Sportpolitik:Streit um die Steuerung

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Nach den Sommerspielen wollen das Innenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund eine große Strukturreform des Leistungssports beschließen. Doch derzeit ist der Zwist groß.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Immerhin der Zeitplan steht. Im August sind die Sommerspiele in Rio, vermutlich mit weniger Medaillen für das deutsche Team als vor vier Jahren in London. Danach wollen sich Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) und des Bundesinnenministeriums noch mal treffen - und schließlich im Oktober ihr Projekt im Sportausschuss des Bundestages vorstellen. Dann soll sie konzipiert und beschlossen sein, die große Reform des Leistungssportes, die alle Beteiligten als dringend notwendig erachten, damit Deutschlands Athleten international künftig wieder besser abschneiden können.

Schon fast zwei Jahre ist dieser Reform-Prozess im Gange, regelmäßig tagen die Vertreter der beiden Seiten in Arbeitsgruppen oder im übergeordneten Beratungsgremium. Doch in diesen Tagen drängt sich zunehmend die Frage auf: Ist es realistisch, dass es bald zu einer gemeinsam beschlossenen Reform kommt? Oder ist der Zwist zwischen DOSB und BMI zu groß?

Ein DOSB-Schreiben suggeriert, es gebe ein gemeinsames Papier. Doch dem ist nicht so

In führenden sportpolitischen Kreisen kursiert gerade ein Papier, das auch der SZ und dem Deutschlandfunk vorliegt. Der Titel: "Neustrukturierung Leistungssport - Zwischenergebnisse und Trends". Sehr viel Revolutionäres steht nicht drin. Und trotzdem gibt es Streit.

Kürzlich versandte die DOSB-Zentrale dieses Papier an die Mitglieder der acht Reform-Arbeitsgruppen, begleitend gab es ein von Vorstandschef Michael Vesper und Sportvorstand Dirk Schimmelpfennig gezeichnetes Schreiben. Darin verweisen sie auf das letzte, im Januar veranstaltete Treffen des Beratungsgremiums unter Leitung von Innenminister Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Die Runde hätte sich "sehr intensiv mit dem erreichten Zwischenstand und den zu diskutierenden Trends befasst; die Grundlage bildete eine entsprechende Präsentation des DOSB. Wir haben sie aufgrund der Beratungen in diesem Gremium (. . .) überarbeitet und ergänzt."

Eine nach intensiven Beratungen überarbeitete und ergänzte Präsentation? Betitelt mit "Zwischenergebnisse"? Das klingt, als seien zwei Partner auf einem gemeinsamen Weg. Doch dem ist nicht so.

Auf Anfrage teilt das Innenministerium mit, es handele sich "um ein reines Positionspapier des DOSB, was nicht mit dem BMI abgestimmt wurde". Und weiter: Das Begleitschreiben von Vesper und Schimmelpfennig "mag missverständlich formuliert sein". Klarer kann sich das BMI unter Einhaltung der diplomatischen Gepflogenheiten kaum vom organisierten Sport distanzieren.

Auch der DOSB muss einräumen, dass es bisher kein abgestimmtes Zwischen- ergebnis mit dem BMI gibt. Stattdessen stellt der Sportdachverband den Sachverhalt in etwas komplizierten Worten so dar: "Auf dem Weg zu einem Ergebnis gibt es immer Zwischenergebnisse. Die sind aber erst dann abgestimmt, wenn das gemeinsame Endergebnis festliegt."

Was sind die Knackpunkte? Schon seit Längerem ist bekannt, dass sich BMI und DOSB in diversen Grundlinien eigentlich einig sind. Sie wollen die Förderung der Spitzenverbände reformieren, weg von der Gießkanne, hin zu einer konzentrierteren Unterstützung der Disziplinen mit höheren Medaillenchancen. Die Förderung des einzelnen Athleten soll mehr in den Fokus rücken. Auch dürfte wohl die große Zahl an B-Kader-Athleten sinken und sich an Zahl und Organisation der Olympiastützpunkte etwas ändern.

Aber es hakt an den beiden zentralen Punkten. Erstens am Geld. Und zweitens an der Frage, wer künftig die Macht hat.

Rund 160 Millionen Euro stellt das BMI jährlich für den Leistungssport zur Verfügung. Künftig könnte es noch mehr sein. Ein Drittel dieser Summe fließt direkt an die Spitzenverbände, als Grund- und als Projektförderung. Die Grundförderung macht den größeren Anteil aus, berechnet nach einem festen Schlüssel aus der Zahl von Wettbewerben, Startern und Medaillen bei den beiden vergangenen Spielen. Für die Projektmittel werden fünf Gruppen von A (hohe Medaillenchance) bis E (keine Finalchance) gebildet. "A" bekommt fast alle Wünsche erfüllt, "E" bekommt nichts, dazwischen gibt es Abstufungen.

Dieses System soll es nicht mehr geben. Geplant ist, dass die Projektförderung künftig nicht nur einen, sondern die nächsten beiden Olympiazyklen berücksichtigt. Und statt der Grundförderung ist von einem computerbasierten Instrument mit dem wissenschaftlich klingenden Titel "neuronales Netz" die Rede. Ein "perspektivisches Berechnungsmodell" soll das sein, das Erfolgspotenziale und Strukturen der Verbände bewerte und dessen Ergebnis als Grundlage für Förderentscheidungen auf Bundes- und Landesebene diene. Aber wer wertet dieses "neuronale Netz" aus? Wer sortiert die Sportarten und Disziplinen in die Kategorien ein? Also: Wer steuert den Leistungssport künftig? Der Sport? Die Politik? Beide?

Ein "Bundesamt für Sport"? Diesen Vorschlag lehnen die Funktionäre kategorisch ab

Obwohl die Zeit drängt, ist die Struktur noch unklar. Seit Januar gibt es dafür noch eine neu ausgerichtete Arbeitsgruppe, die "AG 8" - geführt von Vesper und dem BMI-Abteilungsleiter Gerhard Böhm. Der Sport hätte gerne mehr Durchgriffsmöglichkeiten, in seinem Papier wünscht er eine "Minimierung der politischen Einflüsse". Das Ministerium dürfte das nicht hinnehmen - und eher auf die Schaffung eines größeren Gremiums aus sein, mit Vertretern von DOSB, BMI sowie externen Beratern.

Im Dezember gab es schon mal Aufregung, als ein dem Ministerium untergeordnetes Institut den Vorschlag machte, ein "Bundesamt für Sport" einzurichten, das den Leistungssport steuert. Der Aufschrei im Sport war groß, die Politik wiegelte ab. Ein solches Amt wird es nicht geben, das ist klar. Aber vielleicht etwas, was unter anderem Namen in diese Richtung geht?

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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