Sieben Geschichten der U-21-EM:Arnold in die Tonne

Lesezeit: 5 min

Und rein: Maximilian Arnold trifft die Tonne, im Stadion sitzt er trotzdem auf der Bank. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Im Training gelingt Maximilian Arnold ein Sieg, dennoch motzt sein Wolfsburger Trainer. Ex-Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt hilft Dänemark. Italien beklagt ein "Biscotto". Sieben Episoden von der U-21-EM.

Von Matthias Schmid, Prag

Trainerschelte: Maximilian Arnold hat neben Kerem Demirbay als einziger deutscher Feldspieler bei der U-21-Europameisterschaft noch keine Minute gespielt. Aber zumindest hatte sich der Wolfsburger im Training schon mal als Sieger feiern lassen dürfen. Den Pokal reckte er anschließend stolz und lächelnd in den Prager Himmel. Es war die Tonne, in der er bei einer Spielform zuvor jonglierend am besten hineingetroffen hatte.

Während Arnold mit seiner Reservistenrolle - zumindest nach außen - souverän umgeht, versteht sein Vereinstrainer Dieter Hecking die Fußball-Welt nicht mehr und motzt öffentlich über die Aufstellung von Horst Hrubesch: "Es ist schon komisch, dass einer, der beim Pokalsieger und Vizemeister gute Leistungen gebracht hat, in der deutschen U 21 keine Rolle spielt." Eine Empfehlung für seinen Kollegen hatte Hecking natürlich gleich parat: "Ich bin der Meinung, dass meine Spieler spielen müssten."

Gut, dass Horst Hrubesch beim jahrelangen Dorsch-Angeln viel Demut gelehrt bekommen hat. Er antwortete auf die unerwartete Kollegenschelte vor dem Halbfinale am Samstag (18 Uhr, im SZ-Liveticker) gegen Portugal wie ein Angler: stoisch achselzuckend. "Ich ignoriere das einfach", sagte der 64-Jährige.

Gemeinsames Fernsehen: Alle deutschen Nationalspieler betonen in den Tagen der U-21-Europameisterschaft immer wieder wie sie sich abends gemeinsam die Spiele der Konkurrenten anschauen, um sich auch deren Besonderheiten selber einzuprägen. Man muss sich so ein Teamhotel während eines Turniers vorstellen wie die Jugendherberge bei einer Klassenfahrt: Am Abend versammeln sich alle im Aufenthaltsraum, tratschen, spielen Karten oder an der Konsole und gucken gemeinsam die EM-Spiele der Gegner. Alle deutschen Spieler? Mitnichten.

Am Mittwochabend, als es darum ging, wer denn an diesem Samstag der Halbfinalgegner der deutschen Mannshaft wird, saßen Matthias Ginter und Robin Knoche draußen in der Prager Altstadt, im Schatten der Teynkirche schlurften sie in einem Café entspannt an einem Kaltgetränk. Einen Monitor, auf dem die Spiele von Italien gegen England und Schweden gegen Portugal liefen, suchte man vergeblich. Aber sie schauten gebannt auf ihr Mobiltelefon und wischten mit den Fingern auf dem Display aufgeregt hin und her. Ganz bestimmt bewegten sie den SZ-Liveticker.

Dominique Heintz in der U 21
:Köln dankt für die frühe Unterschrift

Vor wenigen Wochen, als ihn niemand kannte, unterschrieb Dominique Heintz beim 1. FC Köln. Jetzt spielt er eine herausragende U-21-EM und erfreut seine Teamkollegen mit seinem Dialekt.

Von Matthias Schmid

Deutscher Wunderheiler: Im Abschlusstraining vor dem Gruppenspiel gegen die deutsche Mannschaft hatte der Physiotherapeut des dänischen Teams die kurze Hose von Pierre-Emile Højbjerg so weit heraufgezogen, dass die Zuschauer den Gluteus Maximus (gemeinhin bekannt als großer Gesäßmuskel) des Bayern-Profis in seiner vollen Pracht sehen konnten. Der Oberschenkel des Mittelfeldspielers schmerzt, so sehr, dass er Prag noch während der U-21-EM für einen Tag verlassen hatte, um nach München zu reisen. Zu Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem Wunderheiler, dem Hojbjerg vertraut.

"Wir dürfen keine Zeit verlieren", hatte der dänische Teamarzt Jesper Petersen der Konsultation im Ausland seine ausdrückliche Erlaubnis erteilt. Pep Guardiola wird das alles mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Hatte ihm doch die Behandlungszeit des früheren Bayern-Doc meist zu lange gedauert. Und nun das: Nur einmal musste Højbjerg aussetzen, dann war er wieder fit, um die Dänen ins Halbfinale zu führen. Als Gruppenerster noch vor der deutschen Mannschaft.

Schweinsteiger, Müller und Özil: Nur wer in Prag in diesen Tagen eine Sportbar oder ein Irish Pub besucht, bekommt mit, dass in der goldenen Stadt die U-21-Europameisterschaft im Fußball ausgespielt wird. Die Spiele werden dort in Farbe, live und in voller Länge übertragen. Aber ein Platzproblem gibt es nicht, auch wenn man sich verspätet, sind viele Stühle unbesetzt. Es interessieren sich nur wenige ausländische Gäste für das wichtigste Nachwuchsturnier Europas.

Die Tschechen sogar überhaupt nicht mehr, nach dem Turnieraus ihrer Mannschaft haben sie auch die letzte der ohnehin schon spärlichen Werbeplakate aus dem Stadtbild entfernt. Dafür begegnet man fast an jeder Ecke Jaromir Jagr, der tschechische Eishockey-Held lächelt einen in vielen verschiedenen Posen erhaben an und wirbt für seine Ausrüstung.

Eishockeyklamotten benötigen die Hockey-verrückten Tschechen ja auch im Sommer, wie man an vielen Menschen erkennen kann. Doch auch die deutschen Fans in Prag scheinen sich nicht wirklich für das Turnier zu interessieren. Sie tragen Trikots von Spielern, die gar nicht anwesend sind. Sie verkleiden sich am liebsten als Schweinsteiger, Müller oder Özil. Will denn niemand Emre Can oder Kevin Volland sein?

Messi-Erscheinung: Den 1. November 2011 werden sie im Osten Prags nicht mehr vergessen. An diesem Tag ist ihnen im Stadion Eden der Messi erschienen. Noch heute erzählen sie jedem, der die Arena betritt, von diesem himmlischen Spektakel. Es soll sogar bald eine Gedenkstätte an das Phänomen erinnern, wo heute noch ein amerikanisches Fast-Food-Restaurant untergebracht ist. Gleich drei Tore beförderte die argentinische Lichtgestalt in das Tor des Gegners. Der hieß damals nicht Slavia Prag, sondern Victoria Pilsen, das damals im Stadion Eden seine Heimspiele in der Champions League austrug. Ein Treffer war dabei schöner als der andere, berichten Augenzeugen.

Die Messi-Erscheinung veränderte so manches irdische Leben auf dramatische Art und Weise. So verlor beispielsweise hinterher der Slavia-Platzwart seinen Job, weil er sich fortan weigerte, ein Stück des Rasens weiter zu mähen, auf dem Messi zuvor niedergekniet war. Er soll jetzt für den FC Barcelona auf dem Rasenmäher sitzen.

Rio de Janeiro: Jeden Morgen läuft Leonardo Bittencourt an der Christusstatue auf dem Corcovado vorbei. Ein Bild vom Wahrzeichen Rio de Janeiros hängt in Vorhanggröße im Flur des deutschen Mannschaftshotels in Prag. Die Spieler sollten ihr gemeinsames Ziel nach dem Aufstehen gleich vor Augen haben. "Der DFB weiß noch gar nicht, was auf ihn zukommt", sagte der Sohn brasilianischer Eltern nach der erfolgreichen Qualifikation für das olympische Turnier im August 2016. "Meine komplette Familie dreht gerade durch, die haben schon alles gebucht, ich muss beim DFB jetzt schon Tickets anfordern, damit ich genug für alle habe", fügte Bittencourt hinzu.

Mit 50 bis 60 Familienmitgliedern rechnet er, "so viele waren es immer, wenn ich im Dezember meinen Geburtstag dort gefeiert habe". Der Profi von Hannover 96 liebt das Land seiner Eltern. Er würde aber schon gerne als Europameister nach Rio fliegen, "jetzt auszuscheiden macht doch keinen Sinn", sagt er vor dem Halbfinale gegen Portugal.

Als DJ der Mannschaft weiß er, welche Musik er nach einem Sieg auflegen möchte. "Ist alles vorbereitet", kündigt er an. Verraten will er aber nichts. Nach der Olympia-Qualifikation gegen die Tschechen spielte er in der Kabine: brasilianische Sambamusik.

Biscotto: In Italien haben Verschwörungstheorien mit harmlosen Plätzchen zu tun. Das Wort "Biscotto" tauchte immer wieder in den italienischen Medien auf, nachdem die italienische Mannschaft bei der U-21-Eurpameisterschaft ausgeschieden war. Biscotto meint eigentlich das Gebäck, das häufig an Weihnachten gereicht wird, steht in Italien aber auch für Verschwörung und Absprache. Über eine solche mutmaßten die Zeitungen nach dem frühen Vorrundenaus. "Alle Befürchtungen sind bestätigt worden. Dieses Ergebnis hinterlässt mehr als einen Zweifel", schrieb die Sporttageszeitung Gazzetta dello Sport.

DFB-Junioren in der Einzelkritik
:Wie Olli Kahn in wildesten Zeiten

Während Matthias Ginter an Biene Maja denkt, schreit Marc-André ter Stegen seine Mitspieler an. Und Kevin Volland hätte längst eine Einladung auf Karel Gotts Terrasse verdient. Die DFB-Junioren in der Einzelkritik.

Von Matthias Schmid, Prag

Italien gewann zwar das letzte Gruppenspiel gegen England 3:1, im Parallelspiel hatte Schweden aber noch kurz vor Schluss zum 1:1 gegen Portugal ausgeglichen, was beiden zum Weiterkommen verhalf. "Dieser Keks ist schwer zu verdauen, und wieder ist er schwedisch", kommentierte die Gazzetta. Sie erinnerte an die EM 2004 der A-Nationalteams. Damals hatten Schweden und Dänemark im letzten Gruppenspiel 2:2 (0:1) gespielt. Beide Mannschaften erreichten die K.-o.-Runde, Italien schied aus.

Und die Spieler? Sie schwiegen. Keine böse Anklage, schon gar keine Verschwörungstheorie war zu hören. Sie zeigten Größe. Immerhin hatten sie zuvor gegen Schweden verloren und ihr Aus damit zweifellos selbst eingeleitet.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: