Tennis:Auf der Himmelsleiter

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Alexander Zverev gewinnt seinen dritten Masters-Titel. Der 21-jährige Deutsche könnte 2018 tatsächlich noch etwas Verrücktes schaffen - und Weltranglistenerster werden.

Von Gerald Kleffmann, Madrid/München

Am Ende flogen die obligatorischen Luftschlangen durch die Luft, Queen ertönte, "We are the champions", das Klassikerlied aller Siegerehrungen. Inmitten dieses Gewusels, Geflimmers und Gedröhnes, das auf dem Centre Court in Madrid vonstatten ging, stand ein Mann, 1,98 Meter groß, Wuschelmähne, die Augen groß, strahlend, in den Händen hielt er einen Pokal, dessen Design einzigartig zu nennen ist. 32 versetzte Mini-Schläger wickeln sich um eine Stange in die Höhe: Stairway to heaven lautet das Motto der Skulptur, Treppe zum Himmel.

Alexander Zverev ist zwar noch nicht über den Wolken angekommen. Aber er ist auf dem besten Wege, einmal vom Dach der Welt, was im Tennis die Weltrangliste darstellt, auf die Konkurrenz hinunterzublicken. Ein Deutscher die Nummer eins? Das klingt angesichts der Dominanz, die die beiden Tennisriesen Roger Federer und Rafael Nadal (die nun die Ränge getauscht haben ganz oben) ausstrahlen, nach höchstens mittelfristigem Zukunftsstoff. Allerdings hat sich Zverev selten um Zeitpläne geschert. Jetzt wieder nicht.

"Ich würde sagen: Neben Roger und Rafa ist er jetzt der Beste": Der im Finale von Madrid unterlegene Dominic Thiem (links hinten) vergleicht Turniersieger Alexander Zverev mit Federer und Nadal. (Foto: Shot for Press/imago/Action Plus)

In Spaniens Hauptstadt hat der 21-Jährige schon seinen dritten Titel bei einem der neun jährlich stattfindenden Turniere der Masters-Serie gewonnen. Nicht einmal Federer kam in dem Alter auf so viele. In der Woche zuvor hatte Zverev seinen Münchner Titel verteidigt. In Madrid: kein Satzverlust gegen Jewgeni Donskoi, Leonardo Mayer, John Isner, Denis Shapovalov, auch nicht im Finale, als er den auch in den Top Ten geführten Dominic Thiem abfieselte, mit 6:4, 6:4. Dabei ist der Österreicher derjenige gewesen, der den auf Sand kaum bezwingbaren Nadal im Viertelfinale geschlagen hatte. Nur einen Breakball hatte Zverev gegen sich - nur einer anderen Person gelang seit 1991 das Kunststück, ohne Aufschlagverlust ein Masters-Turnier zu gewinnen: Roger Federer (2012/2015 in Cincinnati). Zverev gesellt sich auch hier zur Schweizer Instanz. Nur fünf Profis haben überdies drei oder mehr Masters-Titel gesammelt: Nadal, Novak Djokovic, Federer, Andy Murray und Zverev, der 2017 bereits in Rom und Montreal siegreich war.

"Er steht auf einer Stufe mit den Allerbesten", sagte Boris Becker der Deutschen Presse-Agentur. Der frühere Wimbledonsieger, nun Head of Men's Tennis des DTB, hatte in Madrid in der Box neben Turnierchef Ion Tiriac gesessen. "Im zweiten Jahr nach seinem Durchbruch diese Leistung zu konsolidieren, beeindruckt mich sehr", betonte Becker, der sich sonst nicht schnell beeindrucken lässt. Thiem legte sich fest: "Ich würde sagen: Neben Roger und Rafa ist er jetzt der Beste." Zumindest, und das ist der eine Makel (neben dem manchmal aufbrausenden Temperament), den Zverev hat: Er ist mit der Beste, wenn es über zwei Gewinnsätze geht. Bei den vier Grand Slams, die über den Masters-Events stehen, hat er noch kein Viertelfinale erreicht.

"Irgendwann knacken junge talentierte Spieler diesen Code", hatte Becker ihn vergangene Woche aber verteidigt und gemeint, Zverev werde lernen, bei den zwei Wochen dauernden Grand Slams, deren Matches auf drei Gewinnsätze angelegt sind, zu reüssieren. Im Best-of-three-Format hat Zverev nun einmal mehr bewiesen, dass er Schlaghärte und Dominanz durch diese Turniere transportieren kann. "Bislang läuft es ganz gut auf Sand", sagte er in Madrid herrlich untertreibend. Er hoffe nun, bei der folgenden Veranstaltung in Rom seinen Titel von 2017 zu wiederholen.

Es ist nicht gewagt zu behaupten, Zverev dürfte auch im Foro Italico Siegchancen besitzen. Jedenfalls besticht er im Profifeld mit einer Fähigkeit. Nadal, der bei den French Open den elften Pokal anstrebt, spielt auf Sand das beste Sandplatztennis, zermürbend, winkelig, kraftvoll. Zverev ist dafür auf Sand das effektivere Chamäleon, er spielt auf diesem Belag das beste Hartplatztennis. Er bleibt dicht an der Grundlinie, lässt sich selten auf klassische Sandplatztennisballwechsel ein, sucht schnellere Abschlüsse, viele Aktionen basieren auf seinem guten Aufschlag und seiner Reichweite, die ihm die langen Arme und Beine ermöglichen. Natürlich kam Zverev in München und Madrid die Höhenlage zupass, die Bälle fliegen in diesen Regionen schneller. Den Vorteil zu nutzen, ist aber keine Selbstverständlichkeit.

Aufgrund seines achten Titels ist nun tatsächlich etwas möglich, das kaum möglich erschien in dieser Saison: Zverev könnte zum Saisonende um den ersten Weltranglistenplatz spielen. Während Nadal mit den Siegen bei den French Open und US Open sowie Federer mit dem Titel in Wimbledon maximal viele Punkte zu verteidigen haben, könnte Zverev über die Grand Slams nun Federer und Nadal sehr nahe kommen, sollte er den Code knacken. 2017 hatte er nur eine erste Runde (Paris), ein Achtelfinale (Wimbledon) und eine zweite Runde (New York) erreicht. "Ich würde die Überschrift Mitfavorit nicht wählen wollen", beschwichtigte Becker indes nun, er ahnt, dass Erwartungen auch lähmen könnten. Überdies erkannte Zverev, zumindest mit Blick auf Rom und Paris: "Rafa ist der Favorit, egal, wo er auf Sand spielt." Für ihn steht fest: "Er ist immer noch der, den es zu schlagen gilt." Über Zverev allerdings, den Weltranglisten-Dritten, sagen das nun auch viele Gegner, jetzt mehr denn je. Das ist so, wenn man auf der Himmelsleiter unterwegs ist nach oben.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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