Ski-WM: Lindsey Vonn:Theater via Facebook

Lindsey Vonn hat oft über Verletzungen geklagt - und anschließend gewonnen. Die Folgen ihrer angeblichen Gehirnerschütterung nehmen viele deshalb nicht ernst. Sogar Maria Rieschs Vater ist genervt.

Michael Neudecker, Garmisch-Partenkirchen

Lindsey Vonn ist jetzt 26 Jahre alt, sie ist Teil einer Generation, die das Internet nicht als Gefahr begreift, sondern als selbstverständlichen Begleiter. Wenn man dieser Tage wissen will, wie es Lindsey Vonn geht, dann kann man sie natürlich selbst fragen, wenn sie im Zielraum steht, aber das ist schwierig, weil Lindsey Vonn dieser Tage nur kurz im Zielraum steht, wenn überhaupt; sie ist verletzt, angeschlagen, wie auch immer man das sehen mag, sie klagt über die Folgen einer Gehirnerschütterung, die sie sich im Training in Hinterreit eine Woche vor der WM zugezogen hat.

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Ihr Gesundheitszustand ist derzeit das Hauptgesprächsthema: Lindsey Vonn.

(Foto: AFP)

Wenn man also wissen will, wie es ihr geht, dann macht man besser, was die Nachrichtenagentur AP tut, die gewissermaßen Hauptverbreiter von Lindsey-Vonn-Geschichten ist: Man fragt Thomas Vonn, ihren Ehemann. Und schaut auf ihren Account auf Facebook, im Internet.

Jeder, der Mitte zwanzig ist und etwas auf sich hält, hat so einen Account, das ist jedenfalls eine gängige Meinung. Auf der Startseite von Lindsey Vonns Profil sind mehrere Nachrichten, die meisten beschäftigen sich mit ihrem Gesundheitszustand, ihrer Kopfverletzung. "Mir fehlt die Konzentration, die Beweglichkeit und mentale Schnelligkeit", schreibt Vonn, "ich werde Trainingsläufe und Rennen absagen, bis ich mich wieder normal fühle". Diese Sätze sind am Mittwoch und Donnerstag überall zu lesen gewesen, jeder bei der Ski-WM kennt diese Sätze, und das ist nun das Problem von Lindsey Vonn.

Etwas weiter unten auf der Profilseite ist ein Video ihres Sturzes bei jenem Riesenslalom-Training, mit zwei Zeitlupen. Es ist ein heftiger Sturz, Lindsey Vonn wird in einer Rechtskurve in die Luft katapultiert, sie landet mit dem Rücken auf der Piste und schlägt kurz mit dem Kopf auf, danach bleibt sie liegen. Wenn man den Sturz gesehen hat, ist man nicht überrascht, dass sie Kopfschmerzen hat, nur: Es geht nicht mehr darum, wie ernst die Kopfverletzung von Lindsey Vonn tatsächlich ist, vielleicht war das von Anfang an nie anders. Es geht darum, wie Lindsey Vonn ihre Verletzung präsentiert.

Seit Lindsey Vonn in Garmisch-Partenkirchen eingetroffen ist, wird sie in jedem Pressegespräch, jeder Zielraumrunde zu ihrem aktuellen Gesundheitszustand befragt, aber die Fragen kommen auch, weil sie das Gefühl vermittelt, gerne darauf zu antworten.

Täglich wird darüber spekuliert, ob Lindsey Vonn überhaupt an den Rennen hier teilnimmt, und wenn ja, an welchen; es ist genau das selbe Spiel wie bei Olympia 2010. Damals klagte Lindsey Vonn über eine Schienbeinprellung, zwei Wochen lang debattierten und berichteten die Medien darüber. Es ist das selbe Spiel wie beim Weltcup-Finale 2010 in Garmisch-Partenkirchen, als Lindsey Vonn im Riesenslalom stürzte und sich am Knie verletzte. Es ist das selbe Spiel wie so oft.

"Was Lindsey veranstaltet, ist affig."

Am Tag nach ihrem Sturz beim Weltcup-Finale gewann sie das Super-G-Rennen, bei Olympia holte sie noch Stunden nach ihrem letzten Wehklagen Gold in der Abfahrt. "Theater", das ist das Wort, das man am häufigsten hört, wenn man mit den Leuten bei der Ski-WM über Lindsey Vonn spricht, Athleten, Trainern, Funktionären. Die meisten dieser Leute, die ja einer Welt angehören, in der im Grunde keine Nachnamen existieren, sagen nicht "Lindsey". Sie sagen: "die Vonn".

Siegfried Riesch, der Vater von Maria Riesch, hat am Donnerstag der Abendzeitung ein Interview gegeben, in dem er sagt: "Dieser Zirkus! Was Lindsey da veranstaltet, ist affig." Es folgen ausführliche Beispiele aus der Vita von Lindsey Vonn, die seine Einschätzung unterstreichen, und man kann nun darüber diskutieren, weshalb der Vater von Maria Riesch sich nicht zu schade ist, einer Zeitung ein Interview zu geben, in dem er die Konkurrentin, aber eben auch Freundin seiner Tochter angreift. Aber das ist nicht das Thema. Sondern: Siegfried Riesch hat öffentlich gesagt, was viele seit langer Zeit hinter vorgehaltener Hand und verschlossenen Türen sagen.

Am Donnerstag nun nahm Lindsey Vonn am Abfahrtstraining teil, sie trug nicht ihren Rennanzug, sondern ihre Warm-up-Kleidung, Skihose, Skijacke mit Kapuze, im Ziel hatte sie 11,90 Sekunden Rückstand auf die Führende. Danach gab sie bekannt, die Kombinations-Abfahrt an diesem Freitag als Training für die Sepzial-Abfahrt am Sonntag zu fahren, "aber den Slalom lasse ich zu 80, 90 Prozent aus". Und dann wiederholte sie ihre Kritik an den Pistenbedingungen, "das ist schlecht für den Sport", sagte sie, und: "Ich habe hier absolut keinen Spaß." Ihr Kopf fühle sich an "wie in einem Schraubstock".

Wahrscheinlich ist es auch ihrem Wesen geschuldet, dass Lindsey Vonn so offen und wiederholt über ihre Verletzung spricht, sie ist Amerikanerin, und Amerikaner sind bekannt für ihre Offenheit; das ist jedenfalls die eine Theorie. Die andere Theorie ist die etwas gängigere in der Branche, sie lautet: Ihr Mann, Manager und Trainer Thomas Vonn gibt ihr vor, wie sie öffentlich auftreten sollte. Wer verletzt ist, hat keinen Druck, das ist wohl die Idee, die dahinter steckt.

"Das hat sie gar nicht nötig", das ist auch ein Satz, den man oft hört. In dem Satz steckt viel Wahrheit: Lindsey Vonn ist seit Jahren die beste Skirennfahrerin der Welt, gelegentlich geschlagen nur von Maria Riesch. Sie fährt seit vier Jahren mit dem gleichen Abfahrtsski, dem gleichen Modell, mit dem auch Bode Miller fuhr - Miller und Vonn haben den selben Servicemann. Es gibt nicht viele Frauen, die mit so einem aggressiven Ski überhaupt fahren können, wahrscheinlich keine, außer Lindsey Vonn. Aber auch darum geht es schon lange nicht mehr.

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