Shorttrack:Wo das Herz der Spiele wummert

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Die Phonstärke steigt, wenn in der Eis-Arena die Shorttracker durch die Kurven fliegen. Im Nationalsport der Südkoreaner ist für Anna Seidel die Konkurrenz zu stark.

Von Barbara Klimke

Fast trostlos wirkte das weite Oval in Gangneung, wo die Eisschnellläufer mit langen Schritten über die Mittelstrecke glitten, am Dienstagabend. Nur ein paar hundert Meter weiter, in der kleinen Eis-Arena, bebte dagegen das Haus. Die Ari-Ari-Girls, eine extra für die Spiele in Pyeongchang zusammengestellte Show-Truppe, tanzten auf der Tribüne Hip Hop, unterstützt von einem weiß gekleideten Rapper namens Noh Hyeon-tae. 12 000 Menschen ließen sich vom dröhnenden harten Beat in Stimmung bringen. Dass die Phonstärke noch um mehrere Stufen zu steigern war, wurde deutlich, als die Pause beendet war und die wahren Stars des Abends das Eis betraten, mit Helm und Kufen: Zum Beispiel die Shorttrackerin Choi Min-jeong.

Shorttrack ist Nationalsport in Südkorea, nichts bringt die Gastgeber der Olympischen Winterspiele von Pyeongchang mehr in Wallung. Für Rodeln, Langlauf mit Schießen und anderen exotisch-europäischen Zeitvertreib hat sich das heimische Publikum in den vergangenen Tagen noch wenig erwärmen können. Aber das Herz der Spiele schlägt, es ist lebendig: Es wummert in der Eis-Arena.

Disqualifikation für die Favoritin? Das Publikum nimmt es ohne Murren hin

Dabei ist die Stimmung am Dienstag nicht einmal außergewöhnlich gewesen, als die 500-Meter-Entscheidung der Frauen sowie die 1000-Meter-Vorläufe der Männer anstanden. Das fand zumindest Anna Seidel, 19, die seit Jahren zu Weltcup-Rennen nach Asien reist und als Expertin in Landeskunde gelten kann. "In Korea ist es immer sehr stimmungsvoll", erklärte sie, als sie nach dem Viertelfinale, ohne Helm und Schlittschuhe, im Erdgeschoss der Halle stand, wo die Bässe nicht mehr brummten: "Und das Schöne ist", ergänzte sie, "dass die Koreaner alle anfeuern, auch die Gegner."

Immer rein in die weiche Bande: Beim Shorttrack kommt es häufig zu spektakulären Stürzen, so wie hier im 1000-Meter-Vorlauf der Männer. (Foto: John Sibley/Reuters)

Jubelnde, feiernde, auf den Tribünen tanzende Zuschauer machen eine schnelle Niederlage, wie Anna Seidel sie erlitt, bei Olympia vermutlich erträglicher. Vielleicht lindert das auch die Schmerzen, die eine Verfolgungsjagd auf Kufen mit sich bringt. Dass das Sprint-Viertelfinale zu einer wilden Hatz werden würde, war schon im ersten Lauf klar: Die erste Athletin rauschte nach wenigen Sekunden ungebremst auf dem Hintern in die Bande; die Weltcup-Führende, Marianne St. Gelais aus Kanada, wurde disqualifiziert. Bei Anna Seidel ging es glimpflicher ab. Sie kam ohne Sturz ins Ziel, allerdings als Letzte von vier Läuferinnen, weil sie schon kurz nach dem Start den Anschluss an die fliegenden Körper vor ihr verlor. "Leider war's schnell vorbei", sagte sie. Aber sie war mit einer leichten Adduktorenverletzung ins Rennen gegangen, und die 500 Meter sind ohnehin nicht ihre Lieblingsstrecke: "Das liegt mir nicht, dieses Gerenne von Anfang bis zum Ende", sagt sie. Sie hofft nun, dass sie am Samstag auf der längeren Distanz ihre taktischen Fähigkeiten besser ausspielen kann.

Für die Zuschauer aber begann jetzt erst der Höhepunkt des Abends, der Auftritt von Choi Min-jeong, erst 19 Jahre alt und bereits zweimal Gesamt-Weltcup-Siegerin. Choi Min-jeong ist in Südkorea eines der Gesichter der Spiele, ihr Konterfei fehlt in keiner offiziellen Olympia-Broschüre. Wegen ihrer katzenartigen Bewegungen, mit denen sie sich an der rasenden Konkurrenz vorbei schieben kann, hat sie sich in der Shorttrack-Szene den Kampfnamen "Genius" verdient. Auf Choi Min-jeong also ruhten die Hoffnungen: Sie sollte jene 500-Meter-Goldmedaille erjagen, die Südkorea in seinem Stolz noch fehlt. Seit 1992 ist Shorttrack olympisch, über jede andere Distanz hat das Land inzwischen mindestens einen Olympiasieger hervorgebracht. Frenetischer Lärm brach aus, als sie an den Start ging; der Lärm schwoll an, als sie Rivalin nach Rivalin hinter sich ließ und fast zeitgleich mit Europameisterin Arianna Fontane aus Italien über die Ziellinie schoss. Und der Lärm ebbte abrupt ab, als nach der Auswertung der Zielfotos das Kampfgericht das Urteil sprach: Disqualifikation für Choi Min-jeong. Sie hatte im Zweikampf auf dem Eis die Gegnerin unfair gestoßen. Die 12 000 in der Arena nahmen es ohne Murren, ohne Pfiffe, ohne die geringste Unmutsäußerung hin. Sie standen auf und gingen in die Nacht.

Verfolgungsrennen: Südkoreas später disqualifizierte Nationalheldin Choi Min-jeong (links) jagt die spätere Siegerin Arianna Fontana (vorne). (Foto: Damir Sagolj/Reuters)

Von Chois robuster Durchsetzungskraft ist Anna Seidel aus Dresden weit entfernt. Sie hat in Deutschland trainiert, zuletzt in den Niederlanden und sie weiß aus eigener Anschauung, dass Shorttrack in Südkorea den Athleten ganz andere Opfer abverlangt. Vor einigen Jahren hat sie mal ein paar Wochen lang in Südkorea trainieren können und über das Pensum gestaunt: Kinder und Jugendliche, sagt sie, sind neben der Schule manchmal bis zehn Uhr abends auf dem Eis: "Das ist eine brutal langwierige Angelegenheit bei denen."

Sie selbst braucht nach Niederlagen ihre Abwechslung vom Sport und würde gern andere Olympia-Wettkämpfe besuchen. Der deutsche Verband DESG aber hat derlei Zerstreuung untersagt. "Wir sind der Meinung, dass man sich auf die eigenen Veranstaltungen fokussieren kann", sagt der Dresdener Stützpunkttrainer Daniel Zetzsche. Mit anderen Worten: Der Trubel in der Eis-Arena muss reichen.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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