Schwimmen:Weitblick hinaus aufs Meer

Lesezeit: 3 min

Mal schauen, was die Konkurrenz so macht: Die Münchnerin Alexandra Wenk ist eine von sieben deutschen Schwimmern, die in Australien lernen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Sieben deutsche Athleten und eine Trainerin hospitieren derzeit in Australien. Sie staunen vor allem darüber, wie viele Betreuer sich dort um die Sportler kümmern.

Von Saskia Aleythe

Im Dezember im Freien zu trainieren, ist Damian Wierling bislang nicht in den Kopf gekommen. Normalerweise quält er sich um diese Zeit in Essen im Dunkeln aus dem Bett, um in der Kälte zum Training zu fahren, doch jetzt hat er morgens Meerblick. Wierling genießt ihn aus seinem Appartement an der Gold Coast Australiens. 20 Grad mehr als in Deutschland sind doch ein Unterschied, was die Lust zur Qual angeht: "Wenn man um 4.30 Uhr aufsteht und schon die Sonne am Himmel steht, macht das erst mal gute Laune."

Drei Wochen Australien - Wierling hat es gut getroffen in diesen Tagen, mit sechs anderen deutschen Schwimmern absolviert er ein Trainingslager in der Sonne, bei und mit australischen Athleten. Die haben bei der vergangenen WM acht Medaillen gewonnen und auch Olympiasieger unter sich, was im deutschen Lager mitunter die Frage aufwirft: Wie machen die das? Die ersten Erkenntnisse gehen über klimatische Vorteile hinaus. Australien ist nicht nur für Meerblick gut, sondern auch für einen gewissen Weitblick.

Im Schwimmen wird nicht allzu geheimniskrämerisch mit Trainingskonzepten umgegangen, weshalb der australische Chefcoach Jacco Verhaeren nichts dagegen hatte, ein paar Deutsche aufzunehmen. Die Idee dazu hatte Wierling, der sich bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio mit dem Freistil-Sprinter Cameron McEvoy anfreundete. McEvoy gewann damals zwei Bronzemedaillen mit der Lagen- und Freistilstaffel, dazu hat er vier WM-Medaillen zu Hause hängen. Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) griff die Idee gerne auf, um daraus ein Angebot für alle zu machen, die ohnehin Anfang November zum Weltcup nach Singapur fuhren. Übrig geblieben sind sieben Athleten, die je nach ihren bevorzugten Strecken in Brisbane (Lisa Höpnik und Lisa Graf), Melbourne (Poul Zellmann), Sydney (Max Pilger und Ramon Klenz) oder an der Gold Coast (Wierling und Alexandra Wenk) in den australischen Schwimmeralltag eingeführt werden.

In Melbourne arbeiten die Schwimmer mit der Universität zusammen - ein Idealfall

"In der Trainingsgruppe zu Hause bin ich der Schnellste, dafür muss ich oft gar nicht viel tun", sagt Wierling: "Hier ist das sehr hart für mich. Weil ich eben auch sehr kaputt bin." Die Trainingskilometer liegen leicht über dem Pensum in Deutschland; was sich mehr auswirkt, ist die gesteigerte Intensität. "Wenn man ab und zu denkt: ,Ich mache doch schon viel', dann sehe ich hier, dass es nicht genug ist, dass es überall auf der Welt Leute gibt, die härter trainieren und mehr machen", sagt Wierling. Er steht mit 21 Jahren am Anfang seiner Karriere, er hält den deutschen Rekord über 50 Meter Freistil. In Australien merkt er, dass selbst im Training der Leistungsunterschied eklatant ist. "Das ist noch mal eine gute Motivation", sagt Wierling.

Unterschiede in der Trainingsgestaltung hat auch Nicole Endruschat bemerkt, die als einzige Trainerin den Trip nach Australien angetreten hat. In der ersten Woche war sie in Melbourne, wo Freistilschwimmer Poul Zellmann mit zwei Olympiasiegern in den Pool springt: Mack Horton (400 Meter) und dem Italiener Gregorio Paltrinieri (1500 Meter). "Da sieht man, dass sie das nicht durch Glück geworden sind", sagt Endruschat.

Bemerkenswert war für sie aber ein anderer Umstand: "Sie haben in Melbourne sehr viel Betreuungspersonal, da springen außer dem Trainer noch bis zu sechs Leute am Beckenrand herum." Physiotherapeuten, Biomechaniker, Trainingswissenschaftler, Werkstudenten, die jede einzelne Wende stoppen. Die Schwimmer in Melbourne arbeiten mit der Victoria Universität zusammen, auch für australische Verhältnisse ein Idealfall. "Man hat die Möglichkeit, alles zu dokumentieren. Das würde man in Deutschland nicht schaffen", sagt Endruschat. Weil dort ein Trainer für eine ganze Gruppe verantwortlich ist.

Mehreren Trainern an diversen deutschen Stützpunkten wurde angeboten, mit nach Australien zu fliegen, finanziert wird das Projekt vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Doch nur Endruschat ist übrig geblieben, auch weil sie in Wierling, Zellmann, Höpnik und Pilger vier der sieben mitgereisten Athleten in Essen trainiert. "Natürlich wird es schwierig, wenn man eine große Trainingsgruppe hat. Da hat man immer das Gefühl, einen Teil der Gruppe im Stich zu lassen", sagt sie. Training mit Daheimgebliebenen und in Australien ist eben nicht möglich, wenn man der einzige Übungsleiter ist.

"In Deutschland leben viele Trainer am Existenzminimum. Die wenigen, die besser verdienen, müssen große Trainingsgruppen betreuen. Das ist ein Problem", sagt Olaf Bünde, der Alexandra Wenk in München betreut. Für ihn kam die Reise aufgrund persönlicher Terminschwierigkeiten nicht in Frage. Unterstützenswert findet Bünde die Sache aber definitiv: "Man muss auch mal über den Tellerrand schauen. Die anderen Nationen machen das vermutlich ein bisschen besser als wir." Er erhofft sich einen Erkenntnisaustausch mit Endruschat in größerer Runde, um Folgerungen zu ziehen. "Auch über die finanziellen Sachen muss man reden: Wie wird das in Australien gemacht? Vielleicht kann man sich etwas abschauen", sagt er.

Damian Wierling reist mit den anderen Mitte Dezember wieder nach Deutschland, er ist der einzige aus der Gruppe, der dann bei der Kurzbahn-EM in Kopenhagen startet. "Wer das hier mitmacht, nimmt in Kauf, dass es bei der EM nicht so gut läuft", sagt Endruschat: "Ich nehme an, dass er dann kaputt sein wird. Doch man muss auch mal was verändern, wenn man vorankommen will." Zumal eine Kurzbahn-EM eher ein kleines sportliche Highlight ist. Dann lieber Sonne tanken, die Wärme hat ja tatsächlich auch auf die Leistung positive Effekte. "Man verkraftet alles besser", sagt Endruschat, "der Körper ist weniger gestresst."

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: