Klitschko-Sieg in der Rundenkritik:Verprügelt von einem "Mädchen"

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Hatte mit Kubrat Pulew (l.) keine Mühe: Weltmeister Wladimir Klitschko. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Er nennt sich "Kobra", bezeichnete Wladimir Klitschko als "Mädchen" und wollte ihn durch den Ring scheuchen. Doch Kubrat Pulew bekommt vom Weltmeister von Beginn an Prügel - und geht zeitig K.o. Der Kampf in der Rundenkritik.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Vor dem Kampf

Ja, auch Wladimir Klitschko hat noch Träume. Zehn Jahre ungeschlagen und dabei Weltmeister von Verbänden, die wie Computerspiele klingen - doch einer fehlt ihm neben IBF, IBO, WBO und WBA noch: Der Titel der WBC. Einen Vereinigungskampf hatte Klitschko geplant, nachdem er Ende April den ziemlich überforderten Australier Alexander Leapai vermöbelt hatte. Doch die IBF durchkreuzte seine Pläne vorerst mit diesem lästigen Konstrukt namens Pflichtverteidigung. Also muss Klitschko zunächst gegen Kubrat Pulew antreten - ein Kampf, auf den er ungefähr so viel Lust haben musste wie Borussia Dortmund auf den Abstiegskampf. Immerhin: Es ist der nächste Schritt auf dem Weg zur absoluten Boxer-Krönung. Und: Er bringt ihm 4,28 Millionen Euro. Kann man mal mitnehmen.

Gegenüberstellung der Boxer

Respektvoll hatten sich die letzten Gegner von Klitschko im Vorfeld benommen, Kubrat Pulew sorgte dieses Mal wieder für rauere Töne. Dass der Kampf wegen einer kurzfristigen Verletzung Klitschkos von September auf November verschoben werden musste, löste Unbehagen aus. Hinzu kamen diverse andere Zwists: Einer Pressekonferenz vor dem Kampf blieb Pulew ganz fern, weil drei seiner Sauerland-Anhänger ausgeschlossen wurden, es gab Streit um fehlende Doping-Kontrollen bei Klitschko und um nicht zugelassene Handschuhe beim öffentlichen Training. Aggressionen sind also genügend aufgebaut - dass Pulew nur 1,07 Millionen Euro bekommt, dürfte auch dazu beitragen.

In seiner Heimat wird Pulew gefeiert - als Sportler des Jahres und Freund von Popsängerin Andrea Teodorova geistert er durch die Promiszene Bulgariens. 20 Profikämpfe hat der 33-Jährige bisher bestritten, keinen davon verloren. Auch Gegner mit Namen waren darunter, Tony Thompson etwa, Alexander Ustinow und Alexander Dimitrenko. Mit 1,94 Meter ist er der größte Gegner seit langem für Wladimir Klitschko - und doch noch vier Zentimeter kleiner. Der Linksausleger gilt als technisch hervorragend ausgebildet, doch einen Killerschlag gehört nicht zu seinem Repertoire - und normalerweise kommen Gegner nicht allzu oft durch Klitschkos Deckung. Über seinen Gegner, der dreimal so viele Kämpfe bestritten hat, sagt Pulew Dinge wie "Er hat alles für einen Weltmeister, aber er hat kein Herz. Er ist wie ein Mädchen! Sein Charakter ist wie ein Mädchen." Und: "Wladimir wird viel laufen müssen. Ich habe Energie für 20 Runden." Klitschko k.o. Laufen? Das wäre mal was Neues.

Neben dem Ring

Ein sicheres Zeichen dafür, dass Wladimir Klitschko nicht weit weg sein kann, ist mittlerweile die Anwesenheit von Shannon Briggs. Der Amerikaner lauerte Klitschko schon die ganze Woche über auf: Mal mit freiem Oberkörper an eine Fensterscheibe gedrückt, mal mit übergestülptem Römerhelm. Auf jeden Fall immer: pöbelnd. Einen eigenen Titelkampf gegen Klitschko wünscht er sich. Auch in der Arena am Samstag machte er das nochmal deutlich, diesmal mit rotem Überhang. Neben ihm wirkt selbst die deutsche B- bis D-Prominenz nicht mehr peinlich. Glück also für folgendes Aufgebot: Steffen Hallaschka ("Stern-TV"), Henning Baum ("Der letzte Bulle") und Pierre Geisensetter (irgendwas bei Pro7).

Atmosphäre in der Halle

Die Anschrift stimmte, die Halle auch, doch nach Hamburg klang es an diesem Abend ganz und gar nicht. Die Fans von Pulew waren so aktiv und lautstark wie Teenies von Justin Bieber. Wann immer der Boxer über die Leinwand flimmerte, brach Ekstase aus - bei Klitschko dröhnten Pfiffe durch die Halle. Und das in seinem Hamburg, wo vor 18 Jahren alles mit dem ersten Profikampf begann. Ein bisschen mehr Begeisterung hätte sich vermutlich auch Jan Delay gewünscht: Der war schließlich mit einem Schlagzeug in Leoparden-Optik im Ring aufgetaucht, um den Einheizer zu spielen. Und hatte sich eine Leoparden-Krawatte angelegt. Und ein Leoparden-Einstecktuch präsentiert. Der Lohn: Keine Raubtier-Stimmung, aber immerhin höfliches Klatschen.

