Rudern:Favoriten in Kühlwesten

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Der Deutschland-Achter ist in diesem Jahr bei fünf Regatten noch unbesiegt und hat eine neue Weltbestzeit aufgestellt - bei der Ruder-WM in Florida will das Team nun nach fünf Jahren auch wieder einen Titel gewinnen.

Von Joachim Mölter, Sarasota/München

Im US-Bundesstaat Florida ist es um diese Jahreszeit immer noch warm, um nicht zu sagen: heiß. 30 Grad und mehr werden aktuell gemessen, und wenn dann auch die Luftfeuchtigkeit hoch ist und kein Wind diese Luft wenigstens etwas aufwirbelt, dann treibt es einem schon den Schweiß aus den Poren, wenn man bloß vor die Tür geht. Und erst recht natürlich, wenn man sich im Freien sportlich betätigt, so wie die Ruderer, die gerade ihre Weltmeisterschaften in Sarasota ausfahren, am Golf von Mexiko. "Die hohen Temperaturen sind schon sehr belastend", sagte Hannes Ocik, der Schlagmann des deutschen Achters, nach dem Vorlauf am Dienstag. "Das war brutal. Heute war der gefühlt heißeste Tag", stimmte sein Mitfahrer Torben Johannesen zu: "Kurz nach dem Start ging gar kein Lüftchen, und ich dachte: Wo ist der Sauerstoff?"

Trotz der ungewohnten Bedingungen gewann das Paradeboot des Deutschen Ruder-Verbandes (DRV) seinen Vorlauf sicher, eine Bootslänge vor der Crew des WM-Gastgebers USA. Damit qualifizierte sich der Deutschland-Achter direkt für das Finale am Sonntag (17.12 Uhr/ZDF). "Das war kein optimales Rennen", fand Ocik, "aber wir haben uns den Hoffnungslauf erspart." In dem treten am Donnerstag hingegen die Mitfavoriten Großbritannien und Niederlande an, die sich im Vorlauf überraschend Italien geschlagen geben mussten.

Geschlagen, zum vierten Mal: Der Deutschland-Achter (unten) verlor auch in Rio den Jahreshöhepunkt, abermals gegen Großbritannien (oben). (Foto: Jeremy Lee-Pool/Getty Images)

Die zusätzliche Strapaze könnte sich noch als Vorteil für die Deutschen erweisen. "Das zehrt an den Kräften", sagt der DRV-Sportdirektor Mario Woldt über die schweißtreibenden Verhältnisse an der Regattastrecke im Nathan Benderson Park, an der Westküste von Florida, zwischen den Everglades und der Bucht von Tampa: "Wichtig ist, dass die Sportler viel trinken." Die Achter-Besatzung fing damit schon an, als sie gerade aus dem Boot geklettert war. Noch am Anlegesteg zogen die Athleten zudem Kühlwesten über und stiegen gleich anschließend ins Eisbecken, um die erhitzten Körper schnell wieder auf Normaltemperatur herunterzukühlen. "Wir haben jetzt vier Tage Zeit, um uns aufs Finale vorzubereiten", sagte Steuermann Martin Sauer: "Die werden wir auch brauchen." Bundestrainer Uwe Bender sprach ebenfalls davon, den Endlauf "jetzt sehr genau und sehr gut vorbereiten" zu müssen.

Olympiasieger Eric Johannesen hat seinen Platz frei gemacht - für Bruder Torben.

Im DRV wollen sie nichts dem Zufall überlassen, wenn es um den Deutschland-Achter geht, die einzige realistische Titelhoffnung bei dieser WM. "Es ist ein schwieriges Jahr", gibt DRV-Cheftrainer Marcus Schwarzrock zu, der in der nacholympischen Saison einen Umbruch moderieren muss: "Wir haben viele junge Teams am Start." Beim Weltcup-Finale in Luzern schafften es in den 14 olympischen Klassen nur drei deutsche Boote ins Finale. Selbst die Doppelvierer der Männer und Frauen, die 2016 in Rio Gold geholt hatten, sind vom Erfolgskurs abgekommen.

Im Achter hat der Umbruch bislang vorbildlich geklappt. Das Team ist zwar nach Olympia verjüngt worden, aber nicht radikal. Vier Silbermedaillengewinner von Rio 2016 sind weiterhin dabei - Steuermann Sauer, 34, Schlagmann Ocik, 26, Richard Schmidt, 30 sowie Malte Jakschik, 24. Und Maximilian Planer, 26, und Felix Wimberger, 27, saßen früher schon mit im Boot. Neu sind bloß Jakob Schneider, Johannes Weißenfeld, beide 23, sowie Torben Johannesen, 22. Insgesamt ergibt das eine gesunde Mischung von Routiniers und Talenten.

Zudem sorgt der Trainer Bender für frische Impulse von außen. Der 58-Jährige hat die Verantwortung für den Achter zu Jahresbeginn vom langjährigen Erfolgscoach Ralf Holtmeyer, 61, übernommen, der sich in diesem Jahr um den Nachwuchs für das DRV-Flagschiff kümmert. Nächstes Jahr soll Bender das Team dann wieder an Holtmeyer übergeben; für Cheftrainer Schwarzrock ist dieser Plan eine "Win-win-Situation: Es war wichtig, dass Holtmeyer mal von der Mannschaft wegkommt und die Jungen begutachtet."

Die neue Crew ist in diesem Sommer noch unbesiegt, bei fünf Regatten hat sie fünfmal gewonnen. Beim Weltcup in Posen gelang dem Achter sogar vollkommen unerwartet eine Weltbestzeit: In 5:18,68 Minuten unterboten Ocik und Co. die Marke, die Kanada 2012 auf dem Luzerner Rotsee aufgestellt hatte, um beachtliche 67 Hundertstelsekunden. Damit hatte sich das DRV-Paradeboot endgültig die Favoritenbürde für die WM in Florida aufgehalst, eine Last, welche die Männer gerne tragen: "Seit 2011 haben wir kein WM-Gold mehr geholt. Jetzt wollen wir wieder ganz nach oben", sagt Trainer Bender.

Nach dem Olympiasieg 2012 musste sich der Deutschland-Achter bei den Weltmeisterschaften 2013, 2014 und 2015 sowie auch bei Olympia 2016 jeweils dem britischen Boot geschlagen geben. Diese Serie soll nun enden in Sarasota. "Wir haben in diesem Jahr alles gewonnen, sind Weltbestzeit gefahren. Da schrauben sich die Ziele hoch", sagt Torben Johannesen, der den Platz seines sieben Jahre älteren Bruders Eric eingenommen hat, der unter Holtmeyer Weltmeister und Olympiasieger wurde. Der kleine Johannesen will an die Familientradition anknüpfen: "Unser Ziel ist es auf jeden Fall, mit einer Goldmedaille nach Hause zu fahren." Egal, wie heiß es ihm und seinen Kollegen dabei auch wird.

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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