Ski Alpin: Abfahrt in Wengen:Die Leere hinterm Felsentor

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Die Lauberhorn-Abfahrt im Berner Oberland ist ein Mythos des Skisports - und ultimative Herausforderung für Matadore der Neuzeit.

Wolfgang Gärner

"Diese Abfahrt", sagt Walter Hlebayna, Speedtrainer der deutschen Skifahrer, "wird alle Athleten fordern und einige an die physische Grenze bringen." Hoffentlich am Samstag nicht seine. Diese Abfahrt ist das Lauberhornrennen von Wengen im Berner Oberland, der Klassiker - ach was: der Mythos. Die längste Abfahrt (4,45 Kilometer und 2:30 Minuten Fahrzeit) und eine der ältesten (ausgetragen seit 1930). Das größte Sportereignis der Schweiz und das einzige Skirennen, über das es ein eigenes, voluminöses Buch gibt (die Zitate daraus sind kursiv gestellt).

Die Lauberhorn-Abfahrt (im Bild der Schweizer Didier Cuche) ist auch eine Sache des Mutes. (Foto: Foto: Reuters)

"Die Faszination am Lauberhornrennen ist, dass es nicht nur das längste ist im ganzen Weltcup, sondern noch eine wirkliche, reine Abfahrt mit vielen Schusspassagen - aber auch mit technischen Stücken wie dem Brüggli, weshalb auch ein Leichter wie ich dieses Rennen gewinnen konnte", sagt Markus Wasmeier, der hier 1987 Erster war. Die Faszination kommt auch vom Ambiente.

"Du stehst am Start und schaust direkt in die Eiger-Nordwand hinein", sagt der Österreicher Peter Wirnsberger, der 1985 gewann. Der Abfahrer rast auf ein Panorama zu, das direkt aus dem Fremdenverkehrsprospekt kommt: Eiger - Mönch - Jungfrau, dann wird die Gipfelschau unübersichtlich, weil das Gleitstück zu Ende ist und der Athlet von einer der anspruchsvollsten Passagen des Skisports gefangen wird namens Hundschopf: Sprung ins Leere, durch ein Felsentor.

Minschkante, Brüggli-S, Wasserscheide

"Am Hundschopf trennen sich Mut und Respekt, Risikobereitschaft und Taktik, Sprungtechnik und Linienwahl", erklärt der Schweizer Olympiasieger Bernhard Russi, Lauberhornsieger 1973. In dieser Abfahrt, sagt Markus Wasmeier, sei alles drin, "was man sonst auf vier verschiedenen Strecken findet. Das macht Wengen aus." Hermann Maier, 1998 als Debütant der Gewinner am Lauberhorn, gesteht, er habe fast drei Tage lang besichtigen müssen, "bis ich mir sämtliche Passagen eingeprägt hatte."

Diese Passagen tragen Namen wie: Minschkante, Brüggli-S, Wasserscheide, Canadian Corner, Österreicherloch, Langentreien, Haneggschuss. Wasmeier: "Die Minschkante ist wie der Hundschopf eine der Stellen in Wengen, wo man sich extra überwinden muss". Hier, mitten am Berg, ist das Skistadion Girmschbiel eingerichtet, an dem die Zuschauer mehr mitbekommen als irgendwo anders. Canadian Corner wurde die der Minschkante folgende Kurve getauft, weil 1975 Ken Read und David Irvin hier den Abflug machten, beide Mitglieder der Truppe, die auf den sinnigen Namen Crazy Canucks hörte.

"Es mag sein, dass diese Abfahrt altmodisch ist", sagt Wasmeier, "aber das macht sie auch wieder interessant - weil sie nicht in ein Konzept reinpasst, in den aktuellen Standard." Wengen sei für ihn der erste der Klassiker neben Kitzbühel, Garmisch, Gröden. "Da weißt du: Hier ist vor dir schon der Toni Sailer gefahren".

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Ebendieser gesteht, es laufe ihm auch 50 Jahre später noch kalt den Rücken runter, wenn er an seine Jungfernfahrt auf dem Lauberhorn von 1954 denke. "Ich war absolut überfordert von diesem gewaltigen Tempo. Ich hatte dermaßen Angst, dass ich den Herrgott um Hilfe ersuchte." Es half nichts: Er landete in derselben Senke wie die Favoriten Anderl Molterer und Werner Schuster, beide seine Landsleute. Und wieder war ein neuer Flurname entstanden: Österreicherloch. Sailer aber hatte seine Wengener Lektion gelernt und siegte in den folgenden vier Jahren.

Das gewaltige Tempo, von dem er sprach, wird am Ende des Haneggschusses erreicht mit fast 160 km/h. Noch ein Superlativ: "Nirgendwo anders ist man auch nur annähernd so schnell", sagt Markus Wasmeier. "Und nirgendwo sonst fährt man durch einen Tunnel unter einer Eisenbahn durch". In Wengen schon - an der Wasserstation. Die Tradition lebt, einigen allerdings zu wenig.

Das Fossil als Herausforderung

Franz Klammer, der bei seinem ersten Lauberhornsieg 1975 legendäre dreieinhalb Sekunden Vorsprung auf Herbert Plank herausfuhr, beklagt bitter, "dass man das Brüggli derart entschärft hat", zu seiner Zeit bloß drei Meter breit, heute zehn "und sicher harmlos". Alles hat seine Zeit, und die Wengener haben nach dem tödlichen Unfall von Gernot Reinstadler 1991 ihr Rennen immer weiter überdacht und neu definiert und bei aller Liebe zur Tradition den modernsten und höchsten Sicherheitstandards angepasst.

"Es wäre schade, wenn so was wie das Lauberhornrennen verlorengehen würde", sagt Markus Wasmeier. Das Fossil ist die ultimative Herausforderung auch für die Matadore der Neuzeit wie Bode Miller, der bei seinem ersten Sieg vor zwei Jahren derart entkräftet war, dass er in den Zielhang stürzte.

Das Lauberhorn bringt alle Athleten an ihre physische Grenze, nicht nur die von Deutschlands Abfahrtscoach Hlebayna. Stephan Keppler und Tobias Stechert haben am vergangenen Wochenende auf dem Lauberhorn zwei Europacupabfahrten bestritten und wurden einmal Erster und Zweiter, einmal Zweiter und Dritter. Man muss sich keine übertriebenen Sorgen machen.

Das Buch zum Rennen: "Lauberhorn. Die Geschichte eines Mythos." Von Martin Born, erschienen im AS Verlag.

© SZ vom 17.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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