Sportpolitik:Korruptions­verdacht 

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Carlos Nuzman, 75. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Eine Razzia in Rio bringt auch IOC-Chef Bach in Erklärungsnot. Seine einflussreichen Helfer stehen mittlerweile im Visier der Strafbehörden.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro/München

Der Appell an das Internationale Olympische Komitee erging im April 2014. "Harte Beweise" hätten sie vorgelegt, berichtete Eric Maleson damals, Beweise "für Korruption, Verstöße gegen IOC-Statuten und Wahlbetrug" rund um die Rio-Spiele 2016. Auch IOC-Chef Thomas Bach hätten sie informiert, er selbst und weitere renommierte Repräsentanten des brasilianischen Sports. Doch "leider war das IOC außerstande, diese ernsten Sachverhalte zu untersuchen".

Medien auf der ganzen Welt berichteten damals über Malesons Vorwürfe. Und dann geschah: erst mal nichts.

Dreieinhalb Jahre später hat der Brasilianer Maleson die Unterlagen wieder zur Hand, Mails, Faxe und Briefe, die er dem IOC vorgelegt haben will. Zu den Rio-Spielen - und zur Schlüsselfigur aller Affären: zu Carlos Arthur Nuzman, dem IOC-Mitglied, das über Dekaden Brasiliens Nationales Olympisches Komitee (BOC) führte.

Eric Maleson war Chef des brasilianischen Eissportverbandes und Vizepräsident im Bob-und-Schlitten-Weltverband IBSF. So einen Whistleblower hätte man ernst nehmen können. Das taten internationale Strafbehörden. Und dass Malesons Vorwürfe wohl berechtigt waren, stellte am vergangenen Dienstag eine Razzia der Bundespolizei in zehn Häusern und Büros von BOC-Mitgliedern in Rio klar. Staatsanwältin Fabiana Schneider sagte: Olympiaboss Nuzman sei "zentrales Element" in einer Betrugs- und Geldwäscheoperation, die Spinne im Netz eines "internationales Korruptionsnetzwerks". Die Aktion begleiteten Vertreter der Pariser Sonderstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF); dort hatte Maleson ausgesagt.

Die Zugriffe erfolgten kurz vor der IOC-Session in Lima, wo am Montag erste Sitzungen beginnen. Klares Signal: Dies ist keine Rio-Episode, es ist der Auftakt einer globalen Ermittlung. " Jogo Sujo" heißt sie, "schmutziges Spiel", und sie hält nicht nur Brasiliens Justiz auf Trab.

Auch in Frankreich, England und den USA wird ermittelt. Die Pariser PNF will "Jogo Sujo" nutzen, um die Kollegen in Japan zur Mitarbeit zu drängen. Denn dubiose Geldflüsse, die rund um die Vergabe der Rio-Spiele auf den Kauf afrikanischer IOC-Voten hindeuten, passen wie eine Blaupause auf Vorgänge, die es vor der Spiele-Vergabe 2020 an Tokio gab. Beide Male wanderten zwei Millionen Dollar an den Sohn des damaligen Topfunktionärs Lamine Diack. Der Senegalese war IOC-Mitglied und Boss des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. Die Strafbehörden in Tokio, erfuhr die SZ, wollen aber nicht mal bei einem Rechtshilfeersuchen kooperieren. Tokio hat die Spiele noch vor sich, in Rio kehren sie die Scherben zusammen.

Die Briten wiederum interessiert ein Vorfall im August 2012, nach ihren Sommerspielen in London. Damals hackten Mitarbeiter des Rio-Organisationskomitees eine Datenbank der englischen Kollegen und klauten vertrauliche Dokumente. IOC-Mann und OK-Chef Nuzman entließ elf Leute und erklärte die Sache für erledigt: Die Gefeuerten hätten "auf eigene Faust" gehandelt. Dass eine Betroffene dagegenhielt, sie habe dies auf Weisung von oben getan, verpuffte. Ebenso wie die öffentlichen Vorstöße von Maleson und anderen, die das IOC für den Sumpf um Rio 2016 sensibilisieren wollten.

Zu ihnen zählte auch Alberto Murray Neto; der Anwalt aus São Paulo ist einer der renommiertesten Korruptionsbekämpfer im nationalen Sport. Er habe damals wiederholt ans IOC geschrieben, teilt Murray der SZ mit. Und Maleson sagt: "Sie hätten vieles verhindern können, aber sie taten es nicht." Und das IOC? Davon, dass Maleson und andere schon vor Jahren Hinweise auf Korruption und andere Missstände rund um Rio geliefert hätten, will es auf Anfrage nichts wissen. Es bestätigt zwar einen Kontakt mit Maleson, aber damals sei es nur um eine private Vendetta gegangen. "Herr Maleson kontaktierte das IOC 2012 im Zuge eines NOK-Wahlkampfes, um eine laufende Angelegenheit zwischen dem Eissport-Verband in Brasilien und dem brasilianischen NOK zu berichten. Damals bat das IOC Herrn Maleson, eventuelle Streitigkeiten direkt mit dem NOK zu lösen."

