Schwimmen:Terence Hill will's wissen

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Zwei Titel und eine forsche Art: Florian Vogel glänzt bei den deutschen Meisterschaften und prägt den Neuanfang im deutschen Schwimmen.

Von Claudio Catuogno, Berlin

Ein junger Schwimmer aus Oberfranken ist in Berlin gerade zweifacher deutscher Meister geworden. Und was passiert jetzt? Steigt der Schwimmer jetzt aus dem Becken, guckt, wo die nächste Kamera läuft, und sagt: Ich danke der Firma XY, meinem Hersteller für Nahrungsergänzungsmittel; wenn ihr genauso performen wollt wie ich, Leute: XY kann ich da voll empfehlen? Und grinst er dabei wie ein Lausebengel? Nein, das tut er jetzt eher nicht.

Aber Florian Vogel, 20, von der SG Stadtwerke München hat es genau so gemacht am Samstag, als er nach den 400 Metern die 800 Meter Freistil gewonnen hatte bei den deutschen Meisterschaften in Berlin. Das hat schöne Lacher gegeben am Beckenrand. Wie tags zuvor, als Vogel die Behauptung, seine gute 400-Meter-Zeit (3:46,53) mache ihn "sprachlos", gleich selbst widerlegte und einen frechen Gruß an Paul Biedermann schickte, den Weltrekordhalter: "Ich hoffe, Paul hat das gesehen."

Seit einigen Monaten trainieren sie hin und wieder zusammen, Biedermann aus Halle (Saale), der Doppel-Weltmeister von 2009, und Vogel, der Newcomer aus Bayreuth, der in München lebt. Auch ein paar weitere Aspiranten für die 4x200-Meter-Freistil-Staffel sind noch dabei - es geht darum, Abläufe zu optimieren, aber auch, sich gegenseitig anzutreiben. Frank Embacher, der Trainer des Staffel-Projekts, hat dem Duo Biedermann/Vogel schon einen Spitznamen gegeben: Bud Spencer und Terence Hill. Vogel ist dabei letzterer, und die Analogie ist nicht von der Hand zu weisen. Mag er vor dem Start auch noch so schlottern vor Anspannung - wenn er gewonnen hat, jubelt er, indem er Daumen und Zeigefinger zum Colt formt. Der Haudrauf Florian Vogel ist zwar nicht das einzige, aber in jedem Fall das markanteste Gesicht des Neuanfangs gewesen in Berlin.

Die Essenerin Härle, eigentlich im Freiwasser zu Hause, jubelte: "Ich freu mich wie Keks."

16 Monate sind es noch bis zu den Olympischen Spielen in Rio, vier bis zu den Schwimm-Weltmeisterschaften in Kasan. Und schon dort, beim vorolympischen Kräftemessen in der russischen Republik Tartastan, "bekommen wir den Spiegel vorgehalten", ahnt Lutz Buschkow, Sportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) - "in Kasan werden wir sehen, wo wir international stehen". Schwer zu prognostizieren ist das nicht: Aller Voraussicht nach steht das deutsche Beckenschwimmen in Kasan etwa da, wo es auch bei den Spielen 2012 in London (null Medaillen) und der WM 2013 in Barcelona (eine Medaille) stand. Mitten in der schwersten Ergebniskrise seiner Geschichte, jedenfalls, wenn man Gold, Silber und Bronze als Maßstab anlegt. Den nächsten Null- Medaillen-Wettkampf des DSV kann wohl noch am ehesten einer der Etablierten verhindern: vielleicht Steffen Deibler oder Marco Koch, vielleicht Dorothea Brandt. Oder eben doch wieder Paul Biedermann.

