Rodeln:Der Instinkt ist weg

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Nach etlichen Jahren, in denen Felix Loch große Titel bei Weltmeisterschaften und Olympia sammelte, erlebt der Rodler seine erste Formdelle.

Von Volker Kreisl, München

Irgendwann hatte sich das Auge an die Wiederholung gewöhnt, und seitdem gehört dieses Bild zum Rodelsport wie das Kunsteis in der Rinne. Felix Loch reißt mit der einen Hand an den Hörnern seines Schlittens, ballt die andere zur Faust in die Luft, bleckt unter seinem rötlichen Visier die Zähne, und bremst jubelnd an den Zuschauern vorbei. Er war immer der Letzte auf der Startliste, der Führende nach den ersten Läufen, und an den wichtigen Tagen, da gewinnt er halt doch, das wurde am Ende im Zielraum immer klar. Bis zu dieser Saison.

Neuerdings verpasst der Olympiasieger die winzigen Lenkpunkte auf den Strecken

Loch, 27, aus Schönau am Königssee, stellt wie derzeit kein anderer Sportler das dar, was man als oberbayerisches Mannsbild bezeichnet. Er ist in Familie, Verein und Dorf verwurzelt, er schöpft Selbstsicherheit und gute Laune aus Talent und Erfolg, er liebt die Berge und den Schweinebraten, und er hat auch eine gewisse körperliche Wucht. Loch ist 1,91 Meter groß und 95 Kilogramm schwer, und damit hatte er, wenn's drauf ankam, immer gewonnen. 2018 könnte er in Pyeongchang in Südkorea wie einst Georg Hackl zum dritten Mal nacheinander Rodel-Olympiasieger werden, ja, im Grunde bestand darüber nie ein Zweifel. Aber zurzeit schafft er es nicht mal mehr aufs Weltcup-Treppchen.

Denn Loch ist nicht nur ein Mannsbild, sondern natürlich auch ein Mensch. Und bei Dauersiegern ist das Rätseln nach den Gründen des plötzlichen Menschlich-Seins eben besonders groß: "Es kann an vielen Dingen liegen", sagt Bundestrainer Norbert Loch, der auch Felix' Vater ist, "am Kopf, an der Form, an den Bahnverhältnissen, am Sportgerät", man müsse das weiter analysieren. Der Athlet selber wehrt alle Erklärungen auf äußere Einflüsse ab, er ist im Gesamtweltcup nur Vierter. Einmal hatte er im Sprint gewonnen, in allen anderen Rennen kam er nicht über Platz vier hinaus. Er sagt nur: "Ich fahre zurzeit einfach schlecht."

Schlecht fahren, das heißt im Rodeln aber nicht wie beim schlechten Autofahren einfach nur schlampig lenken, falsch gucken und unnötig bremsen, sondern es hat tiefere Gründe. Die winzigen Lenkpunkte auf den Kunsteisbahnen des Weltcups befinden sich wegen des leicht unterschiedlichen Eis-Ausbaus von Jahr zu Jahr an anderen Stellen. Immer wieder müssen sich die Athleten also neue zentimeterkleine Punkte einprägen, auf denen sie in einem Tempo zwischen 80 und 140 Stundenkilometern in Sekundenbruchteilen mit dem Innenfuß zucken müssen, um den Schlitten auf der Ideallinie zu halten. Es geht also nicht nur um Fitness und Wachsamkeit, sondern auch ums Gefühl, und das ist Loch gerade abhanden gekommen.

Mit diesem Fahrgefühl, diesem Instinkt, aber auch mit seiner überlegenen Anschubkraft am Start hatte er sich 2008 überraschend vor die etablierten Rodler gesetzt. In Oberhof wurde der damals 18-Jährige jüngster Weltmeister, wobei er aber auch ein bisschen von der Heimbahn profitierte - anders als ein Jahr später in Lake Placid. Diese Bahn im Osten der USA ist sehr anspruchsvoll, aber mit 19 gewann Loch dennoch, vor dem zweimaligen Olympiasieger Armin Zöggeler aus Italien. Und so ging es weiter, zweimal wurde er Olympiasieger, fünfmal Weltmeister, zweimal WM-Zweiter, und in den vergangenen fünf Wintern gewann Loch stets den Gesamtweltcup.

In einer Woche (26. bis 29. Januar) findet die nächste WM in Innsbruck-Igls statt, eine Bahn, die Loch ebenfalls sehr gut kennt. Aber wenn ihm keine Trend-Umkehr gelingt, dann verpasst er erstmals in seiner Karriere als Erwachsener ein Groß-Event-Stockerl. Zurzeit macht er nicht mehr diesen leichten und unbeschwerten Eindruck, im Zielraum wirkt er manchmal nachdenklich. Womöglich befindet er sich dabei auf Fehlersuche und in jener Gedankenschleife, die gerade den Instinkt blockiert. Zwar weist Loch die These zurück, dass ihn sein neues Leben als junger Vater beeinflusse, und doch wäre es nur normal, wenn einem Weltklasse-Sportler in der Konzentration mal Gedanken ans Bauchweh des Säuglings in die Quere kommen.

Alle Spitzenrodler, Zöggeler, Georg Hackl, Albert Demtschenko, hatten irgendwann mal einen ernte-armen Winter: "Es ist erstaunlich, dass er so eine Saison nicht schon in einem anderen Jahr mitgemacht hat", sagt Norbert Loch. Allerdings waren diese anderen Rodler auch nicht so früh und so verlässlich bei den Erwachsenen als Dauersieger eingestiegen. Wenn man sie zuvor nie erlebt hatte, dann sind Niederlagenserien weniger leicht zu meistern. Sogar beim Weltcup am Königssee, auf seiner Heimbahn, die keiner so gut kennt wie Felix Loch, hatte er in den Schlüsselpassagen gepatzt und wurde nur Vierter. Norbert Loch sagt zwar, in Sigulda sei ein klarer Aufwärtstrend zu erkennen gewesen, aber den muss Felix Loch nun stabilisieren, und die Zeit wird knapp.

Er wird sich diese und nächste Woche intensiv auf die WM vorbereiten. Felix Loch wird weiter arbeiten, um sein Fahrgefühl zurück zu bekommen. Immer wieder wird er, erst am Königssee und dann im WM-Training in Igls, Lenkpunkte verinnerlichen und den Rhythmus der Bahn vorempfinden. Er wird sich spezielle Bahnneigungen einprägen und die Form der Kurven-Labyrinthe abspeichern. Und dann wird er wie früher versuchen, den Schlitten laufen zu lassen.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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