Sportpolitik:Erbe des Vorbilds

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Juventus-Boss Gianni Agnelli löst Karl-Heinz Rummenigge als Chef der Klubvereinigung ECA ab. Dabei muss dieser noch beim italienischen Sportgericht vorsprechen.

Von Birgit Schönau

Agnelli, der Name ist eine Garantie. Für Beständigkeit, eine gewisse Klasse, einen gewissen Glamour - so dermaßen Old Europe, dass er in diesen konfusen und vulgären Zeiten fast ein wenig Nos-talgie auslöst. "Agnelli" ist der schlichte Titel eines Dokumentarfilms, der gerade auf dem Filmfestival von Venedig präsentiert wurde - ebenfalls sehr altes Europa, traditionell von den Elementen bedroht, neuerdings auch von modernen Touristen-Hunnen. Der Film beschäftigt sich mit Gianni Agnelli, dem legendären Fiat-Patron, Lebemann und Juventus-Turin-Präsidenten, dessen aristokratisches Flair ihn nicht nur in den Augen seiner Landsleute in den Rang eines Ersatzkönigs erhob.

Gianni Agnelli ist der Onkel von Andrea Agnelli, der am Dienstag in Genf zum neuen Präsidenten der ECA (European Club Association) gewählt wurde, die 220 Klubs aus 53 Ländern repräsentiert. Nun beweisen Europas Fußballbosse ja immer wieder auf das Zuverlässigste, wie sehr sie Sentimentalitäten abgeneigt sind. Dennoch erscheint die Wahl des 41-Jährigen Agnelli wie ein Fanal. Wie ein Zeichen dafür, dass man in wilden Zeiten doch ganz gern auf so etwas Beruhigendes und Solides wie Tradition setzt. Für Agnelli hatte sich insbesondere sein seit der Gründung der ECA 2008 amtierender Vorgänger, der FC-Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, stark gemacht.

ECA-Chef Andrea Agnelli (u.l.) und sein Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge wollen da aber nicht mitmachen. (Foto: Fabrice Coffrini / AFP)

Fast könnte man von einer Männerfreundschaft sprechen zwischen dem Ex-Fußballprofi aus Westfalen aus eher einfachen Verhältnissen und dem weltläufigen Spross alteingesessener italienischer Industriebarone, dessen adlige Mutter mit Regisseur Luchino Visconti ("Ludwig II.") verwandt ist. Die Agnelli lassen ihre Juve alljährlich auf dem Dorfplatz von Villar Perosa im Piemont antreten, wo sie um 1850 als Seidenraupenzüchter mit der Gründung ihres Industrie-Imperiums angefangen haben. Und Rummenigge ließ Carlo Ancelottis Bayern im vergangenen Jahr im heimatlichen Lippstadt aufspielen, was nur auf den ersten Blick eine ähnliche Veranstaltung war. Wichtig ist beiden jedenfalls die Verbundenheit mit ihren Klubs - und deren Identität als familiäres, traditionsbewusstes Unternehmen.

Gemeinsam verkörpern Rummenigge und Agnelli jene Bodenständigkeit, die dem europäischen Fußball gerade immer rasanter abgeht. Und hilfreich ist natürlich, dass der Westfale sich nach Jahren als Stürmer von Inter Mailand geschmeidig zu bewegen weiß wie ein Italiener - und trotzdem deutsche Verlässlichkeit ausstrahlt.

Seit 1923 besitzen die Agnelli den Turiner FC Juventus, seit sieben Jahren ist Andrea Präsident. Er hat in dieser Zeit sechs Meistertitel in Serie gewonnen und zwei Champions-League-Finale erreicht. Das wäre schon eine beeindruckende Bilanz. Aber wie nebenbei hat Agnelli auch den Umsatz seines Klubs fast verdoppelt, er hat als Erster in der Serie A eine eigene moderne Arena eingeweiht, hat Frauen in den Aufsichtsrat geholt und unterstützt persönlich die Arbeit der Unesco gegen Rassismus in den Stadien. Da ist es also höchst schmeichelhaft, wenn so jemand den FC Bayern als Vorbild preist. Tatsächlich sind die Beziehungen zwischen Turin und München idyllisch wie lange nicht. Nicht nur, dass der Austausch von Spielern reibungslos klappt (Vidal, Benatia, Costa), man heckte auch gemeinsam eine Champions-League-Reform aus, die vor allem den Italienern zugute kommt, weil sie ab 2018/19 wieder vier Klubs in die Königsklasse schicken dürfen.

In der ECA sind die beiden Klubs sozusagen die Größten der vielen Kleinen: Weder die Bayern noch Juventus können es sich leisten, finanziell mit dem Scheich von Katar und Abu Dhabi, mit russischen Oligarchen oder neureichen Chinesen zu konkurrieren, doch auf dem Platz kommt man an ihnen nicht so leicht vorbei. Zynische Zockerei und grassierenden Identitätsverlust aufzuhalten, kann nicht die Aufgabe eines ECA-Präsidenten sein. Aber man darf schon erwarten, dass Agnelli sich mit einigem Temperament der neuen internationalen Rolle widmen wird und auch versuchen wird, das nach den jüngsten Transferkapriolen in Trümmern liegende Financial-Fair-Play-Programm der Uefa künftig besser zur Geltung zu bringen.

Bei der Wahl in Genf unterstützten ihn die Italiener geschlossen. Ein diplomatisches Meisterstück, wenn man bedenkt, wie gnadenlos zerstritten die Fußballfürsten der Serie A sind, hoffnungslos gespalten in feudalistische Lokalpatriarchen, aufgeklärte Modernisierer und abwesende Ausländer. Im August stattete Agnelli überraschend den Kollegen bei Inter und AC Mailand einen Höflichkeitsbesuch ab, außerdem schloss er Frieden mit Claudio Lotito, dem rustikalen, ehrgeizigen Lazio-Rom-Patron.

Dies alles geschah vermutlich nicht nur im Hinblick auf die ECA-Kandidatur, sondern auf einen unangenehmen Termin am 15. September: Dann wird das Sportgericht des italienischen Verbandes darüber befinden, ob Andrea Agnelli den Tickethandel organisierter Fans von Juventus Turin zugelassen hat. Dem Juve-Präsidenten droht dabei eine Sperre. Aus Turin verlautete, dass ein Rücktritt deswegen nicht in Betracht gezogen würde. Nach der Wahl in Genf gilt das erst recht.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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