ewig tapferen Mayer - Unbekanntere sind, zumindest für Nicht-Experten. Ein kleiner, fester Trainerpool rotiert bei der Betreuung der Spieler, wenn Uebel, der sich nicht vierteilen kann, nicht verfügbar ist, hilft Base-Kollege Lukas Wolff oder auch Tobias Summerer, der sonst fest mit Mayer reist. Beim Stuttgarter Turnier griff Hanfmann auf Summerer zurück. Genau diesen Spirit, dieses Vertrauen, dass auch "ein Trainer x und ein Trainer y" helfen können, will Uebel vermitteln. "Share a coach" als gelebtes Motto von Spielern, die Kumpels und Rivalen zugleich sind. "Die Gruppe zieht sich gemeinsam hoch", sagt Uebel, "eine gemeinsame Reise", so nennt Hanfmann die Arbeit mit dem Zirkel, in den er vor zwei Jahren stieß und der ihm viel gab. In Gstaad habe er am Finaltag viele Erlebnisse Revue passieren lassen, College, Sport Scheck, Base. Hanfmann, der nicht mehr auf seine Schwerhörigkeit reduziert werden will, die ihn im Beruf ja überhaupt nicht stört, klang aber nicht wehmütig. Eher nach Aufbruch, Tatendurst. Er weiß wie Uebel, dass er zu einer Gruppe gehört, die nicht mal die zweite deutsche Tennisgarde bildet, vor ihnen sind Akteure wie Jan-Lennard Struff und Dustin Brown. Sie sind die dritte Welle, aber sie bewegt sich jetzt eben - vor allem: in die richtige Richtung.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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