Prothesen-Weitspringer Markus Rehm:Deutscher Meister - außer Konkurrenz

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Markus Rehm segelt auf dem Nürnberger Marktplatz durch die Luft. (Foto: dpa)
  • Markus Rehm springt bei der deutschen Meisterschaft am weitesten, doch seine Leistung geht in eine getrennte Wertung ein.
  • Es ist noch immer nicht geklärt, ob er mit seiner Karbonprothese einen Vorteil gegenüber anderen Athleten hat.
  • Der Wettkampf auf dem Nürnberger Marktplatz ist spektakulär und bodenständig zugleich - doch die Debatte um Rehm überlagert vieles.

Von Johannes Knuth, Nürnberg

Markus Rehm tritt jetzt vor die Kameras, er strahlt eine tiefe Zufriedenheit aus über das, was er gerade erlebt hat. Über die Weitsprung-Wettbewerbe, die der Deutsche Leichtathletik-Verband im Vorfeld seiner deutschen Meisterschaften am Freitagabend auf den Nürnberger Hauptmarkt ausgelagert hat, über die 4000 Zuschauer, die sich auf die Stahlrohtribünen zwängten. Rehm ist auch ganz zufrieden mit seinen 8,11 Metern - die Tagesbestweite, die in eine getrennte Wertung einfließt, weil noch immer nicht geklärt ist, ob Rehms Sprünge mit seiner Karbonprothese vergleichbar sind mit denen der nichtbehinderten Konkurrenz.

Deshalb ist jetzt halt der Tübinger Fabian Heinle mit 8,03 Metern deutscher Meister, aber das ist Rehm nicht so wichtig. Sagt er. "Wir hatten alle viel Spaß hier. Wir wollten die Leichtathletik hier repräsentieren. Ich glaube, der Fokus lag auf dem Sport, nicht so sehr auf mir."

Das stimmte, und das stimmte auch wieder nicht.

Models in Spikes auf dem Catwalk

Es war schon interessant, wie die Weitspringer sich am Freitagabend bei ihren ersten deutschen Marktplatz-Meisterschaften inszenierten. Sie liefen über einen Holzsteg, hinter ihnen blitzten Scheinwerferlichter auf, als würden Models in Spikes auf einem Catwalk auftreten.

Manchmal geriet dabei fast in Vergessenheit, dass es sich um eine deutsche Meisterschaft handelt, bei der WM-Tickets verteilt werden, nicht alle Teilnehmer waren glücklich mit dieser Kombination. Es war, andererseits, eine bunte und doch bodenständige Vorstellung, die Leichtathletik ist ja immer dann am stärksten, wenn sie sich selbst greifbar macht. Wenn die Schritte der Athleten bis auf die Tribünen hinauf vibrieren, wenn man hört, wie der Balken beim Absprung ächzt. Die Zuschauer sahen alles wie von einer Lupe vergrößert. Die Freude von Heinle, von Rehm, von Lena Malkus, die bei den Frauen mit 6,74 Metern gewann, sie sahen die Tränen von Malaika Mihambo, die als Favoritin angereist war, im Vorkampf hängenblieb und jetzt vielleicht die WM in Peking verpasst. Und dann war da eben noch diese Sache mit Markus Rehm.

Die Weitspringer haben in Nürnberg am Freitag eine Art Jubiläum zelebriert, unfreiwillig. Vor etwa einem Jahr durfte der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm in Ulm zum ersten Mal bei den Meisterschaften der Nicht-Behinderten mitmachen. Es war ein Experiment, das am Ende mehr Fragen hinterließ als Antworten: Darf Rehm den ersten Platz, den er sich mit 8,24 Metern sicherte, behalten? Verleiht ihm seine Unterschenkelprothese einen Vorteil? Wird er gar zur EM in Zürich mitgenommen? Der DLV nahm ihn nicht mit, ein erstes Gutachten ergab nicht genügend eineutige Befunde.

Studie für 300 000 Euro

Rehm darf seitdem bei den Nicht-Behinderten antreten, auf nationaler Ebene in einer gesonderten Wertung. DLV und Deutscher Behindertensport-Verband sammeln gerade Geld für eine Studie, die Vor- und Nachteile von Prothesen umfassend ausleuchten soll, bis zu 300 000 Euro könnte sie kosten. Bis dahin ist die Debatte inhaltlich festgefahren, wie bei einem Jeep, der im Schlamm steckt und bei dem beide Räder durchdrehen. Die FAZ berichtete zuletzt über einen pikanten Sachverhalt: Sechs Konkurrenten, die 2014 in Ulm gegen Rehm verloren, hatten November 2014 beim Rechtsausschuss des DLV Beschwerde eingelegt (die der Ausschuss mittlerweile abgeschmettert hat). "Es wäre schöner gewesen", sagt Rehm am Freitag, "wenn wir uns an einen Tisch gesetzt hätten."

Was bleibt, ist ein Schwebezustand, mit dem sich niemand so recht anfreunden kann. Er sei schon zufrieden mit seinem Sonderstartrecht, sagte Rehm, "ich hoffe aber auch, dass die Sachlage geklärt wird." Andere sagten lieber gar nichts, wie Julian Howard, der am Freitag Dritter wurde und die Beschwerde gegen Rehm mitgetragen hatte. "Ich gratuliere ihm herzlich", sagte Howard, bevor er dann nichts mehr sagte.

"Ist Inklusion eine Einbahnstraße?"

Wenige sprechen so offen wie Alyn Camara, DM-Zweiter vom Freitag: "Ich finde, wir sind ein bisschen alleine gelassen", sagte er zunächst, "wir sind Athleten, die springen, das sollte im Fokus stehen." Dann gab er doch seine Gedanken frei. Er verteidigte Sebastian Bayer, jenen Weitspringer, der im Vorjahr die Andersartigkeit von Rehms Prothese betont hatte und mit Kritik überzogen worden war. "Jede Meinung wird sofort zerpflückt", klagte Camara. "Ich nehme diese Worte nicht gerne in den Mund", ergänzte er, "aber ist Inklusion eine Einbahnstraße? Warum darf ein Oscar Pistorius bei uns laufen, warum dürfen wir nicht bei denen laufen, bei denen springen?" Vielleicht deshalb, und damit kommt man dem Kern der Debatte schon ziemlich nahe, weil es vermutlich zwei unterschiedliche Bewegungsmuster sind, zwei Sportarten, verwandt und doch verschieden?

Manche Behindertensportler wollen wohl auch deshalb nicht mit den Nicht-Behinderten die gleiche Bühne teilen. Heinrich Popow, Paralympics-Sieger in London über die 100 Meter, erklärte zuletzt im Tagesspiegel, er fürchte, der direkte Vergleich könnte die Leistung vieler Behindertensportler entwerten, weil viele Leistungen nicht zu denen der Nicht-Behinderten passen. Rehm? Sei eben eine Ausnahme. Der 26-Jährige war in Nürnberg dann auch sichtlich bemüht, die Autonomie und Werte seines Sports zu betonen. "Ich sehe das als Aufgabe, hier zu zeigen, dass auch bei unseren Wettkämpfen die Post abgeht", sagte er.

Rehm war in Nürnberg ein gefragter Mann, er schrieb mehr Autogramme, ließ sich häufiger mit Fans fotografieren als die meisten Konkurrenten zusammen, und nicht immer war klar, wofür sie ihn hochleben ließen. Für seine Bemühungen um Inklusion? Für seinen Trotz? Für seine Sprünge?

"Markus, ein Autogramm", sagte ein Mann. "Klar", sagte Rehm. "Klasse Leistung", sagte der Mann.

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