Sportpolitik:Heldenhuldigung wie in Hollywood

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Zwei frühere Vorzeigesportler aus der DDR sollen in die Ruhmeshalle des deutschen Sports - das sorgt für heftige Debatten.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Wer ist dieser Mann, den alle Welt nur "Täve" nennt? Eine der größten Legenden des DDR-Sports, sagen die einen: Weltmeister, Olympiazweiter, Friedensfahrt-Gewinner im Radsport. Ein unsäglicher DDR-Apologet, sagen die anderen: treuer SED-Parteisoldat über mehr als drei Jahrzehnte, nach der Wiedervereinigung Mitglied des Bundestages für die PDS und gemäß seiner jüngsten veröffentlichten Aussagen bis heute Anhänger und Verniedlicher des Arbeiter-, Bauern- und Unrechtsstaates und dessen Tuns.

Olympia-Gold, Weltmeistertitel, Weltrekorde...Heike Drechsler hat in ihrem Sport alles gewonnen. Und doch gibt es große Zweifel an ihrer Eignung für die Ruhmeshalle. (Foto: dpa)

Beide Seiten haben recht. Und deswegen ist Gustav-Adolf, genannt "Täve", Schur nun wieder ins Zentrum einer wichtigen sportpolitischen und sporthistorischen Debatte gerückt. Die deutsche Sporthilfe pflegt seit rund einem Jahrzehnt eine virtuelle Ruhmeshalle ("Hall of fame"). Die hat inzwischen 104 Mitglieder, vom Ruder-Trainer Karl Adam bis zum Jahrhundert-Handballer Erhard Wunderlich, quer durch alle Disziplinen und durchs vergangene Jahrhundert. Nun stehen auf der neuesten Vorschlagsliste fünf Namen, der Skispringer Sven Hannawald, der nordische Kombinierer Franz Keller und der Fußballer Lothar Matthäus sowie zwei Figuren mit DDR-Vergangenheit: die Leichtathletin Heike Drechsler und eben "Täve" Schur. In diesen Tagen läuft die Jury-Abstimmung, und die Frage stellt sich: Ist eine Aufnahme angemessen?

Es gibt nicht zum ersten Mal Diskussionen um die Ruhmeshalle und ihre Besetzung. Diese Art der Heldenhuldigung, wie sie Hollywood oder die Rockmusik lieben, passt für manche nicht zum Sport mit seinem Dreieck aus Erfolgszwang, Betonung von Vorbild und Moral sowie vielfältigen Abgründen. Das Kernargument der Sporthilfe lautet, dass die Ruhmeshalle auch Brüche und Kontroversen darstellen und so deutsche Sportgeschichte abbilden soll. Schon bei der Eröffnung vor rund zehn Jahren gab es Protest, weil sich unter den Geehrten mehrere ehemalige NSDAP-Mitglieder befanden, vom Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger über den Reiter und früheren Sporthilfe-Chef Josef Neckermann bis zum langjährigen IOC-Mitglied Willi Daume. Auch dass jemand wie die DDR-Sprinterin Renate Stecher - die nach Aktenlage vom Staatsdoping profitierte, das aber bestreitet - einen Platz hat, verstört viele.

Henner Misersky bei einer Podiumsdiskussion im Thüringer Landtag (2015). (Foto: Martin Schutt/dpa)

Nun läuft also die nächste Debatte, es geht vor allem um Schur, aber teilweise auch um Drechsler. Die erhielt nach Aktenlage zur DDR-Zeit ebenfalls Doping und strengte Anfang der Neunziger gegen diejenigen, die das veröffentlichten, einen Prozess wegen "Lüge" an. Sie verlor, ihr Ehemann, ihr Schwiegervater sowie zwei Journalisten wurden wegen Falschaussagen verurteilt. Die Stasi führte sie als Mitarbeiterin, sie selber weist das zurück. Insbesondere diejenigen, die selbst Opfer des DDR-Systems waren, sind daher empört. Etwa Henner Misersky, in der DDR als Skilanglauf-Trainer entlassen, weil er sich weigerte, seinen Athleten Dopingmittel zu geben - und wegen dieser besonderen Biografie selbst in die Ruhmeshalle aufgenommen. Die Vorschläge seien ein Schlag ins Gesicht der Dopingopfer und Systemgeschädigten, findet er. Die Sporthilfe hingegen sagt, die Vorschläge seien mit der nötigen Sorgfalt analysiert und auf Unbedenklichkeit überprüft. Das 50-jährige Jubiläum der Stiftung sowie die Bedeutung der deutschen Einheit für den Spitzensport bildeten die Klammer zur Vorschlagsliste.

Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung verblüfft, dass es bereits der zweite Versuch ist, Radler Schur in die Ruhmeshalle zu bringen. Den ersten gab es 2011, es folgte eine öffentliche Diskussion, die Jury entschied sich gegen ihn. Doch manche Funktionäre des Sports interessiert dieses Votum nicht. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) bestätigt der SZ, dass er es war, der in der üblichen Abstimmung mit der Sporthilfe und dem Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) Schur noch mal vorschlug. Er sei - wie die Landessportbünde in Ostdeutschland, die das Anliegen an den DOSB herangetragen hätten - der Meinung, dass Schur ein wichtiger Teil der DDR-Sportgeschichte sei. Die sportlichen Erfolge der "Hall of fame"-Mitglieder würden "stets im Kontext ihrer jeweiligen Zeit, mit all ihren Stärken und Schwächen dargestellt". Die Sporthilfe legte gegen den DOSB-Vorschlag kein Veto ein.

Der DDR-Radrennfahrer Gustav-Adolf alias "Täve" Schur war Weltmeister und Gewinner der Friedensfahrt. Er führte außerdem Wahlkampf für die PDS. (Foto: dpa)

Die Chancen Schurs sind unklar, gegenüber der vergangenen Abstimmung gab es eine gravierende Veränderung. 2011 saßen nur 29 Personen in der Jury, mehrheitlich Vertreter der Sporthilfe, dazu weitere Vertreter des Sports, Politiker, Wirtschaftsführer. Doch im Jahr danach veränderte sich der Modus. Seitdem sind auch alle ausgezeichneten und noch lebenden Mitglieder der Ruhmeshalle stimmberechtigt - "aus Gründen der sportfachlichen Kompetenz", sagt die Sporthilfe. 93 Mitglieder umfasst die Jury nun; es ist fraglich, ob mit der Aufnahme von Sportkompetenz der Anteil derer gestiegen ist, die sich mit den gesellschaftspolitischen und historischen Aspekten beschäftigen. Vor Ostern habe die Abstimmung begonnen, heißt es bei der Sporthilfe; noch laufe sie, eine konkrete Ablauffrist gebe es nicht.

In jedem Fall kann sich die Sporthilfe darauf einstellen, dass dies nicht die letzte Diskussion über die Zusammensetzung der Ruhmeshalle ist. Denn angesichts der Faktenlage übers Doping Ost, des immer dichteren Gemäldes übers Doping West und der ständig neuen Erschütterungen des Sports ist zunehmend die Frage, ob sich auch künftig alle Mitglieder als so sauber gerieren können wie heute.

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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