Schwimmen:Genug gequält

Lesezeit: 2 min

In seinem Element: Thomas Lurz bei der Schwimm-WM 2009 in Ostia bei Rom. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Nur Olympia-Gold fehlt in seiner Sammlung: Der Freiwasser-Spezialist Thomas Lurz, 35, beendet seine Karriere. Er verzichtet auf die WM im August in Kasan.

Von Claudio Catuogno

Thomas Lurz schwimmt nicht mehr. Der Gewinner von 33 internationalen Medaillen, der zwölfmalige Weltmeister im Freiwasser, der Olympia-Zweite von London 2012 über 10 Kilometer beendet seine Karriere - sofort. Er verzichtet auf die WM im August in Kasan und auf Olympia im kommenden Sommer in Rio. Für die Medaillenzähler in den Ministerien und Verbänden ist das keine gute Nachricht, dem deutschen Schwimmen geht sein einziger Rekordweltmeister verloren.

Wobei der Würzburger Lurz, 35, trotz seines Rücktritts natürlich erst mal weiterschwimmen muss. Sein Langstrecken-Herz, seine Langstrecken-Lunge, er muss seinen Körper jetzt planvoll abtrainieren, und er wird das mit derselben Konsequenz tun, mit der er seine ganze Karriere als Berufsschwimmer bestritt. Eine Karriere mit dem Kopf unter Wasser: 15 bis 20 Kilometer am Tag, 3500 Kilometer im Jahr, kein anderer deutscher Schwimmer trainierte größere Umfänge, längst hat er einmal kraulend den Erdball umrundet, alle Einheiten zusammengerechnet. "Ich hab' nicht an Weihnachten frei, ich hab' nicht am Geburtstag frei, es gibt nur das ganze Jahr Training, und anders geht's auch nicht" - das ist so ein typischer Thomas-Lurz-Satz gewesen, gesagt 2013 bei der WM in Barcelona, wo er erstmals auch Gold über die 25 Kilometer gewann, die längste aller Strecken. Mit offenen Wunden unter den Armen, im Salzwasser. Ein weiterer Satz, der ihn gut beschrieb: "Nicht das Schwimmen macht Spaß, sondern das Gewinnen."

Gewonnen hat er quasi alles in diesem Sport, der in Seen, Kanälen, Hafenbecken oder im offenen Meer betrieben wird. Er ist Krokodilen, Quallen, Haien, Euro-Paletten, Plastiktüten und sogar mal einer im Wasser treibenden toten Kuh ausgewichen, es hat nicht immer Spaß gemacht, aber hatte er eine Wahl? "Wenn ich das beruflich mache", sagte Lurz im vergangenen Sommer im SZ-Interview, "dann stellt sich nicht immer die Frage nach Lust und Laune." Lurz war ein Ausnahmeathlet, vermutlich auch deshalb, weil er nie ein Ausnahmetalent war. Bloß, so sagte er das gerne, "ein mittelmäßig talentierter Schwimmer" mit Schuhgröße 42, dem für eine Karriere im Becken die körperlichen Voraussetzungen fehlten. Aber im Freiwasser, da hatte er jenes spezifische Talent, dass ihn über alle anderen hob: das Talent, sich zu quälen.

Nur einen Titel hat er nicht gewonnen: Olympia-Gold. Und das erklärt auch, warum er sich jetzt verabschiedet. Seit London 2012 war im Grunde nur noch diese eine Frage relevant: "Kann ich in Rio Gold gewinnen?" Sein Körper gibt ihm die Antwort tagtäglich im Training: "Es ist einfach nicht mehr realistisch, mit dann fast 37." Lurz hat viele Kollegen zu spät aus dem Wasser steigen sehen, er hat sich oft gefragt: "Können die sonst nichts?" Die Frage stellt sich in seinem Fall nicht, er ist seit einigen Jahren beim Würzburger Bekleidungsunternehmen s.Oliver für Personalentwicklung zuständig, ab sofort übernimmt er die Personalverantwortung für alle Mitarbeiter im Ausland. Er hält regelmäßig Motivationsvorträge, und vielleicht sieht man ihn ja mal in einem Amt im Schwimm-Verband wieder. Aber wenn er sich das antut - dann sicher nicht zum Spaß.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: