Radsport:Wieder mit Blutgeschmack

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Der im Winter schwer verunglückte John Degenkolb feiert beim Rennen rund um Frankfurt sein Comeback. Er gewinnt die Sprintwertung, muss den Gesamtsieg aber dem Norweger Kristoff überlassen.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

50 Kilometer vor dem Ziel hat sich John Degenkolb erwartungsgemäß aus dem Rennen ausgeklinkt. Da ging es gerade das dritte Mal jenen bis zu 23 Prozent steilen Taunus-Stich namens Mammolshainer Berg hinauf, an dem die Zuschauer so dicht standen, dass der Mann aus dem Giant-Alpecin-Team ein Gefühl "wie bei den Frühjahrsklassikern" empfand - und es für diese Einschätzung allenfalls eine kleine Prise lokalpatriotische Übertreibung des Wahl-Frankfurters bedurfte. Oben auf der Kuppe winkte Degenkolb den Fans noch einmal zu, er verbeugte sich, und dann ließ er es locker hinabrollen nach Frankfurt, wo im Zielsprint wie schon bei der bisher letzten Auflage des Rennens 2014 der favorisierte Norweger Alexander Kristoff (Katjuscha) gewann. Als bester deutscher Fahrer landete Fabian Wegmann (Stölting) auf dem zehnten Platz.

Nach dem schweren Unfall drohte sogar eine Finger-Amputation

Es war schon vor dem Start in Eschborn klar gewesen, dass John Degenkolb mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun haben würde. Denn mit dieser Teilnahme bei der 55. Auflage des Frankfurter Rad-Klassikers, im Vorjahr wegen einer Terrordrohung ausgefallen, gab er gut drei Monate nach seinem schweren Trainingsunfall in Spanien Ende Januar sein Comeback. Damals war eine britische Autofahrerin in die sechsköpfige Rad-Gruppe von Degenkolbs Giant-Mannschaft hineingerast. Der 27-jährige Vorjahressieger der beiden Radsport-Monumente Mailand - San Remo und Paris - Roubaix lag lange im Krankenhaus, in Valencia und Hamburg musste er sich insgesamt fünf Operationen unterziehen. Zwischendurch drohte ihm sogar die Amputation eines Fingergliedes. Erst seit wenigen Wochen befindet er sich wieder in einem regelmäßigen Trainingsaufbau. Noch immer fehlt ihm in der verletzten linken Hand die letzte Kraft, er hat sein System umstellen müssen, das Bremsen und Schalten übernimmt nun nicht mehr der Zeige-, sondern der Mittelfinger.

"Das war glaube ich nicht das einfachste Rennen, das ich mir für meine Rückkehr ausgesucht habe, irgendwann waren die Lichter aus, das muss man sich eingestehen", sagte Degenkolb. Schon bei der ersten Auffahrt auf den Mammolshainer Berg habe er sich müde gefühlt, bei der dritten dann Krämpfe gehabt, aber zwischendurch war er durchaus in der Lage, sich in den Dienst seiner Mannschaft zu stellen und eine Ausreißergruppe zurückzuholen. "Frankfurt war für mich die Möglichkeit, wieder einen Blutgeschmack in den Mund zu bekommen", sagte er.

Die Sprintwertung gewann er, ohne von ihr zu wissen

Die nächste Möglichkeit dazu ergibt sich nun bei der Kalifornien-Rundfahrt (15. - 22. Mai). Nachdem der Klassiker-Spezialist wegen des Unfalls die großen Frühjahrs-Rennen auslassen musste, konzentriert sich die weitere Saison-Planung jetzt ganz auf die Tour de France, die Anfang Juli beginnt. Nur zu gerne würde er dort endlich mal eine Etappe gewinnen, speziell bei schwierigen Sprintabschnitten darf er sich normalerweise Chancen ausrechnen - wobei es dann zu der lustige Situation kommen könnte, dass er ausgerechnet mit seinem langjährigen Freund Marcel Kittel um die Siege sprinten muss, der seit diesem Jahr fürs Etixx-Team fährt.

Jedenfalls durfte Degenkolb neben dem guten Gefühl und dem Blutgeschmack noch eine positive Sache aus dem Heimrennen mitnehmen: Im Pressegespräch teilten ihm die Organisatoren mit, dass er tatsächlich die Sprintwertung gewonnen habe. Da machte es auch nichts, dass Degenkolb bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass es an diesem Tag überhaupt eine Sprintwertung gab und wie er die gewonnen haben soll.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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