Snowboarden: Shaun White:Sie sind hinter ihm her

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Shaun White, die globale Identifikationsfigur des Snowboardens, findet es im Wettkampf manchmal hart, Shaun White zu sein.

Thomas Hahn

Shaun White hat seine Gitarre auf dem Schoß, und kurz lässt er die Finger über ihre Saiten tanzen für eine kleine, leise Melodie. Für die Andeutung eines Stückes, das zu etwas wachsen könnte, das dem Halfpipe-Olympiasieger aus der Seele singt. Zu Rock'n'Roll, so dass die roten Locken fliegen? Oder doch zu einem melancholischen Lied über die zwei Seiten des Ruhms, seine Rolle als wichtigste Medienfigur des Snowboardens und die Jagd der Mitbewerber auf ihn? Aber Shaun White spielt nicht weiter.

Star der Szene: Der Snowboarder Shaun White muss auch regelmäßig über den Laufsteg gehen. (Foto: Foto: Getty)

Es ist Interview-Zeit in seinem Appartement, das er für die European Open in Laax bezogen hat. Nacheinander empfängt er eine kleine Auswahl internationaler Journalisten, und weil er sich seiner Verantwortung bewusst ist, konzentriert er sich jetzt ganz auf die Fragen und seine Antworten dazu, die dann tatsächlich ein bisschen nach Rock'n'Roll klingen, so beschwingt wie er sie vorträgt, die aber doch auch einen Hauch von Melancholie in sich zu tragen scheinen. Denn Shaun White sagt: "Es ist manchmal hart, ich zu sein."

Man kann nicht sagen, dass Shaun White, 22, aus Carlsbad im US-Bundesstaat Kalifornien seine Lockerheit verloren hätte, seit er 2006 mit seinem Goldgewinn von Turin endgültig vom Szene-Wunderkind zu einer Größe des Massensportpublikums aufstieg. Seine flinke Rede zwischen Jugendsprech und anschaulicher Erzählung, seine gewinnende Freundlichkeit haben sich nicht verändert. Er macht nicht einmal den Eindruck, als hätte ihn sein Prominentenstatus müde gemacht. Und auf der Höhe seines Sports steht er ohnehin, was man an seinem Repertoire aus Höchstschwierigkeiten sieht oder an Siegen wie dem vergangenes Wochenende in der Halfpipe der Dew Trophy in Mount Snow.

Aber leichter ist es nicht geworden, Shaun White zu sein, das ist auch wahr. Seine Geschichte ist längst Teil der fleißig gepflegten Snowboardmythologie: Profi mit 13, Gewinner bei den Actionsport-Spielen X-Games mit 16, Olympiasieger mit 19, unbesiegt 2005/06, Werbemillionär, globale Identifikationsfigur für die moderne Sportjugend. Und nach Turin vollendete Shaun White seine Actionsport-Biographie: Er hielt etwas Abstand vom Snowboarden und forcierte sein Skateboarden. Er gewann 2007 bei den Sommer-X-Games und sagt: "Ich habe endlich das Gefühl, dass ich das gleiche technische Niveau im Skateboarden erreicht habe wie im Snowboarden."

Jetzt muss die Shaun-White-Saga weitergehen, und weil er höher nicht mehr steigen kann, geht das auch ein bisschen auf seine Kosten. Er ist der Maßstab und jeder zweite Platz von ihm schon ein kleiner Aufreger. "Sie sind hinter mir her", sagt er, "seit ich an Wettkämpfen teilnehme, habe ich das seltsame Gefühl, als wären alle hinter mir her." Die vorolympische Saison hat begonnen, in der White auch die aktuellen Entwicklungen in der Halfpipekunst beobachten will, und längst hat er festgestellt: Die Zeit der Siegesserien ist vorerst vorbei.

Erst Ende Dezember war er in Breckenridge Zweiter hinter Danny Davis, und seit der vergangenen Saison heißt es sogar, dass ein anderer Landsmann auf seinen Höhen fliegt: Kevin Pearce gewann 2007/08 Contest-Klassiker in den verschiedensten Freestyle-Disziplinen, unter anderen die European Open vor Shaun White, gewann die Ticket-to-ride-Tour, die Weltcupserie der freien Szene. Und auch nach der Qualifikation für das Halfpipe-Finale der diesjährigen European Open am Freitag war Kevin Pearce Erster vor Shaun White.

540, 540, 1080, 1080, 720, 720

Das beschäftigt den Olympiasieger. Niederlagen haben ihn schon immer beschäftigt: "Das hat mich Tricks machen lassen, die ich noch nie vorher gemacht habe." Insofern ist für ihn alles in Ordnung, trotzdem hat ihn die Laaxer Qualifikation "verwirrt", wie er selbst sagt. Shaun White glaubte, das bessere Programm an Sprüngen und Drehungen gezeigt zu haben als Pearce, er versteht die Kriterien der Jury nicht. Er argumentiert auf Snowboardlateinisch: "Ich habe einen frontside 540 gemacht, einen backside 540, einen 1080, noch einen 1080, einen 720, einen 720. Er hat einen geraden Air gemacht, einen 540, einen 720, einen 1080, einen 900 und noch einen Air."

Shaun White will nicht wie ein schlechter Verlierer wirken. "Mich hat nur frustriert, dass ich so viel Aufwand betrieben habe, mehr als alle anderen, und dass ich nicht die Noten dafür bekomme, auf die ich aus war. Was muss ich tun, um diese Richter zu beeindrucken?" Er fühlt sich benachteiligt und er glaubt, das hat auch mit seinem Namen zu tun. "Sagen wir, Sie wären ein Richter und Sie wissen, dass ich diesen schwierigen Lauf machen kann. Und dann mache ich einen Fehler, nur einen kleinen. Aber Sie wissen, dass ich es besser machen kann. Und dann bewerten sie mich gegen mich selbst."

Shaun White, der Werbemillionär, ist noch ziemlich drin in seinem Sport. Er will gut sein, er will gewinnen, und er hat sich wieder voll ins Contest-Geschehen eingeklinkt. Die WM des Welt-Skiverbandes Fis in Südkorea, die am Wochenende beginnt, lässt er aus, stattdessen startet er bei den X-Games in Aspen, absolviert seinen Pflicht-Fis-Weltcup zur Olympia-Qualifikation in Cypress Mitte Februar, davor einen Sprung-Contest zwischen New Yorks Wolkenkratzern. Und natürlich am Freitag das Finale der European Open, die Revanche gegen Kevin Pearce, den White übrigens nicht als Rivalen sieht. Er kennt Pearce seit der Kindheit. "Er ist ein großartiger Kerl." Shaun White sagt, er werde wohl gleich zu ihm runtergehen und bei ihm auf seiner Gitarre spielen.

© SZ vom 16.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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