Die Vorwürfe waren massiv - das IOC ging ihnen nicht nach

Das zielt auf einen alten Machtkampf zwischen Nuzman und Maleson. Letzterer war 2012 gegen den ewigen Olympiaboss bei der NOK-Wahl anzutreten. Maleson unterlag. Dass aber auch diese schmutzige Kür über das angehende Spiele-Land hinaus publik wurde, dafür sorgte ein Video von Überwachungskameras: Es zeigte Nuzman im Februar 2012 beim Eindringen ins Büro des von Maleson geführten Eissportverbandes. Der Sportsender ESPN strahlte die Episode sogar aus. Doch in der Olympiastadt unter Gouverneur Sergio Cabral hatten Männer wie Nuzman wenig zu befürchten. Cabral sitzt inzwischen seit zehn Monaten in Haft. Wegen Korruption, ebenfalls im Spiele-Kontext.

Maleson ist empört, dass das IOC seine Vorstöße auf eine Privatfehde reduziert. Er hätte erwartet, dass der Ringe-Clan ihn wenigstens mal anhört zu seinen massiven Vorwürfe zu Korruption, Wahlbetrug und Regelbrüchen. Stattdessen verlor der Olympiateilnehmer von 2002 bald alle Ämter. Und wurde Zeuge der Justiz. Nun, drei Jahre später, könnte der offenkundig ignorante Umgang mit lange bekannten Vorwürfen zu Rio 2016, aber auch zu Tokio 2020, die olympische Welt in Turbulenzen stürzen, gegen die die Korruptionsaffäre um Salt Lake City zur Jahrtausendwende ein laues Lüftchen war.

Als der Deutsche Thomas Bach im Herbst 2013 zum Chef gekrönt wurde, standen ihm IOC-Figuren mit großem Einfluss in ihren Hemisphären zur Seite. Vorneweg Asien-Chef Ahmad al-Sabah aus Kuwait, wo Bach vor seiner Inthronisierung berufliche Kontakte pflegte. Dann der Ire Patrick Hickey, Boss der Olympia-Komitees in Europa und al-Sabahs Vize an der Spitze des Weltverbandes aller Olympiakomitees. Der bereits erwähnte Lamine Diack, Anführer der Afrika-Fraktion im IOC. Und Nuzman, Schattenmann in Südamerika. Inzwischen steht die komplette Gruppe im Visier internationaler Strafbehörden. Al-Sabah, der sich offen als Bachs Königsmacher bekannte, wird als "Mitverschwörer" in einer FBI-Ermittlung geführt. Diack ist Zentralfigur der Affäre um die Olympia-Vergaben, er steht in Paris unter Hausarrest. Hickey wurde bei den Rio-Spielen im Zuge einer Schwarzmarkt-Ermittlung über Monate inhaftiert. Jetzt Nuzman, der Rio-Macher.

Das IOC betont, es sei "Zivilpartei" im Ermittlungsverfahren der PNF; man habe um zeitnahe Informationen zu allen Vorgängen mit Olympia-Bezug gebeten. Die Integrität des Bewerbungsprozesses sei von größter Bedeutung. In Ermittlerkreisen ist man da skeptisch. Und die Rio-Razzien erweisen sich als Fundgrube. So fand sich bei Brasiliens Olympiaboss auch ein russischer Reisepass - auch den hatte Maleson bei der PNF angezeigt. Für die Ermittler nährt dieser russische Pass nun den Verdacht, Nuzman könne ihn bei der Kür 2007 für ein Votum für die Winterspiele 2014 in Sotschi erhalten haben. Und damit rückt eine weitere Vergabe ins Visier.

IOC-Ehrenmitglied Nuzman weist alle Beschuldigungen zurück, gerät aber zunehmend in Erklärungsnot. Die Polizei fand auch ein Konto, das er bei einer Bank am IOC-Stammsitz in Lausanne unterhielt. Und eine Mail, in der Nuzman im Juni 2014 die Assistentin Lamine Diacks an dieses Konto verwies. Ob eine Zahlung erfolgte, und wenn ja: wofür? Auch das wird der Fortgang der Ermittlungen zeigen.

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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