Serie: Olympias Mehrkämpfer:Sie schwamm um ihr Leben - und startet nun bei Olympia

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Vor einem Jahr floh Yusra Mardini aus Syrien und bewahrte ein Flüchtlingsboot vor dem Kentern. Das Wasser hat sie dann erst mal gehasst. Trotzdem schaffte es die 18-jährige Schwimmerin nach Rio.

Von Verena Mayer, Berlin

Am 5. August beginnen die Olympischen Spiele in Rio. Nach dem Willen der Funktionäre soll es dann nur um den Sport gehen. Doch längst begleiten politische und gesellschaftliche Themen das Denken vieler Olympia-Kandidaten. Die SZ stellt in einer Serie einige Athleten und Athletinnen vor, die auch für ein Ziel jenseits des Kampfes um Gold, Silber und Bronze stehen: Manche für persönliche Ziele, manche für die brisanten Themen unserer Zeit.

Geschichten von Sportlern haben ja oft etwas von Drehbüchern. Alles dreht sich um die Grenzen, an die man geht, um Erfolge und Rückschläge. Und im Bruchteil einer Sekunde kann sich alles verändern. Im Leben der jungen Schwimmerin Yusra Mardini kommt noch die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht hinzu. Mardini stammt aus Syrien, vergangenen Sommer bestieg sie mit ihrer Schwester in der Türkei ein Schlauchboot. Sie wollte übers Meer nach Griechenland, damals der typische Fluchtweg.

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An Bord befanden sich zwei Dutzend Leute, die meisten davon waren Männer. Irgendwann fiel der Motor aus, Wasser lief ins Boot. Yusra und ihre Schwester sprangen ins Meer, sie waren die einzigen, die schwimmen konnten. Yusra hielt das Boot über Wasser, strampelte und kam irgendwie an der Küste von Lesbos an. Ein junges Mädchen, das ein Flüchtlingsboot vor dem Untergang bewahrt. Die Rettungsschwimmerin.

Ein Kamerateam begleitete die Flucht

Kein Wunder, dass sogar Hollywood auf die Sportlerin aufmerksam wurde, als Mardini im März vor die Weltpresse trat. Da saß sie in einem Zweckbau in Berlin, in Pulli und Jeans, das lange schwarze Haar fiel offen über die Schultern, sie war das Aushängeschild für ein Prestigeprojekt des Internationalen Olympischen Komitees (IOC): eine Mannschaft aus Flüchtlingen, die bei den Spielen in Rio zum ersten Mal an den Start gehen soll, so eine Art olympische Willkommensklasse gewissermaßen. Um auch im Sport die globale Realität abzubilden: 60 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Zehn Sportlerinnen und Sportler haben es geschafft, sich für das Team zu qualifizieren. Läufer aus dem Südsudan und aus Äthiopien, Judokämpfer aus dem Kongo, und eben die 18-jährige Schwimmerin Yusra Mardini.

Sie wird die 100-Meter-Distanz im Freistil und Schmetterling schwimmen, schon in Syrien war sie in der Nationalmannschaft. Bei der Kurzbahn-Weltmeisterschaft in Istanbul 2012 schaffte sie Landesrekord. Dann eskalierte in Syrien der Bürgerkrieg, der Millionen Menschen heimatlos machte, auch die Mardinis mussten fliehen. Über den Libanon und die Türkei schlugen sie sich durch Griechenland und Mazedonien nach Deutschland durch. Unterwegs stießen sie auf eine Gruppe von Flüchtlingen, die von einem Kamerateam begleitet wurde, weswegen ihre Flucht sogar dokumentiert ist.

Wie die Mädchen über Bahngleise laufen, Yusras Schwester mit einem fremden Baby auf dem Arm, wie sie durch Schlamm und Gebüsch kriechen und die Schlepper rufen: "Eins, zwei, drei, runter!" An der serbisch-ungarischen Grenze wurden sie verhaftet, und einmal fragte sie ein Polizist, warum sie lache. Mardini antwortete: "Wir sind durchs Meer geschwommen, warum sollen wir nicht lachen?"

In einem Berliner Flüchtlingsheim sagte sie zu einem Dolmetscher, dass sie und ihre Schwester Schwimmerinnen seien. Yusra Mardini wurde zum Verein Wasserfreunde Spandau 04 geschickt, wo sie jeden Tag vier bis fünf Stunden trainierte. Inzwischen hat sie ihre syrischen Rekorde über 400 Meter Freistil und 400 Meter Lagen gebrochen, was allerdings noch immer keine besonders aufregenden Zeiten sind. Als ihren sportlichen Traum bezeichnet sie daher die Olympischen Spiele in Tokio 2020. Ihre Schwester Sarah musste das Schwimmen aufgeben, sie hatte sich während der Flucht durch halb Europa verletzt. Und auch Yusra Mardini sagte, sie habe das Wasser erst einmal gehasst.

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Inzwischen ist es wieder ihr Element. Auf einem Foto, das für die Flüchtlingsmannschaft wirbt, sieht man sie vor dem Berliner Olympiastadion einen Luftsprung machen, über ihr ist nur mehr der Himmel. Zum Fluch wurde Mardini eher ihre spektakuläre Geschichte. Seit März wird die 18-Jährige mit Anfragen aus aller Welt bombardiert. Fernsehteams wollen sie begleiten, sogar Filmangebote aus den USA gab es. Dazwischen musste sie Deutsch lernen, zur Schule gehen, Bahnen ziehen, seit Mai ist sie im Dauer-Training. Ihr Trainer Sven Spannekrebs, der inzwischen mehr als tausend E-Mails zu seinem Schützling beantwortet hat, sagt, der Rummel sei schon eine Belastung gewesen. Aber inzwischen habe man gelernt, Grenzen zu setzen. "Und der Zuspruch aus der ganzen Welt ist auch etwas Schönes."

Eines Tages möchte sie zurück nach Syrien

Im März hat Mardini den Journalisten auch etwas über ihr Leben erzählt. Dass sie ihre Freunde in Damaskus und ihr Bett vermisst und eines Tages zurück nach Syrien möchte. "Es ist schlimm, seine Heimat zu verlieren." Wie schwierig es gewesen sei, nach ihren Erlebnissen auf dem Boot wieder ins Wasser zu steigen. "Aber ich dachte, es wäre eine Schande, wenn wir nicht schwimmen." Denn sie wolle "die anderen Flüchtlinge ermutigen, etwas zu versuchen, auch wenn es schwer ist. Ich will, dass sie stolz auf mich sind". Auf die Frage eines Journalisten, hinter welcher Fahne sie am liebsten laufen würde, sagte sie nur: "Ich verstehe mich als Schwimmerin."

Wenn sie in Rio bei den Olympischen Spielen dann zum Startsprung ansetzt, wird sie sich wohl auch von ihrer Geschichte freischwimmen müssen. Bis nur mehr das zählt, was auch alle anderen Sportler ausmacht: Erfolge und Rückschläge. Und die Bruchteile von Sekunden, die alles verändern können.

Bisher erschienen: Indiens Tennisspielerin Sania Mirza (16. Juli), Südafrikas 400-Meter-Läufer Wayde van Niekerk (20. Juli), Großbritanniens Boxerin Nicola Adams (22. Juli), Fidschis Rugby-Spieler Jarryd Hayne (26. Juli).

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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