Reiten:Volles Tempo über die Klippen

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Eine Buschreiterin wird Dritte beim deutschen Spring-Derby: Sandra Auffarth zeigt bei den Spezialisten ihr Können.

Von Gabriele Pochhammer, Hamburg

Paul Schockemöhle hatte es schon geahnt. Der Turnierleiter des Hamburger Springderbys galoppierte quasi neben Sandra Auffarth in den Parcours, um ihr noch einen Tipp mit auf die Reise zu geben. "Hol ihn vor dem Doppelsteil noch mal auf die Füße!," rief er ihr im schönsten Springreiterjargon zu. Übersetzt: Nimm das Tempo vor den beiden Steilsprüngen noch mal zurück! Genau das war die Klippe in diesem Stechen um das Blaue Band.

Hätte Sandra Auffarth, 31, den Rat von Schockemöhle befolgen können, wäre die Weltmeisterin im Vielseitigkeitsreiten jetzt vielleicht sogar Derbysiegerin. Aber ihre neunjährige Stute La Vista war zu sehr in Fahrt, sie ließ sich nichts mehr sagen und bretterte in vollem Tempo über die Eisenbahnschranken, jede mehr als 1,50 Meter hoch. Diese haben jeweils nur eine Stange in der Luft - ein solches Hindernis ist für die Pferde schwer zu taxieren und muss sehr konzentriert angeritten werden. Im Umlauf war das Auffarth geglückt, aber im Stechen flogen beide Stangen aus den Halterungen, da nützte auch die schnellste Zeit, 46,41 Sekunden, nichts. Aus dem möglichen Sieg wurde Platz drei hinter dem Briten Matthew Simpson (0 Fehler, 50,53 Sekunden) auf Gloria und Gilbert Tillmann auf Claus-Dieter (4 Fehler, 53,62 Sekunden). Nur diese drei Reiter hatten den klassischen Derbykurs ohne Abwurf beendet.

Eine Sensation war es trotzdem, dass eine "Buschreiterin", wie die Vielseitigkeitsreiter bisweilen genannt werden, den Springspezialisten so souverän zeigte, wie es geht. Der Stilpreis für die dreimalige Olympiamedaillengewinnerin war mehr als ein Trost. Ihre Routine kam ihr in Hamburg entgegen. Die Fuchsstute zögert leicht an den beiden grasbewachsenen Wällen zu Begin des Kurses. "Solche Hindernisse bin ich ja aus dem Gelände gewohnt", sagte Auffahrt, "so was kann ich aussitzen." Die meisten anderen Klippen kannte La Vista schon in den beiden Qualifikationen, wenn auch in entschärfter Form.

Erst im Derby wird am Fuße des Großen Walls die 1,60 Meter hohe weiße Planke aufgebaut, an der auch diesmal die meisten Reiter scheiterten. Sandra Auffarth aber steuerte ihre Stute Schritt für Schritt den Wall herunter und fand auf diese Weise den idealen Absprung - alle Bretter blieben liegen. Mit dem 157. Null-Fehler-Ritt in der Geschichte des Springderbys verließ das Paar die Arena. "Es hat mir einfach viel Spaß gemacht," sagte sie: "Beim Vielseitigkeitsspringen komme ich nicht ganz an meine Grenzen, ich habe einfach eine neue Herausforderung gesucht." Der Springparcours der Buschreiter ist nach Dressur und Gelände die letzte Teilprüfung und nicht so schwer wie im Spitzenspringsport. Der Derbyparcours erfordert zudem eine besondere Vorbereitung.

Auch Auffarth hatte für La Vista auf der eigenen Reitanlage in der Nähe von Ganderkesee die wichtigsten Hindernisse nachgebaut. Statt zu einem Reiterkollegen zu fahren und auf dessen Platz zu üben, veranstaltete sie bei sich zu Hause eine Derbyvorprüfung. Jetzt steht ihr die Riders Tour, für die das Derby die zweite Wertung war, offen. Ob sie das Schockemöhles Angebot annimmt, auch bei den anderen Riders Tour-Turnieren zu starten wollte sie sich noch mal in Ruhe überlegen. Denn noch ist Sandra Auffarth für die Buschreiterei nicht verloren. Das große Saisonziel sind die Weltreiterspiele im September in Tryon in den USA, wo sie mit ihrem zweifachen Olympiapferd, dem 16-jährigen Opgun Luovo, ihren WM-Titel von 2014 verteidigen will.

Der Sport ist nur eine Seite der Pferdewirtin Auffarth, die ihre Prüfung in Warendorf als Jahrgangsbeste abschloss und bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) anschließend eine kaufmännische Ausbildung absolvierte. 2014 übernahm sie den Familienhof im oldenburgischen Bergedorf, wird unterstützt von ihren Eltern, die den ursprünglichen Milchbauernbetrieb in den letzten Jahrzehnten allmählich zur Pferdeoase umgebaut haben, mit Zucht, Reitschulbetrieb und Turnierstall. La Vista wurde wie so viele andere Pferde von Familie Auffarth selbst gezüchtet. Sie ist Betriebsleiterin, Trainerin und Top-Athletin in einem, manchmal auch Stallmeisterin. "Wenn sie doch bloß damit aufhören würde, morgens um fünf auch noch Pferdeboxen auszumisten", stöhnte einst Olympiatrainer Chris Bartle. Ein Mädchen vom Land, durch und durch geerdet. Wenn Sandra Auffarth zum Höhenflug abhebt, dann nur, weil sie gerade ein Hindernis vor der Nase hat.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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