Radsport:Der alte Mann und das Podest

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"Was will ich mehr?": Fabian Cancellaras Karriere endet mit einer Goldmedaille - und vielen Zweifeln. (Foto: Peter Klaunzer/dpa)

Olympiasieger Fabian Cancellara steht in Rio für eine belastete Radsport-Generation: Die Karriere des Schweizers, der seit Jahren von Dopingvorwürfen begleitet ist, geht trotz Gold auch mit vielen Zweifeln zu Ende.

Von Johannes Knuth

Fabian Cancellara erklomm das Siegertreppchen mit einer Freude, die man ihm gar nicht mehr zugetraut hätte. Er sprang auf die höchste Erhebung, ließ das Wetter geduldig über sich ergehen, den Nieselregen, den Wind. Hinter ihm tanzten die Palmenblätter am Strand von Pontal nervös im Wind, als würde gleich ein Tropensturm heranrollen. Sie hätten die Siegerehrung wohl auch in der Wüste Gobi abhalten können, Cancellara hätte es nichts ausgemacht. Der alte Mann freute sich, als habe er gerade sein erstes Rennen gewonnen.

Die Radrennen in der ersten Olympiawoche in Rio de Janeiro waren mal wieder ein Fall für die alte Garde. Der Belgier Greg Van Avermaet, 31, gewann das Straßenrennen der Männer; er hatte zuletzt eine Dopingermittlung (ohne Schuldspruch) abgeschüttelt und sicherte sich nun den Hauptpreis. Das Einzelzeitfahren der Frauen entschied die Amerikanerin Kristin Armstrong für sich. Sie war dafür eigens aus ihrem Ruhestand zurückgekehrt, gewann ihre dritte olympische Goldmedaille im Einzelzeitfahren, am Donnerstag feierte sie dann ihren Geburtstag. Sie wurde 43. Und auch die Karriere von Fabian Cancellara, 35, aus Bern, reicht mittlerweile 16 Jahre zurück. Er ist dabei durch "viele Hochs und Tiefs" geschritten, wie er sich erinnerte. Mit Verletzungen, Stürzen, kleineren und größeren Formdellen. In Rio schlüpfte er noch einmal in seine alte Rolle, in die des viermaligen Zeitfahrweltmeisters und Olympiasiegers von 2008. Tom Dumoulin und Chris Froome, die Favoriten für diesen bergigen Kurs? Chancenlos. Cancellara entwischte ihnen um weniger (Dumolin) und mehr als eine Minute (Froome). "Das ist nichts, was du mal eben aufholen kannst", sagte Dumoulin. Er klang etwas ratlos.

Cancellara wird bald aufhören, das hat er vor der Saison verkündet. "Dieser Sieg überragt alles", bekräftigte er nun, "was will ich mehr?" Und doch drängte sich in Rio der Eindruck auf, dass die Alten einfach nicht totzukriegen sind. Ob das eine gute Nachricht für den Radsport ist, der gerne ausdauernd eine neue, reinere Ära ausrufen lässt, ist eine andere Frage. In Cancellaras Karriere führen viele Spuren in eine Zeit, in der im Radsport chronisch manipuliert wurde. Er war bei diversen Rennställen angestellt, bei denen sie flächendeckend dopten. 2006 räumte Cancellara ein, dass er jahrelang mit dem dubiosen Sportarzt Luigi Cecchini zusammengearbeitet hatte. Cecchinis Athleten einte, dass sie alle sehr flink unterwegs waren, belastete und überführte Fahrer wie Damiano Cunego, Alessandro Petacchi, Bjarne Riis etwa, dazu ein gewisser Jan Ullrich, später auch Kronzeuge Tyler Hamilton. Der war maßgeblich daran beteiligt, dass Lance Armstrong fiel. Hamilton deutete vor drei Jahren auch an, dass Cancellara die Dienste des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes in Anspruch nahm, unter dem Tarnnamen "Luigi". Cancellara stritt stets alles ab. Wie auch den Vorwurf, er habe 2010 bei einem Frühjahrsklassiker einen Elektromotor in seinem Rad versteckt.

Cancellara war nicht der einzige Gewinner von Rio, der seine Vergangenheit abgeschüttelt hat und gerade seinen zweiten Frühling erlebt. Die Russin Olga Zabelinskaja gewann Silber im Einzelzeitfahren der Frauen, fünf Sekunden hinter Armstrong. Diverse Kommissionen hatten vor den Spielen in Rio staatlich gelenktes Doping im russischen Sport dokumentiert, das Internationale Olympische Komitee hatte das nicht daran gehindert, knapp 280 russische Sportler mit den Fachverbänden nach Rio durchzuwinken. Nur ehemalige Doper sollten nicht starten. Zabelinskaja, vor zwei Jahren auf ein Stimulanzmittel getestet, war raus, sie protestierte, trainierte in Rio, hatte den Rückflug schon gebucht. Dann kippte der Sportgerichtshof Cas den IOC-Bann in letzter Sekunde.

Sie habe "niemals" gedopt, beteuerte sie nun in Rio, das sei unmöglich. Als sie positiv getestet wurde, habe sie ja gerade ihr jüngstes Kind gestillt. Warum die Substanz in ihrem Körper steckte, wisse sie auch nicht, vielleicht wegen kontaminiertem Fisch. Sie habe jedenfalls keine Zeit gehabt, die Sperre anzufechten. "Ich musste mich wieder für Olympia vorbereiten", sagte sie. Manche Konkurrentinnen begegneten Zabelinskaja mit Kälte, die Britin Emma Pooley etwa. Letztlich aber fiel die Rezeption doch wohltemperierter aus als für Russlands Schwimmerin Julia Jefimowa.

Die Deutschen? Lisa Brennauer reichte als Achte im Einzelzeitfahren das bislang beste Ergebnis für den Bund Deutscher Radfahrer ein. Tony Martin, Weltmeister von 2011 bis 2013, wurde auf dem unangenehmen Kurs Zwölfter, drei Minuten hinter dem Sieger. Später rauschte er wortlos durch die Pressezone. Martin hatte bereits vor dem Rennen befunden, dass er gerade aus der "absoluten Weltspitze" gefallen sei, "teilweise unerklärlich" sei das. Die Spitze hat sich nun einmal weiterentwickelt, beim Material und der Position auf dem Sattel. Martin wurde auch von Kniebeschwerden geplagt, die er erst vor Kurzem abschüttelte. "Das war es noch nicht", ließ er nach dem Rennen ausrichten. Zuvor hatte er angekündigt, dass er "im schlimmsten Fall" auch bis zu den Spielen in vier Jahren warten würde. "Ich hoffe", sagte Martin, "dass es in Tokio nicht so viele Berge geben wird."

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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