Einmarsch der Boxer

Ringsprecher Michael Buffer kann sich über zu wenig Zuspruch nicht beschweren - wo immer er auftaucht, wird es laut. Als erstes ruft er Kubrat Pulew in die Halle, Spitzname "Kobra". Er schlendert gemütlich wie zum Kühlschrank in den Ring, Mimik: Fehlanzeige. Ein schwarz glänzendes Westchen mit Kapuze ziert dabei seine 112 Kilogramm, die er am Vortag auf die Wage brachte. Lautes Getose in der Arena, danach folgt Wladimir Klitschko mit 111,5 Kilogramm - und etliche Pfiffe. Seinen Einmarsch-Song "Can't stop" von den Red Hot Chilli Peppers hat er noch immer nicht über, er begleitet ihn auf seinem routinierten Walk zum Ring, wie immer im roten Ganzkörpermantel. Dann wird die bulgarische Hymne gespielt - und so laut gesungen wie vermutlich noch nie in dieser Stadt. Bei der Hymne der Ukraine ist die Musik immerhin lauter als die Pfiffe.

Vorstellung durch den Ringsprecher

Kubrat Pulew hat definitiv Lust, sich heute zu bewegen: Während Klitschko nur locker mit den Hüften wackelt, klatscht er immer wieder die Fäuste zusammen, schwingt den Oberkörper opulent, hüpft und tänzelt. Zerrungen wird er sich heute wohl keine holen.

Runde eins

Pulew geht in die Offensive wie beim Speed-Dating. Auf langes Kennenlernen hat der Bulgare keine Lust, er wirft sich in den Infight und gibt Klitschko ein paar Seitenhaken mit der Rechten. Die sind allerdings harmlos, Klitschko beantwortet die Attacke mit einem linken Haken - der bringt Pulew sogleich zu Boden. Er berappelt sich, taumelt kurz, wird geschubst, fällt wieder - das sieht nach einem schnellen K.o. für Pulew aus. Doch er übersteht die erste Runde.

Runde zwei

Klitschko versucht, Pulew allmählich auf sein eigenes Tempo runterzuholen. Er hält ihn mit der Führhand auf Distanz. Geklammert wird natürlich auch, sonst wäre das kein Klitschko-Kampf. Pulew nutzt das zu Wischern mit der Rechten. Der Ukrainer ist alles andere als beeindruckt.

Runde drei

Eines muss sich Pulew nicht vorwerfen lassen: Dass seine Führhand zu langsam wäre. Immer wieder zischt sie in Klitschkos Richtung, der nicht immer problemlos parieren kann. Doch die Schläge von Pulew sind einfach zu schwach. Mit einer Kombination kommt dann Klitschko zum Erfolg: Er drängt den Bulgaren in die Ringecke und versetzt ihm Schläge aus allen Richtungen. Wieder liegt Pulew am Boden, doch wieder wurde er mehr geschubst als umgehauen. Als die Glocke ertönt, tapst er mit einem Cut unter dem linken Auge in die Ringecke.

Runde vier

Angeschlagen, aber noch kampfeslustig: Pulew hat nicht vor, einen Gang runter zu schalten. Er sucht die Aktion mit Klitschko, muss aber mehr einstecken. Mit einer Links-Rechts-Kombination kommt er selber durch, dann setzt es Körpertreffer auf beiden Seiten. Zwischendurch legt sich der Herausforderer auf Klitschko, der in die Seile gedrückt wurde - ganz schön forsch, selbst für ein Speeddating.

Runde fünf

Die Hand der Kobra zischt nun langsamer, dafür kommt Klitschko gleich zu Beginn zu einem wirkungsvollen Treffer mit der Führhand. Pulew bleibt noch stehen, doch der Knock-Out folgt nur Sekunden später: Klitschko erwischt ihn mit der Linken im Gesicht, Pulew fällt um wie ein Sack Reis und bleibt regungslos liegen, der Ringrichter zählt ihn aus. Als er wieder steht, ist auch ein tiefer Cut unter seinem rechten Auge. Klitschko jubelt aggressiv und gestenreich, da kommt jede Menge Wut raus.

Nach dem Kampf

Pulew wird von seinen Betreuern fit gerubbelt und schafft es noch, auf die Seile zu steigen - und bekommt dafür jede Menge Applaus. Klitschko wird derweil in jeder Ecke ausgepfiffen. Eine skurrile Szenerie für den Weltmeister in eigener Halle. Doch als er endlich reden darf, verstummt der bulgarische Anhang. "Moin moin Hamburg", sagt Klitschko, "ich bin noch da." Er erinnert an seine Anfänge in Hamburg und widmet den Sieg seinen Landsleuten in der Ukraine. Auch Pulew kann reden. "Mir geht es perfekt, sehr gut", sagt er, er sei mit sich zufrieden. Dabei kühlt er die rechte Wange mit einem dicken Eispaket - und kündigt seine Rückkehr an. Klitschko habe "richtig Glück gehabt". Nun gibt es auch Pfiffe gegen ihn. Ein fairer Verlierer sieht anders aus. Eine Kobra allerdings auch. Und nun hat er sogar gegen ein Mädchen verloren. Schlimmer Abend für den Bulgaren.

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