Florian Vogel von der LG Stadtwerke München ist deutscher Meister - und hat eine Frau vor dem Ertrinken gerettet. (Foto: Oliver Mehlis/dpa)

Dass sich aber auch abseits der Weltspitze etwas tut, seit Henning Lambertz, 44, Anfang 2013 zum Cheftrainer befördert wurde, dafür stehen jetzt zum Beispiel Namen wie Florian Vogel, Jacob Heidtmann, 20, Johanna Roas, 21, oder Laura Simon, 20. Sie alle haben in Berlin die WM-Normen unterboten, wenn sie ihre Form jetzt noch bei einem weiteren Wettkampf beweisen, werden sie in Kasan mit dabei sein. Heidtmann belegt über 400 Meter Lagen derzeit Rang drei der Weltjahresbestenliste, Vogel die Ränge sechs (400 Meter) und fünf (800 Meter), was zwar noch nicht sehr aussagekräftig ist, weil in vielen Nationen die WM-Qualifikationen noch ausstehen. Aber es klingt erst mal nicht schlecht.

Der erst 15-jährige Johannes Hintze vom Potsdamer SV wiederum hat inzwischen fast 50 Altersklasse-Rekorde gebrochen und ist heute auf manchen Strecken schon schneller als Michael Phelps in diesem Alter. Den Vergleich mit dem erfolgreichsten Medaillensammler des Universums wiegeln sie beim Deutschen Schwimm-Verband (DSV) allerdings ab: "Johannes ist körperlich schon sehr weit, man kann nicht voraussehen, wie er mit 18 schwimmt", sagt Lambertz. Für die Junioren-EM ist Hintze noch zu jung. Für die Erwachsenen-WM wird er wahrscheinlich nominiert, für die 400 Meter Lagen.

Wenn man in die Details geht, fällt noch ein weiterer Trend auf: Die trainingsintensiven Lang- und Mittelstrecken sind inzwischen nicht mehr die große Schwäche der Deutschen. In Isabelle Härle, Sarah Köhler und Leonie Antonia Beck schwammen in Berlin gleich drei Frauen auf die Plätze zwei bis vier der Weltjahresbestenliste über 1500 Meter Freistil; Franziska Hentke wiederum schlug über 200 Meter Schmetterling nach 2:07,05 Minuten an, nur vier Konkurrentinnen waren weltweit 2015 bislang schneller. Die Essenerin Härle, eigentlich eher im Freiwasser zu Hause, verbesserte ihre Bestzeit dabei um elf Sekunden, danach jubelte sie: "Ich freu mich wie Keks." Allerdings weiß auch Härle ihre 16:06,82 Minuten einzuschätzen: Katie Ledecky aus den USA war bei ihrem Weltrekord fast 39 Sekunden schneller, "die geht schon duschen, wenn ich ankomme".

Nur vier Gegnerinnen waren weltweit 2015 bislang schneller: Franziska Hentke aus Magdeburg gewinnt über 200 m Schmetterling in 2:07,05 Minuten. (Foto: Oliver Mehlis/dpa)

Trotzdem: Wächst langsam wieder was, wo zuletzt Dürre war? Das würde man gerne glauben. Allerdings gibt es auch einen Gegentrend: Schwimmer wie Christian Diener, Jan-Philip Glania und Philip Heintz, die bei der EM vor einem Jahr in Berlin als Medaillengewinner Hoffnung machten, sind schon wieder etwas aus dem Fokus gerückt, aus unterschiedlichen Gründen - Studium, Krankheit, fehlende Trainingsumfänge. "Sehr ärgerlich" findet das der Cheftrainer Lambertz, dem es natürlich nicht gefallen kann, wenn seine Pflänzchen immer nur ein Jahr blühen.

Im Fall von Vogel ist das nicht zu befürchten, am Sonntag empfahl er sich noch für die 4x200-Meter-Freistil-Staffel (1:48,56), die in Kasan Medaillenchancen hat. In einem Rennen, das ihm aber vor Augen führte, wie viel noch zu tun bleibt. Paul Biedermann schlug nach 1:45,60 Sekunden an - Weltjahresbestzeit. "Ein schönes Rennen", sagte Biedermann, "hat Spaß gemacht." Tja, sagte Vogel. "Das ist halt Bud Spencer."

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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